Nur wenige technische Neuerungen haben die Welt so nachhaltig geprägt und verändert wie die Erfindung und Anwendung des Schießpulvers (längst nicht nur für militärische Zwecke). Kein Wunder also, dass sehr viele diese Entdeckung für sich beanspruchen wollen. Unter den zahlreichen Überlieferungen führt eine Spur auch ins mittelalterliche Augsburg und dies durchaus mit einer gewissen Plausibilität.
Die frühesten Vermutungen gehen auf China zurück. Die freilich meist wenig spezifizierten Andeutungen auf eine „chinesische Erfindung“ entpuppen sich bei näherer Betrachtung in der Regel als wenig überzeugend. Zwar werden bereits für das Jahr 1044 ominöse Brandsätze erwähnt, doch ist dabei nicht nur die Datierung fraglich, da das als Quelle angeführte Werk namens „Wu Ching Tzung Tao“ in seiner frühesten Kopie erst in der Ming-Zeit um 1550 überliefert ist, als in Europa sozusagen längst aus allen Rohren geschossen wurde. Eine nachträglich Rückdatierung ist nicht ausgeschlossen und auch nicht unwahrscheinlich. Im Text selbst ist nun das sicher nicht grundlos als anrüchig empfundene Kampfmittel mit dem vielsagenden Namen „fên phao kuan fa“ erwähnt, was als „Fäkalien-Schleuderbombe“ übersetzt wird. Zur Herstellung nimmt man der Beschreibung gemäß reichlich getrocknete und fein gemahlene menschliche Fäkalien, etwas Öl des Tigli-Baums, eine Brise Arsensulfid und dergleichen mehr. Wie auch immer, ist es unstrittig, dass es in China auf dieser Basis zu keiner waffenfähigen Entwicklung gekommen ist .
Neben „den Chinesen“ wurde oft der Freiburger Franziskaner Bertholdus Niger als Entdecker genannt, der je nach Quelle 1353 oder 1359 das explosive Pulver gemischt haben soll. Mehr noch soll sogar sein ins deutsche übersetzte Name Schwartz namensgebend für das Schwarzpulver gewesen sein. Das freilich ist historisch nicht aufrechtzuerhalten, da bereits 1326, also rund drei Jahrzehnte zuvor, der Einsatz waffenfähigen Schießpulvers in Europa zweifelsfrei belegt ist. Zudem stammt die Bezeichnung Schwarzpulver erst aus dem 19. Jahrhundert und diente zur Unterscheidung des dunklen Pulvers zur Abgrenzung eines neu entwickelten weißen auf der Basis von Cellulosenitrat. Gleichwohl die Freiburger ihrem legendären Mönch sogar ein Denkmal setzten, scheidet er als Entdecker des „Donnerpulvers“ selbstverständlich aus.
Als zweifellos ernsthafterer Anwärter lässt sich jedoch Nigers franziskanischer Kollege Roger Bacon (1214 – 1292) erwägen. Der aus dem englischen Ilchester bei Somerset stammende „Universalgelehrte“ ist als origineller Denker überliefert, seiner Zeit in manchem augenscheinlich weit voraus. Er erkannt u.a. die Gesetze der Reflexion und der Strahlenbrechung und hatte, für einen Menschen des 13. Jahrhunderts sicher ungewöhnlich, auch zumindest vage Vorstellungen von Unterseeboten, Flugmaschinen, komplizierte Hebevorrichtungen und durch Radantrieb funktionierende Wagen und Schiffe. So man ihm all dies oder Teile davon nicht posthum angedichtet hat, ist es verständlich, dass er später im Ruf stand eine Art “Seher” gewesen zu sein.
Um 1250 erwähnte Bacon demnach in seinem Traktat „De secretis operibus artis et naturae“ die Herstellung eines Pulvers aus Kaliumnitrat, Holzkohle, Schwefel und Salpeter, was in der Zusammensetzung als ältester literarischer Nachweis des Schwarzpulvers gilt. Bei aller Fortschrittlichkeit in seinem Denken war Bacon trotzdem jedoch ein Kind seiner Zeit und im Glauben an Magie und Geister verhaftet. So versuchte er als Alchemist ernsthaft Gold herzustellen, um mittels der hermetischen Kunst dem Königshof die nötigen Geldmittel zu beschaffen, was auch heute ein Ausweg aus finanziellen Krisen wäre. Offenbar blieb es aber nicht nur damit beim theoretischen Ansatz, denn noch 1267 schrieb Bacon in einem Brief an den Bischof von Paris über die Herstellung es oben beschriebenen Pulvers und beklagte, dass er kein optimales Mischungsverhältnis finden konnte. Heutige Historiker hingegen kämpfen mit der Deutung komplexer Anagramme und Bacons kryptischen Formelsprache, von denen spätere wie zeitgenössische Okkultisten behaupten, dass sie nur “Eingeweihten” zugänglich seien. Bezeichnend ist wie auch immer jedoch das Fehlen jeglicher Berichte über die Entwicklung eigentlicher Schusswaffen im örtlichen wie zeitlichen Umfeld zu Roger Bacon.
„Die ersten Feuerwaffen dürften relativ primitive Konstruktionen gewesen sein. Einfache Rohre und vasen- bzw. büchsenförmige kurze Geschütze in Mörserform jeweils mit verstärkter Pulverkammer, in das ein Zündloch gebohrt oder beim Guß bereits vorgesehen war, erschöpften anfangs die Variationsbreite. Die Zündung erfolgte mit dem Glüheisen. Die ersten Büchsen waren relativ kurz, und lange, schlanke Rohre (Schlangen, Basilisken) wurden erst im 15. Jahrhundert üblich.“
(- Karl Georg Zinn – Kanonen und Pest – über die Ursprünge der Neuzeit im 14. Und 15. Jahrhundert, Opladen 1989, Anm. 252)
An diese vermutlich authentischen Grundlagen knüpft eine weniger bekannte Augsburger Legende an, die freilich eine Reihe von bemerkenswerten Umständen beinhaltet und letztlich sogar auf eine konkrete Person zurückgeführt werden kann.
Im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts, so berichtet die Erzählung, habe ein fremdartiger Neubürger durch seine äußere Erscheinung für einiges Aufsehen in Augsburg gesorgt, wo er nahe bei St. Ulrich in der heutigen Maximilianstraße wohnte. Der bärtige Mann trug auf seinem Kopf einen grünen Turban und da dies – heute wie damals – in Augsburg kein geläufiger Anblick war, machten sich die Leute zahlreiche Gedanken darüber, wer dieser Mann war und wo er wohl herstammen mochte. Zusammen mit seinem dunkel gekleideten und zudem noch finster dreinblickenden Diener hatte er die Angewohnheit nachts auf dem Dach seines Hauses herumzuspazieren und den Himmel zu beobachten oder Blitze zu fabrizieren. Die Gerüchte über den vermeintlichen Zauber drangen schließlich auch zum Rat der Stadt, der sich freilich mit anderen Problemen befassen musste, wurde Augsburg doch von äußeren Feinden bedroht. Die pragmatischen Schwaben gaben deshalb wenig auf das Geschwätz der Leute und „so gab’s etliche Köpfe unter denen vom Rat, die vermeinten, man könne ja den gelehrten Fremden in seinem Dachstüblein einmal befragen, ob der nicht Hilfe in solcher Not wüßt‘.“
Bei ihrem Besuch in der Dachstube des Mannes entdeckten die Räte sodann zahllose Bücher, Schriftrollen und eine Unmenge an Flaschen und Behälter jeder Art. Auf die Frage, ob er dazu in der Lage sei, den Augsburgern eine Waffe zu schaffen, mit welcher man dem „grimmen, neidischen Feind“ beikommen könne, bot der eigentümliche Mann mit dem grünen Turban ihnen eine sofortige Demonstration. Er mischte in einen Mörser verschiedene Pulver zusammen, legte einen Stein darauf und trat damit ans Fenster. Dort entzündete er das Pulver und sofort gab es „einen Blitz und einen Schlag als ob das Wildfeuer vom Himmel herunterfahre“. Die Ratsherren erschraken selbstverständlich und wollten fast die Flucht ergreifen, doch als der Rauch verflogen war, beobachteten sie, dass draußen eine blecherne Wetterfahne ein großes Loch aufwies: „Das tat die Gewalt des Steines, den das seltsame Pulver mit Blitz und Donner aus dem gelben Mörser geschleudert hatte.“
Wieder pragmatisch verstanden die beeindruckten Stadtherren, dass was sie erschrak auch andere erschrecken konnte und so baten sie den Meister, so bald es ihm möglich wäre zum Rathaus der Stadt zu kommen, um weitere Demonstrationen seiner fürchterlichen Kunst zu geben. Dort vollzog er mit seinem Diener weitere Experimente und der Rat ließ nach den Angaben des Fremden Rohre gießen, aus denen sodann „der Blitzstrahl und der runde Stein fuhren mit einer Gewalt als der wildeste Feuerstrahl vom Wetterhimmel.“
Da der Fremde die Stadt mit seiner Waffe aus der feindlichen Bedrängnis rettete, blieb die Belohnung nicht aus und so schenkte man ihm ein Grundstück in der damals noch kaum besiedelten nördlichen Jakober Vorstadt, woran die heute noch erhaltene Straßenbezeichnung Pulvergäßchen erinnern solle. Das besagte Grundstück dürfte demnach etwa dem Areal des ehemaligen Hauptkrankenhauses entsprechen. Der Legende gemäß handelte es sich bei dem rätselhaften Fremden mit dem grünen Turban um einen Juden namens Tipsiles. Dieser sei mit seinem Diener Ismael auf der Flucht vor „den wilden Horden des Sultans“ nach Augsburg gelangt.
Man muss sich nicht in Lokalpatriotismus üben, wenn man feststellt, dass man der „Legende von Tipsiles, dem Juden der in Augsburg das Schießpulver erfand“ eine gewisse Plausibilität nicht absprechen kann. Die Datierung der Erzählung in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts ist zeitnah zum tatsächlich überlieferten historischen Geschehen. Der Einsatz von sog. Bombarden – primitive Vorläufer späterer Kanonen, die aus röhrenförmig geschmiedeten Stahlplatten bestanden, die mit Metallreifen verstärkt wurden – ist bereits um das Jahr 1340 bezeugt. Doch bereits aus dem Jahr 1326 stammen die ersten bildlichen Darstellungen von Feuerwaffen, die zwei Jahre zuvor, also 1324 in den Kämpfen um die Stadt Metz zum Einsatz gekommen sind. Der englische Kleriker Walter de Milimete aus der Grafschaft Cornwall, bildete dabei in einer Illustration seiner heute in Oxford aufbewahrten Handschrift mit dem Titel „De Officilis Regum“ (Die Pflichten des Königs), die er für Edward III. verfasste, ein kanonenartiges Geschütz ab, das Metallpfeile per Pulverkraft verschießt. Die nach dem Illustrator „Milimete-Geschütz“ genannte Waffe gleicht dabei – analog zur Augsburger Tipsiles-Legende – mehr einer knapp einen Meter langen, liegenden Vase als einer Kanone späterer Art. Die Lade- und Zündtechnik wirkte aber bereits wie bei sämtlichen verbesserten Modellen bis ins 18. Jahrhundert. Man leerte das waffenfähige Pulver in eine hinten verschlossene Rinne und setzte ein passendes Geschoss auf die Ladung. Die Zündung erfolgte nämlich auch hier schon durch einen (meist) seitlichen Luntenstock, und nicht wie manche Autoren annahmen durch ein glühendes Loseisen.
illustration of an early cannon, year 1326
Es ist bekannt, dass Augsburg in jener Zeit an der Seite Kaiser Ludwig des Bayern stand, der sich wiederholt bei Augsburger Juden verschuldete und dafür einmal sogar seine Stadt München als Pfand einsetzte. Belegt ist zudem, dass Augsburg dem, 1324 von Papst Johannes XXII gebannten, keineswegs unumstrittenen Kaiser wiederholt bei militärischen Auseinandersetzungen zur Seite stand und Soldaten zu seinen Heeren beisteuerte. Zeitweilig geschah dies auch im Bündnis mit den Engländern, weshalb der Augsburger Bischof sogar auch am Hofe des englischen Königs empfangen und mit reichlichen Geschenken belohnt wurde. Vielleicht war dieser als Waffenhändler auf Reisen. Eine wie auch immer geartete Augsburger Beteiligung an den Auseinandersetzung im Krieg von Metz ist folglich durchaus denkbar.
Plausibel erscheint nun auch die exotisch wirkende Herkunft und das Erscheinungsbild des Tipsiles im Kontext des Geschehenes der Augsburger Überlieferung. In einer Zeit in welcher es insbesondere auch in Süddeutschland wegen Ritualmord- und Hostienschändungsanklagen schlimmste Verfolgungen ganzer jüdischer Gemeinden gab, ist es kaum denkbar, dass eine Tradition einen noch dazu fremdländischen Juden ersinnt, um die Erfindung eines bald weltbekannten Pulvers für die Geschichte der Stadt zu reklamieren.
Anders als bei „den Chinesen“, Berthodus Niger aber auch Roger Bacon steht die Erfindung des Schießpulvers hier im unmittelbaren Zusammenhang mit dem praktischen Einsatz als Waffe, deren Erwähnungen sich „nach Metz“ in ganz Europa häufen. Schon 1327 ordnen die Räte der Stadt Florenz die Herstellung von Kanonen und Metallkugeln (pilas seu pallectas ferreas et canones de metallo) an. Um 1330 kommen als vasi e scioppi bezeichnete Geschütze bei der Belagerung italienischer Städte zum Einsatz. 1339 verwendeten Franzosen bei Perigord und Cambrai gegen Edward III von ihnen als pot-de-fer bezeichnete Kanonen – weshalb es verständlich ist, dass er sich diese von Walter Milimete beschreiben ließ. In Italien sind in dieser Zeit bereits Vorläufer von Handfeuerwaffen illustriert.
Das Schwarzpulver war nun der erste Explosivstoff, der als Treibladung für Schusswaffen verwendet wurde. Es wurde erst relativ spät im ausgehenden 18. Jahrhundert durch effektivere Mischungen verdrängt. Nur im Schießsport, bei Feuerwerken oder bei historischen Festen wird Schwarzpulver heute noch benützt.
Wer war jener Tipsiles, der auch in der Jewish Encyclopedia kurz Erwähnung findet und der nach einer weiteren Augsburger Überlieferung nicht nur das Schießpulver, oder genauer gesagt die Kanone erfand, sondern auch der erste Papiermacher der Stadt und zudem offenbar auch Apotheker war?
Der eigentümliche Name hat einen gräzisierenden Klang freilich ohne griechisch zu sein, vielmehr handelt es sich dabei um eine Korruption von Tiplisi, der sich ursprünglich auf die heutige georgische Hauptstadt Tiflis (neu- georgisch: Tblisi) im Kaukasus bezieht.
Im 9. Jahrhundert hatte Musa al Safrani (aus der persischen Ortschaft Safran stammend), dessen Name hebräisch Amran Ha-Parsi (der Perser) lautete in Bagdad eine karaitische Sekte begründet. Die Karaiten, die in ihrer Blütezeit im 11./ 12. Jahrhundert etwa ein Drittel der Juden ausmachten (der Historiker Salo Wittmayer Baron (1895-1989) schätzt sogar runde 40 %), hielten den Talmud, all seine Überlieferungen und Bestimmungen für völlig unverbindliche Meinungen und waren deshalb mit der Mehrheit der Juden, die sich an den rabbinischen Lehren orientierte in teilweise heftige Kontroversen verstrickt. Karaiten oder Karäer wurden wegen ihrer Ablehnung des Talmuds auch nicht von Christen bedrängt, da ihre bloße Bibeltreue nach christlicher Auffassung nicht den Lehren des Evangeliums im Wege standen. Diese „Toleranz“ gegenüber Karaiten hielt bis ins 20. Jahrhundert an, weshalb die wenigen Hundert von ihnen auch von den Nationalsozialisten nicht verfolgt wurden. Andererseits waren auch die Karaiten untereinander zerstritten und splitterten sich in mehrere rivalisierende Gruppen auf. Da ihnen das schriftlich fixierte Gerüst des Talmuds fehlte, bildeten sich zahlreiche Karaiten-Schulen mit abweichenden Interpretationen des biblischen Textes. Musa Al-Safrani etwa vertrat eine Reihe von Ansichten, die zwar Anklang bei seinen Schülern hatten, das Establishment der Karaiten in Bagdad aber gegen ihn aufbrachten. Als sie ihn öffentlich verfluchten und schließlich beseitigen wollten, floh er und landete nach einiger Wanderschaft im Kaukasus. Dort hatte er unter chasarischen Konvertiten weit mehr Erfolg und ließ sich dauerhaft in Tiflis nieder. Sein dort erworbener Beiname Abu Imran ha-Tiplisi ging schließlich auf seine Anhänger über, die „die Tifliser“ genannt wurden und nun wiederum in Ägypten ebenso vertreten waren wie im byzantinischen Reich oder im israelischen Haifa. Sie brachten eine Reihe von beachtlichen Gelehrten hervor, die neben religiösen auch medizinische, astronomische und dazu grammatikalische Werke verfassten.
Aus der karaitischen Schule der Tiplisim, deren Merkmal das Tragen grüner Kopfbedeckungen war, nun stammte auch der 1279 in Haifa geborene, aber in Ägypten aufgewachsene Daud Jusuf Al-Tiplisi (hebräisch: David ben Josef), der zeitweilig am Hof des Sultans Nasir Muhamad (1285 – 1340) diente, aber um das Jahr 1309 herum das Land verließ, nachdem der junge Herrscher zeitweilig gestürzt wurde. Er ging nun zurück in seine Geburtsstadt Haifa und von dort wiederum nach Konstantinopel wo er einer der Lehrer des in Kairo geborenen Aharon ben Elia (1300 – 1369) wurde, einem der bedeutendsten Gelehrten des karaitischen Judentums. In Konstantinopel verfasste David ha-Tiplisi eine Reihe von Schriften, wovon jene mit dem Namen „Chochma nistara“ (verborgene Weisheit) in Auszügen erhalten geblieben ist. Aus den Responsen seines Schülers Bachja ben Salomon (1294 – 1355) nun wissen wir, dass David – aus einem uns unbekannten Grund – Konstantinopel verlassen hatte und in das Gebiet von „ostera uswabin“ übersiedelte, was sich unschwer als Österreich und Schwaben deuten lässt. Als zeitliche Angabe ergibt sich aus dem weiteren Zusammenhang, dass dies sieben Jahre vor der Eroberung der ca. 90 km südlich von Konstantinopel gelegenen Stadt Bursa geschah, demnach also wohl im Jahre 1319.
David ben Josef Ha-Tiplisi (1279 - 1359)
(painting by Chana Tausendfels, 2005)
Zwar findet sich für das Jahr 1324 in den Augsburger Annalen ein David verzeichnet, jedoch können wir nicht sagen, ob sich dieser Eintrag auf David ben Josef bezieht. Auch der in der Tipsiles-Legende erwähnte Name seines Dieners Ismael findet sich in den Augsburger Steuerbüchern, freilich mit enormen zeitlichen Abstand im Jahre 1383, jedoch in der Schreibweise Yshmahel. Relevant für die Geschichte des Tipsiles in Augsburg nun aber auch die Notiz, dass er weit abseits der städtischen Judenviertel des Königshofs und des Rathauses wohnte, nämlich in der später so genannten Maximilianstraße. Schon die klare räumliche Trennung von der Judengemeinde legt nahe, dass er allgemein einen Sonderstatus innehatte. Der Umstand, dass David ben Josef ein Karaite war, also das talmudische Judentum ablehnte, könnte diese Absonderung von der restlichen Gemeinde erklären. Ungeklärt ist nun jedoch der eigentliche Grund wie die Dauer seines Aufenthaltes, wovon auch sein Schüler nichts zu berichten weiß. Aus einer anderen Quelle findet sich spät eine Spur, die besagt, dass der nun wieder Daud Jusuf Al-Tiplisi genannte Gelehrte am 20. Tamus des Jahres 5119 ( = 1259) in Akko starb. Augsburg hatte er, wenn nicht bereits zuvor, wohl während des Massakers im November 1348 verlassen. Damit blieb ihm auch erspart, dass nach der Ausweisung der Augsburger Juden über deren Friedhof das städtische Waffenarsenal errichtet wurde.
Neben der Zuschreibung der Namensgebung für das Pulvergäßchen erinnert an Tipsiles in Augsburg womöglich noch eine kleine Figur, die sich in der Kirche St. Anna befindet. Sie stellt den Kopf eines rothaarigen Mannes dar, der einen grün oder grünbläulichen Turban trägt. Die Figur als solche ist für eine christliche Kirche in Schwaben sicherlich eher atypisch. Sie wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts bei Restaurierungsarbeiten in der auf das 14. Jahrhundert zurückgehenden Hirn‘schen Kapelle im Fußboden gefunden und ohne besonderen Bezug für ein Schmuckstück gehalten. Als solches hängt es in der Kirche nun an einer Seitenwand.
Das überlieferte Todesdatum des David ben Josef jährt sich am kommenden Schabbat zum 650. Mal, weshalb der jhva an dieser Stelle an den mutmaßlichen Erfinder des waffenfähigen Schießpulvers, bzw. der modernen Schusswaffen erinnern will.
Verschießt Augsburg sein Pulver ..?
August 15, 2011Überraschend für uns beriefen sich vor kurzem die “Freien Wähler” aus Augsburg (denen durchaus unsere Anerkennung für ihre Wachsamkeit gilt) auf einen zwei Jahre alten, ansonsten nur in der englischen Fassung gelegentlich beachteten Bericht über die Zuordnung der städtischen Legende des Tipsiles als Erfinder des ersten waffenfähigen Schießpulvers in Augsburg. Freilich interessiert sich in Augsburg auch weiterhin niemand für David ben Josef Ha-Tiplisi (1279-1359), noch nicht mal so recht für die kleine Figur mit grünem Turban in der St. Anna – Kirche, die seltsam genug zur Legende passt …
Anlass war/ist, die geplante Umbenennung des Pulvergäßchen zu Ehren einer anderen, offenbar wesentlich glaubhafteren Legende, nämlich der des seitens der katholischen Kirche 1737 heiliggesprochenen Franzosen Vincent de Paul (1581-1660), der heute als “Begründer” des freilich dann doch erst 1897 entstandenen Caritas angesehen wird. Die Heiligsprechung (oder: Kanonisation) basierte nach katholischem Recht , da es sich bei Paul nicht um einen Märtyrer handelte, auf einem nachgewiesenen “Wunder”, ein “Heilungswunder”, sprich auf mindestens einem angezeigten “Wunderheilung” das von klerikalen Prüfern in einem umständlichen Verfahren beglaubigt worden sein musste. Eine solche Wunderheilung muss eine medizinische durch Ärzte, Pflege, Ruhe, usw. ausschließen, sondern muss auf dem Gebet eines Kranken beruhen, der sich gedanklich an den Toten wendet und dessen Bitte um Heilung durch den angebeteten Toten vermittelt wird. Untersucht wurde dazu auch sein zu diesem Zweck eigens zweimal exhumierter Leichnam, der danach (lange vor Lenin) und bis heute in Wachs gegossen in einem gläsernen Sarg in einer Kirche ausgestellt ist, während sein Herz abseits von seinem wachsenem Leichnam in der Zentrale des Vinzentinerinnen-Ordens in Paris getrennt aufbewahrt wird. Augsburg hat der französische Priester und Missionar nie betreten.
Nach dem Stadtrat in Augsburg befasste sich auch die Augsburger Allgemeine mit einem kurzen Artikel mit der Auseinandersetzung, stellt dabei freilich nicht etwa Legende gegen Legende, sondern den “Heiligen” gegen den “Juden”. Da dies in Augsburg keine synonymen Begriffe sind, darf man eine gewisse Voreingenommenheit unterstellen.
Die im Artikel auch wieder zitierte Einschätzung, das Pulvergäßchen habe eine “geringe historische Bedeutung” und die Pulvermühle dort nur von 1398 bis 1434 bestanden, basiert auf einer einzigen zudem ungenauen Quelle und wurde von zahlreichen anderen, auch städtischen Autoritäten widerlegt.
Der Augsburger Stadtarchivar Theodor Herberger, schreibt vor rund 150 Jahren in seinem Buch „Augsburg und seine frühere Industrie“,“…, daß kaum eine andere Stadt gerechtere Ansprüche auf die Fabrikation des Schießpulvers und das Gießen der ersten Kanonen machen konnte, als Augsburg“.
Seine heutigen Amtsnachfolger im Augsburger Stadtarchiv sind nun wahrscheinlich aufgefordert, Herberger und allen anderen früheren Autoren ihren “Irrtum” nachzuweisen, zugunsten eines auswärtigen Heiligen, dem ein bereits zugestandener Straßenname angeblich nicht genügen soll. Freilich wurden gemäß der Stadtbücher in den 1370er Jahren mehrfach Kosten für Büchsen, Schießpulver, Mörser und gegossene Kugeln mit Salpeter und Schwefel verrechnet, was alles keinen rechten Sinn ergibt, wenn erst 1398 eine Mühle entstanden sein soll. Zahlreiche andere Autoren gehen davon aus, dass in Augsburg schon um 1340 eine Pulvermühle bestanden haben soll, jene eben, die die Legende dem Tipsiles zuschreibt, der zu dieser Zeit in Augsburg gelebt haben soll.
Im Volksmund zeugt die Redensart, „das Schießpulver nicht erfunden haben“ von mangelndem Scharfsinn, weitere Sprichwörter besagen, dass jemand sein „Pulver bereits verschossen“ hat oder „keinen Schuss Pulver wert“ sei. Alles deutet auf praktische Intelligenz, die man hat oder nicht. Diskussionen die sich kaum lohnen, wenn manche heute die Realität etwa danach beurteilen, was bereits bei wikipedia eingetragen ist oder nicht begreifen können, dass es abseits von Zusammenfassungen geläufiger Taschenbücher, Geschichte im Detail doch anders gestaltet geben kann.
Das zeigt sich praktisch auch an anderer Stelle, etwa beim Judenberg, der von intelligenten Leuten in dieser Stadt als „zu hässlich“ angesehen wird und nun zum „Kunstberg“ werden soll, wohl weil auch heute noch das Wort „Kunst“ in den Ohren mancher einen viel besseren Klang hat als das Unwort der Jahre 1933-45 … „Juden“. Dass Mietek Pemper seligen Angedenkens dort über ein halbes Jahrhundert lebte und sich trotz der finsteren Vergangenheit auch wegen mancher einzigartiger Highlights in der mittelalterlichen Augsburger jüdischen Geschichte , die er gut kannte und schätzte, wohl fühlte, kommt Leuten, die hoffen nur etwas vom eingebildeten Hollywood-Glamour abzukriegen oder christliche Kränze auf sein Grab werfen nicht in den Sinn kommen will.
Artikel der “Augsburger Allgemeinen” Mittwoch, 10. August 2011, S. 38 zum Pulvergäßchen
The city council of Augsburg – in a non-public session – recently had to decide to rename the small Pulvergassel in Augsburg after Vincent de Paul, a legendary French saint whose corpse is exhibited in a glas case in a Paris church while his (physical) heart is in another. Since the current name refers to a medieval powder mill and thus probably also to the legend of “Tipsiles” as first time inventor of weapon grade gun powder (as mentioned also in the Jewish Encyclopedia) there now is a controversy in the council as well as in local papers and polemical commentaries in blogs and discussion groups, whether old reports who held Augsburg in 1340 for the oldest gunpowder fabrication locality in Germany or even Europe are true or if these just are fairy tales invented by Jewish “pseudo-historians” as already anti-Semite Adolf Stoecker pointed out a hundred years ago. However, obviously of course a faith healing Catholic saint fits much better in Augsburg’s “advertising strategy” to promote as “City of Peace” , but does it mean that all reminiscences or remnants which may conjure up wartime memories miraculously will vanish as the bunny in the top hat ..? In our opinion it does not matter what name the small back alley has. In case of war Augsburg will not be bombed because there was a gunpowder mill in early 14th century and in cases of any epidemic Vincent de Paul also will not work any wonder. History is history and dealing with (own local) history is history as well.
Augsburg in fact was regarded as first or among the first major places of fabrication of weapon grade gun powder as umpteen older books maintain. The fact that local legends refer the invention to a Jew is somewhat unusual and a sophisticated population would be proud of it to have other than Holocaust related stories in their history, but obviously there still is a far bigger lust and hunger for miracles and wonders, … so if one street name for Vincent de Paul is not enough, so give him five.
The local newspaper already opposes “the saint” and “the Jew”, so you all may guess what the decision (wanted) will be, knowing that both terms also in current German – for what reasons ever – still are anything but equivalent. 😉
בסמטה קטנה בהתייחסו אגדה מימי הביניים של ממציא יהודי של אבק שריפה אוגסבורג, עכשיו יהיה שמם לאחר כומר קתולי מצרפת
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Posted by yehuda