Augsburg Zeughaus, Dach mit Zirbelnuss
Gestern und vorgestern bot sich die Gelegenheit im Augsburger Zeughaus gleich zwei Vortragsveranstaltungen mit anschließender Publikums-Diskussion zu Besuchen, die sich beide mit Israel und „dem Nahostkonflikt“ befassten. Das mag bloßer Zufall sein, ist aber durchaus eine Notiz wert.
Der erste Vortrag “Friede für Israel und seine Nachbarn – warum ist das so schwer und was haben wir damit zu tun?“ vor rund dreißig Besuchern im Filmsaal des Zeughauses stammte von Matthias Küntzel (geb. 1955) einem renommierten Publizisten und Politikwissenschaftler, der wegen seiner Beschäftigung mit islamischem (insbesondere iranischen) Antisemitismus, nicht unumstritten ist. Folgt man seiner Vita bei Wikipedia startete er dereinst als „Kommunist“ und kam dann über die “Grünen” zur kritischen Betrachtung der Linken, während er sich mittlerweile hauptsächlich mit Antisemitismus, Islamismus, dem Nahostkonflikt und mit allem, was sich dazwischen abspielt befasst. Seine Absicht besteht darin „Antisemitismus, Antizionismus und Antiisraelismus entgegenzuwirken“.
Küntzel begann seinen Vortrag mit einer Erinnerung an dem vor genau vor einem Jahr begonnenen sog. „Gaza-Krieg“, der von den internationalen Medien erst dann als solcher ernst genommen worden sei, als Israel nach einer Woche auf den anhaltenden Beschuss reagierte und zum Gegenangriff übergegangen war.
Die ungleich höhere Anzahl ziviler Opfer unter den Palästinensern erklärte der Politologe mit dem Umstand, dass es in Israel überall Schutzräume für die Zivilbevölkerung gebe, während die Hamas daran interessiert gewesen sei, die Zahl („eigener“) ziviler Opfer möglichst hoch zu halten. Zu berücksichtigen dabei sei auch, dass die oft zu hörenden Einschätzung des Gaza-Streifens als „dichtbesiedeltes Gebiet der Welt“ unsinnig wäre. Das träfe allenfalls auf Gaza-Stadt zu, die nur einen kleinen Teil der Fläche des Gaza-Streifens ausmache, während es daneben einige ländliche, teilweise kaum bewohnte Gegenden gebe. Dass die Hamas ihre Geschosse aber fast ausschließlich aus dicht besiedelten Wohngebieten abfeuerte, spreche doch eine klare Sprache. Würden sie aus Sanddünen heraus auf Israel feuern, gebe es bei einem Gegenangriff keine zivilen Opfer. Diese Tatsache müsse man in der Bewertung des Konfliktes immer wieder betonen, ebenso wie den Umstand, dass auch in der Luft abgefangene Raketen der Hamas dort nicht hängenblieben, sondern ihre Trümmer über Israel herabfielen und Menschen verletzen konnten
Im zweiten Teil seines Vortags befasste sich der Politologe mit den ideologischen Grundlagen des Islamismus, insbesondere mit der 1928 gegründeten sog. „Muslim-Bruderschaft“, dem schiitischen Islam und den jeweiligen Verbindungen zum deutschen Antisemitismus. Wo es heute schon zur traurigen Alltäglichkeit geworden sei, in den Abendnachrichten Meldungen zu hören, wie in der islamischen Welt schiitische und sunnitische Extremisten sich in den Moscheen der anderen „in die Luft“ jagten, sei der gemeinsamer Nenner dieser Extremisten der Hass auf Juden.

Matthias Küntzel bei seinem Vortrag im Filmsaal des Augsburger Zeughauses
Die Selbstmordattentate, so Küntzel seien ein Produkt der iranischen Revolution. Im Iranisch-Irakischen Krieg der 1980er Jahre habe das iranische Regime Kinder zum Aufspüren von irakischen Minen eingesetzt. Die Kinder seien in den Schulen indoktriniert worden und bekamen von ihren Lehrern Plastikschlüssel als Belohnung und Anreiz. Heute gibt es im Iran einige Friedhöfe von Kindermärtyrern in welchem eben jene Plastikschlüssel die den Zugang zum islamischen Jenseits öffnen sollten auf den Grabsteinen liegen, was auch ein Besucher im Publikum, der in Teheran einen solchen Friedhof besucht hatte, bestätigen konnte. 1983 waren es dann auch schiitische Extremisten, die im Libanon den ersten international beachteten Selbstmordanschlag durchführten und rund dreihundert Menschen töteten, darunter 241 amerikanische und 54 französische Soldaten der UN-Friedensmission.
Sunniten kamen erst rund zehn Jahre später auf die Idee, Selbstmordanschläge zu verüben, nämlich die Hamas, die 1993 damit auf das Friedensabkommen zwischen Israel und der PLO reagierte. In den Folgejahren wurden palästinensische Selbstmordanschläge zum Markenzeichen der internationalen Aufmerksamkeit. Die Hamas selbst als Ableger der 1928 in Ägypten gegründeten Muslim-Bruderschaft sei zutiefst antisemitisch motiviert, was sich u.a. daraus ergebe, dass in den offiziellen Schriften der Organisation die berüchtigten „Protokolle“ positiv bewertet würden.
Den grundsätzlichen Konflikt sah Herr Küntzel in der Vorstellung der Islamisten „Gottesrecht vor Menschenrecht“, wonach alles andere, insbesondere auch die westliche (Lebens-)Auffassung “schlicht Anmaßung und Gotteslästerung” sei. „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“ hatten islamistische Extremisten den Israelis verbal entgegengehalten. Das bringe es auf den Punkt, so Küntzel, der einen „antisemitischen Krieg gegen Israel“ wahrnimmt (und dabei ein wenig an Hanna Arendts „antisemitische Internationale“ erinnerte). Dieser zielte auf die Vernichtung Israels ab.
Daraus folgt, dass es schlicht wahnsinnig sei, wenn Linke und einige Liberale in Deutschland und England gegen Israel demonstrierten, während Israels fanatische Todfeinde bagatellisiert würden. „Es darf aber kein Halbe-Halbe geben, denn mit dem Verzicht auf Klarheit beginnt bereits die Komplizenschaft.“ Für viele dieser Linken sei der Hass auf Israel in etwa das einzige, was von ihren früheren Idealen noch übrig geblieben sei. Aber das Problem sei natürlich tiefergehend, denn schließlich sei es ja nun mal Europa, das den Antisemitismus hervorbrachte. Im Mittelalter wäre es ja nun mal „erlaubt gewesen Juden anzuspucken“, das sei auch in Augsburg (wofür der Redner allerdings den Beleg schuldig blieb) und „ein Skandal wurde es erst, wenn ein Jude sich dagegen wehren“ wollte. In diese Psychologie passe es dann auch, dass man Attacken auf Israel ignoriert und erst dann reagiert, wenn Israel nach Tagen von Raketenangriffen zur Wehr setzt und zurückschießt.
Alles in allem sei es deshalb nun Wahnsinn, dem iranischen Regime, zu erlauben, Atom anzureichern, was früher oder später zu Atomwaffen führen würde. Die Iraner seien sich völlig bewusst, dass eine Bombe für Israel genügen würde, während ihr Land groß genug wäre, um mehrere Gegenschläge zu überstehen. Leider bestehe wenig Hoffnung, auf eine friedliche Lösung, da die Iraner in den Atomverhandlungen mit den internationalen Mächten, als Schachspieler überlegen seien, während „die Obamas und Steinmeiers“ … „ich würde sagen mit Würfeln reagieren wollen“.
Schon die Realität einer atomaren Bedrohung Israels durch den Iran würde den Charakter Israels als sichere Heimstätte für die Juden der Welt aufheben und einen „braindrain“, also ein Abwanderung der Bildungselite auslösen.
Um den Konflikt zu lösen, müsste die internationale Staatengemeinschaft sich dazu verabreden, Selbstmordattentate, “die Wiedereinführung des Menschenopfers“ weltweit zu ächten. Küntzel zitierte auch den ägyptischen Präsidenten Al-Sisi, der bei einem Treffen mit den Führern der religiösen Kairoer Universität sagte, dass es nicht angehen könne, dass “wir Muslime eine Religion haben, vor der alle anderen Angst haben”. Inzwischen könne man in TV-Talkshows deshalb wohl auch Atheisten und ihre Argumente hören, was vor wenigen Jahren in Ägypten undenkbar gewesen sei.
Und das sei eben auch ein entscheidender Punkt. Der gesamte Nahe Osten versinke derzeit mehr oder minder in Religionskriegen, wobei der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis im Grunde eine Marginalie sei, während man in Europa den letzten wesentlichen Religionskrieg mit dem 30jährigen Krieg vor rund vierhundert Jahren hatte und wo es in den USA einen solchen noch gar nicht gab. Man könne sich im Westen deshalb im Grunde auch nicht vorstellen, was die Leute dort motivierte und antreibt und dass es “aus unserer Sicht irrationale Motive” sein könnten, die sie dazu bringen ihr Leben zu opfern.
Zuletzt kam Matthias Küntzel noch auf die „historische Tatsache“ zurück, dass es im Berlin der Nazi-Zeit an Muslime gerichtete Radio-Propaganda in mehreren Sprachen gab. Die Nazi-Ideologie sei damals auch in arabischer, türkischer und persischer Sprache verbreitet worden und habe sich großer Beliebtheit erfreut und das an Muslime gerichtete Programm, die größte Abteilung der Auslandsredaktion gewesen. So habe dann auch Ayatollah Khomeini später davon erzählt, dass er als junger Mann immer „Radion Berlin“ gehört habe. Natürlich habe der Sender vor allem auch darauf abgezielt, die antisemitische Unheilslehre der Nazis in den Orient zu transportieren, wo Juden und Muslime bislang ganz überwiegend Freunde waren.
Aus der anschließendes Diskussion sind Erläuterungen von Herrn Küntzel oben schon mit berücksichtigt worden, Sie war insofern bemerkenswert, als dass sie keinen einzigen antiisraelischen Moment enthielt, ganz so als wollte man dem Einladungstext der Veranstaltung Rechnung tragen, wo es hieß: „Vor 75 Jahren bedurfte es in Deutschland einer gehörigen Portion Courage, mit Juden solidarisch zu sein. Der Nahostkonflikt hat es geschafft, dass Solidarität mit Israel heute auch nicht mehr zur Selbstverständlichkeit gehört.“
Von den selbst in Diskussionen im Rahmen von DIG-Veranstaltungen immer wieder betonten Palästinensern war kaum die Rede und niemand wollte sich zu ihrem Anwalt machen. In Deutschland erscheint das fast schon als eine Art Kuriosum.
Weitere Infos: http://www.matthiaskuentzel.de/contents/
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“Flyer” zu den Vorträgen von Küntzel und Stetter, die SPD warb nur mit dem Bild ihrer Abgeordneten
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Der zweite Vortrag tags darauf im Reichlesaal des Augsburger Zeughauses befasste sich thematisch nun recht ähnlich: „Der Nahostkonflikt: Schlechte Aussichten für den Frieden?“
Gekommen waren 47 Personen, wovon knapp ein Drittel sichtbar arabisch, türkischer Herkunft war (eine Frau), während nur knapp zehn Leute im Publikum saßen, die bereits am Vortag den Beitrag von Matthias Küntzel hörten. Eingeladen zum Vortrag hatte die Augsburger SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr. Redner war Prof. Dr. Stephan Stetter (geb. 1973), der 1996/7 durch ein Stipendium der SPD-nahen „Friedrich Ebert-Stiftung“ ein Jahr an der Hebrew University in Jerusalem studierte. Im Veranstaltungszettel von Frau Bahr wurde er vorgestellt als „Politikwissenschaftler und Konfliktforscher an der Universität der Bundeswehr München“. Thema sollte sein, welche „Strategien die deutsche Außenpolitik verfolgen kann, um zugleich israelische Sicherheitsbedürfnisse anzuerkennen und den palästinensischen Wunsch nach einem eigenen souveränen Staat zu unterstützen.“
Wie die Zuhörerschaft unterschieden sich beim zweiten Vortrag also auch Ansatz und Ausrichtung grundlegend. Stetter, der freilich ohne Berücksichtigung irgendeiner Form von Grammatik etwas Arabisch und Hebräisch spricht, und dies im ersten Drittel seines Vortrages immer wieder fast genießerisch gegenüber seinem indifferenten Publikum anklingen ließ, bemerkte, dass es unter Nahostexperten eine Art „running gag“ sei, zu betonen, das Thema sei „heute besonders aktuell“, denn oft ändere sich etwas in wenigen Stunden grundlegend, um hernach dann doch wieder altbekannt zu wirken.
Er begann seinen Beitrag mit einer etwas sprunghaften Abwicklung historischer Daten, wobei ihm offenbar selbst nicht ganz klar war, ob er dem in der Ankündigung betonten Schwerpunkt der deutsch-israelischen Beziehungen, gemeint sind die diplomatischen seit 1965, in Abfolge bringen soll, oder dann noch den „Holocaust“ würdigen sollte oder aber die zu den deutsch-israelischen Verhältnissen parallel verlaufende Geschichte „des Nahostkonflikts“. So kam es zu einer gewissen Verwirrung, einigen Zeitsprüngen und Motivwechseln und wie nach dem Vortrag gleich die erste Wortmeldung bewies, zu dem eher ungünstigen, sicher ungewollten Eindruck, dass Professor Stetter den Holocaust thematisch nur “kurz abhaken wollte, um dann sogleich die israelische Armee und Hamas gleichzusetzen oder Siedlungen mit Terroranschlägen auf eine Stufe zu stellen“.
Von Adenauer und der Wiederhutmachung in den 1950ern, die man auf English „Reparation“ nennen würde, dauerte es auch nur einen halben Satz, um etwas überraschend im Jahr 2000 und bei Johannes Rau zu landen, dessen Rede in der Knesset, auf Deutsch gehalten von einigen „rechten und religiösen“ Abgeordneten boykottiert worden war. Eine Bemerkung die vielleicht nicht zufällig den Raum einnahm, in welchen man etwas über das bilaterale Verhältnis hätte sagen können, irgendetwas über die 35 Jahre zwischen 1965 und dem Jahr 2000, beispielsweise, weil es den „Nahostkonflikt“ in besonderer Weise auf deutschem Boden verknüpft, ein paar Anmerkungen über das Olympia-Massaker von München und Fürstenfeldbruck, im September 1972. Etwas über den Stimmungswandel der Kibbutz-Romantik deutscher Studenten in den 1960ern hin zum antiisraelischen Imperativ im Jahrzehnt danach. Etwas darüber dass es Sozialisten wie Brandt und Kreisky waren, die wesentlich darauf hinarbeiteten Terroristen wie Arafat international hoffähig zu machen. Etwas über deutsche Waffenlieferungen an Kriegsgegner Israels bis hin zu Giftgaslieferungen an das Regime von Saddam Huseein. Sehr viel, sehr, sehr viel hätte man sagen können, zumiondest erwähnen können, um zu dokumentieren, dass man die vielschichtige Realität zur Kenntinis nimmt, die Geschichte weiß, weiß wovon man redet. Prof. Stetter aus München erwähnt all dies mit keiner Silbe, wohl aber jene einzelne jüdische Abgeordnete, die Johannes Rau nicht reden hören wollten. Ganz so, als wäre das der wesentliche Aspekt jener 35 Jahre. Eine rationale Gewichtung im Rahmen des selbstgewählten Themas ist das beileibe nicht. Stattdessen war es von Rau zu Merkel auch wieder nur nur ein Atemzug und man war im Jahr 2008 angekommen und bei der Feststellung der Kanzlerin, dass “Israels Sicherheit deutsche Staatsräson“ sei. Eine Aussage, die dafür gesorgt habe, dass “Angela Merkel in Israel überaus populär und beliebt” sei (eine zweifelsfrei sehr übertriebene Einschätzung), wenigstens gemäß Stetter, der damit vermeiden konnte, etwas zu den sicherheitspolitischen Aspekten dieser “Staatsräson” zu sagen, was bei ihm als Bundeswehr-Professor hätte durchaus von Interesse sein können. Dies tat er nur sehr indirekt, in dem er sagte, dass Israel “einer der wichtigsten Empfänger deutscher Waffenlieferungen” sei, wobei er wohl nur versehentlich vergaß zu erwähnen, dass es sich dabei um Käufe und nicht um Geschenke handelte. Zumindest gab es in der Diskussion hernach immerhin sieben Personen die sich mehr oder minder eindringlich dafür einsetzten, dass man Israel doch keine Waffen mehr schenken (!) sollte. Doch auch als er darauf angesprochen wurde, erwiderte er, dass es “durchaus Kooperationen geben” würde und dass “auch Deutschland von israelischer Technologie profitiere”, etwa im Ankauf von sog. Drohnen, milderte dies den Eindruck im Publikum eher nicht. So war auch an diesem Abend das seit Jahren herumgeisternde Thema der „deutschen U-Boot-Geschenke für Israel“ ein halbes Dutzend Mal bemerkt worden.
Aber warum sagt ein Bundeswehr-Professor nicht, was es damit auf sich hat? Dass Deutschland den Verkauf von U-Booten an Israel subventioniert, so wie es zahlreiche andere Waffengeschäfte in vielen Ländern der Welt subventioniert? Dass diese Subventionen Arbeitsplätze in Deutschland erhalten und internationale Konkurrenz absichtlich unterbieten. Dass Israel trotzdem hunderte Millionen Euro pro Boot zahlt und nur wegen dem Rabat drauf verzichtet, technisch zumindest gleichwertige U-Boote in Südkorea zu kaufen? Zumindest erfährt man von ihm, dass Deutschland nach den USA und China Israels drittstärkster Handelspartner sei, während die EU zusammengenommen eigentlich Nummer 1 wären. Über 600 Städtepartnerschaften gebe es zwischen Deutschland und Israel, auch eine “enge Forschungskooperation”, was ihm als bloße Bemerkung genügte. Mit dem Hinweis darauf, dass in der jüngsten Bertelsmann-Studie die “Kritik der Deutschen an Israels Politik” in den letzten Jahren “stark angewachsen” sei, war der bilaterale Aspekt für ihn auch weitgehend erläutert.
Prof. Stetter beim Vortrag mit Poster von Ulrike Bahr und irreführender * (s.u.) “Shrinking Palestine” Karte
Nun ging es ihn um 20 Jahre nach dem Abkommen von „Oslo 2“ (ohne zu erwähnen, was „Oslo 1“ wäre) und dass dies damals die Grundlage für die heutige noch vorherrschende Einteilung in A, B und C-Gebiete war. Damit kam er nun auch zum zweiten Strang des Abends, der Entwicklung des „Nahost-Konflikt“. Die Lage sei nach wie vor gefährlich, weil die humanitäre Situation in den palästinensischen Gebieten sehr schwierig sei. In seinen Schilderungen fiel auf, dass die Umgebung des Konfliktgebietes bei ihm nicht vorkam. Er sagte nichts über IS, über den Krieg in Syrien mit über dreihunderttausend Toten und vier Millionen Flüchtlingen binnen weniger Jahre, nichts über Kämpfe islamistischer Terroristen der Muslimbrüder und der Hamas im Sinai, nichts über die Hisbollah im Libanon. Stattdessen vertiefte er sich in den Kolonialismus der Europäer, die Aufteilung des Nahen Ostens in ein britisches und französisches Mandatsgebiet. Das ist zwar historisch korrekt, aber was hatte das gleich nochmal mit dem zwanzigsten Jahrestag von „Oslo 2“ und seinen Folgen zu tun? Die Briten hätten damals „gleich nach dem Ersten Weltkrieg“ sowohl Arabern als auch „den Israelis“ (der Staat Israel wurde erst 1948 gegründet) einen eigenen Staat versprochen, ohne ihnen zu sagen, dass sie das den anderen auch versprochen hätten. Das also hatte den „Nahostkonflikt“ ausgelöst? Man staunt.
Stetter hüpfte weiter durch Zeit und Raum und kam nun dazu, dass sowohl Araber als auch Israelis an einen Nationalstaat glaubten, in dem für die andere Seite eigentlich kein Platz sei. Etwas was in Bezug auf Israel nicht stimmt, wie auch ein Fragesteller bemerkte, der sich später nach „der Rolle der rund 20 % arabischer Israelis in dem Konflikt“ erkundigte, darauf aber nur eine sehr schwammige Antwort erhielt, dass diese sich wohl erst festlegen würden, wenn der Konflikt insgesamt gelöst sei, was immer das auch heißen mochte. Wie auch immer, habe es anfangs eben aber nur arabisch-israelische Kriege gegeben und keine israelisch-palästinensischen, da „die Palästinenser dafür viel zu schwach“ gewesen seien. Damit hatte der Professor, den Umstand, dass Israel sich gegen eine drückende Übermacht von allen Nachbarstaaten erwehrt hatte, ins genaue Gegenteil umgekehrt. Die Palästinenser gehörten plötzlich nicht mehr zu den Arabern, die Israel entgegen dem sonst so oft bemühten Völkerrecht überfielen. Auch die von 1948 bis 1967 anhaltende Besetzung durch Ägypten und Jordanien beanstandete der Akademiker nicht.
Der zunächst nur sporadische Siedlungsbau habe im wesentlichen erst nach dem Oslo-Abkommen zugenommen, weshalb es im Gegenzug ab 1996 zu Selbstmordanschlägen gekommen sei. Auch hier lag der Professor faktisch daneben, da die Hamas schon seit 1993 Anschläge verübte. Dann, also gleich noch mal “vier Jahre später”, „kam es zu dem berüchtigten Besuch von Scharom auf dem „haram-as-scharif“, dem Tempelberg“. Damals, so erläutert der Politologe, war auch der deutsche Außenminister Joschka Fischer zugegen. Auf dem Tempelberg, fragt man sich? „…während einer dieser Anschläge stattfand, in Tel Aviv.“ Hier wäre bei Frank Plasbergs „Hart, aber fair“ schon wieder der Faktencheck gefragt, den wir aber für die Feststellung, dass der Tempelberg nicht in Tel Aviv ist, nicht benötigen und sicher hatte der Professor das auch nicht sagen wollen. Dennoch zeigt es aber, wie seine Erinnerungen und Argumente teilweise wahllos in einander übergehen und zu scheinbar neuen Informationen werden, komprimiert zu einem „Gefühl“, wozu dann auch passt, dass sich ein jüngerer Fragesteller aus den Reihen des SPD-Nachwuchses explizit dazu meldete, um Stetter aufzufordern, kürzere und präzisere Antworten zu geben, was als Faktum gegenüber einem vortragenden Professor durchaus bemerkenswert war. Traut sich auch nicht jeder in diesem Land.
Scharons umstrittener Besuch auf dem Tempelberg war am 28. September 2000. Joschka Fischer traf sich am Samstagabend in Ramallah mit dem Palästinenser-Führer Arafat, zur selben Zeit, als vor der Discothek „Dolphinarium“ ein palästinensischer mit einer Nagelbombe ausgestatteter Selbstmordbomber 20 Menschen tötete, 17 davon waren junge Mädchen die in den Jahren zuvor aus Russland eingewandert waren. Joschka Fischer verlängerte seinen Aufenthalt und traf sich am folgenden Sonntag noch mal mit dem israelischen Premier Ariel Scharon, wozu das deutsche Magazin „Der Spiegel“ titelte: „Joschka Fischer – Friedensvermittler per Zufall“. Wie auch immer, war der Anschlag in Tel Aviv am 1. Juni 2001, etwa ein Dreiviertel Jahr nach Scharons Besuch auf dem “Tempelberg”. Auch war Joschka Fischer zum Zeitpunkt des Anschlags auf die israelische Diskothek nicht “vor Ort” in Tel Aviv, sondern in Ramallah mit Arafat. Irgendwas muss sich im Gedächtnis des Experten verselbstständigt haben. Neun Monate werden zu einem Abend, drei verschiedene Schauplätze (Jerusalem, Tel Aviv, Ramallah) verschwimmen zu einer Nachbarschaft. Was sollen da Details. Ist auch alles schon lange her und wer im Publikum achtet auch drauf. Man muss sicher nicht die exakten Daten auswendig parat haben, aber worin besteht eigentlich das Fachwissen, wenn man zur Dramatisierung Geschehnisse verschiedener Jahre und Orte in einen Erinnerungsmixer wirft, um dann einen mundgerechten Brei zu servieren, der ein Publikum ohne wesentliche Sach- und Ortskenntnis nur verwirren kann? Oder ist es Absicht?
Von Joschka Fischer kam er nun zur grundsätzlichen, damals schon formulierten deutschen Vermittlungsthese, den Terror und den Siedlungsbau zu beenden, womit beide ja tatsächlich gleichgestellt werden. Dass, so behauptet Stetter später auf Nachfragen, sei nicht seine Absicht, tat es aber dann doch immer wieder und betonte, dass „die derzeitige rechtsnationalistische Regierung“ in Israel das Land nur von Feinden umgeben sieht (wozu er eine entsprechende Karte zeigt), dass dies eine ideologische Sichtweise sei.
historische Etagen – Tür im Zeughaus
Man kommt nicht umhin, eine solche bei Stetter selbst zu ahnen, da er ein immer wieder durchschimmerndes Problem mit religiösen und nationalen Juden hatte, die er als eigentliche Gegner oder Bedrohung Israels definieren wollte, zumindest jenes Israels, dass ihm vielleicht gefallen könnte – denn Israel und Palästina, und das betonte er ebenfalls ausdrücklich, sei ihm eine Herzensangelegenheit. Doch während der Holocaust in Bezug auf “die Haltung zu Juden und Israel” immer wieder in die Argumentation einfloss, blieb die Motivation zu Gunsten der Palästinenser seltsam undefiniert. Im Gegenzug zog Prof. Stetter dann auch keines seiner Kriterien, die er auf Israel anwendete, auf Israel Gegner heran. Das könnte man (nach unser Regel) als antisemitische Grundhaltung konstatieren (nach der Antisemiten ihrer Kriterien zur Beurteilung Israels und Juden in anderen Fällen nie anwendeten, weil sie ganz genau wissen, wie absurd sie wären), … wenn es nicht tatsächlich zu banal wäre. Immerhin ist er aber mit dem Thema, als Angestellter des deutschen Staates, beruflich unterwegs. Das erstaunt, ein wenig.
Damit dies aber juristisch einwandfrei ist, berief sich Stetter immer wieder ganz ausdrücklich auf „das Völkerrecht“, freilich auch wieder ohne durchaus vorhandene Dispute darüber zu erwähnen, ganz so als gebe es keine Dispute und abweichende Definition, sondern nur eine universelle Interpretation “des” Völkerrechts. Natürlich weiß ein Politiologe, dass dem definitiv nicht so ist, aber der Anschein genügt auch hier: Geht es um Israel geht es um andere Gesetzmäßigkeiten. Er könne die Palästinenser dazu auch „nur ermutigen“, den Weg der internationalen Gerichtsbarkeit gegen Israel anzustreben und weiterzuverfolgen, damit der Siedlungsbau als “völkerrechtswidrig” verurteilt werde, da die einzige Alternative dazu Gewalt sei. Fragt sich nur, warum etwas verurteilt werden müsste, wenn das Urteil angeblich schon feststünde? Und warum ein Konfliktforscher nur die Alternativen kennt, die andere Seite entweder vor Gericht zu besiegen oder mittels Gewalt. Da letzteres wenig erfolgreich ist, empfiehlt sich aber wohl nur noch der Amtsweg. Doch auch hier bleibt alles recht vage. Was sollte passieren, wenn Israel vor Gericht verurteilt würde. Ein UN-Einsatz gegen Israel mit Beteiligung deutscher Truppen, um die Forderungen der Palästinenser durchzusetzen. Ist es das, wovon der Bundeswehr-Gelehrte träumt?
Die EU, so lässt er erkennen, habe unter deutscher Beteiligung beschlossen, keine Projekte in Siedlungen mehr zu unterstützen, was auch wissenschaftliche Kooperationen beträfe. Ein nächster Schritt wäre, Bewohnern aus den jüdischen Siedlungen keine Visa mehr zu erteilen, und dergleichen. Nun im Thema, wird klar, dass der Bundeswehr-Professor keineswegs einen neutralen oder gar vermittelten Standpunkt vertritt, sondern de facto Partei nimmt. Er machte sich zum Sprachrohr der leider nicht näher definierten oder differenzierten Palästinenser, an die er im Gegenzug weiter keine Anforderungen stellt, außer auf (den an sich verständlichen) “Terror” zu verzichten. Da dies aber in dieser Weise natürlich nicht allgemein einleuchtet, sollte man auch, wie er dreimal ausdrücklich betont, berücksichtigen, dass es natürlich nicht angehe, dass sich Juden im Ausland (d.h. außerhalb Israels) bedroht fühlen müssten. Im Umkehrschluss heißt es aber wohl, dass bedrohte Juden in Israel wohl nur logisch sind. Das musste dann auch einen jungen Araber beflügelt haben, der sich später zu Wort meldete und ganz sicher versöhnlich feststellen wollte, dass “es ja verkehrt ist, Juden mit Zionisten gleichzusetzen“. Das sollte man nicht tun, “so wie man ja auch nicht IS-Kämpfer mit Muslimen generell gleichsetzen” könne. Die Gleichsetzung von Zionisten mit IS-Kämpfern konnte der Redner so nicht mehr gutheißen, ebenso wenig wie die Feststellung einer alten Sozialdemokratin, die meinte, ob der Professor als Konfliktforscher eigentlich erklären könne, “wie ein Volk dem so was angetan wurde” (sie meinte wohl „die Juden) “selber imstande ist, mit anderen das gleiche zu machen“. Das wies er als Vergleich ebenso zurück, als unzulässigen “Holocaust-Vergleich”.

Und so ist das dann eben. Für die nun folgende Fragestunde, die nochmal 90 Minuten dauerte, war Prof. Stetter dann auch in wesentlichen Teilen damit befasst, die Geister, die er rief, wieder los zu werden, schaffte aber nur, dass einige der Zuhörer mit der Zeit aufstanden und gingen. Unter den zahlreichen Wortmeldungen, die sich als Mitgliedern der SPD, der Jusos und der Gruppierung „Pax Christi“ zu erkennen gaben, überwogen deutlich antiisraelische, teilweise antisemitische Ressentiments (etwa, „warum man eigentlich nur den Juden erlaube, sich permanent über das Völkerrecht hinwegzusetzen“ …). Davon ab hob sich dann aber “ausgerechnet” ein kurdischer Mann aus Syrien ab, der sagte, dass er als Kind zum Hass auf Israel erzogen worden sei und nie etwas anderes kennen lernte, bis er nach Deutschland kam, in einer Zeit, als der Westen noch mit Assad paktierte und feststellte, dass die Wirklichkeit doch eine ganz andere sei und dass man die Islamisten und Nationalisten auf jeden Fall stoppen müsste. Sie seien das Übel, nicht Israel. Seine Ansicht unterschied sich damit grundlegend von der Einschätzung des Redners, der die gesamten Kriege in Nahost als „Folge des amerikanischen Angriffs auf den Irak“ bezeichnet hatte. Die Familie des Kurden war schon vorher geflohen.
Abschließend resümierte Prof. Stetter seine Perspektive für den „Nahostkonflikt“, die im wesentlichen auf der mehr oder minder bekannten Zweistaatenlösung beruht. Um sie zu bewerkstelligen müsse man vor allem Druck auf Israel ausüben, jedoch mittels politischen Maßnahmen und völkerrechtlichen Initiativen. Nicht unwesentlich sei auch, in wie weit es gelingen könne, jüdische Gemeinden in Europa und den USA mit einzubeziehen, um zu verdeutlichen, dass es um”gemeinsame Werte” ginge. Also gemeinsam im Sinne die Welt kontra Israel? Anknüpfend an den vorherigen Diskussionspunkt heißt das in der Praxis dann auch, dass Juden in Europa sicher fühlen sollen und auch dürfen, vorausgesetzt, sie distanzieren sich von Israels „Politik“. Das ist im Grunde recht perfide im Kalkül, zumal es auch in diesem Punkt die Bedrohung von Juden im Grunde rechtfertigt und zu ihrer Einschüchterung ermuntert. Man wäre als Jude nur noch willkommen, wenn man sich zum Kronzeugen gegen Israel instrumentalisieren ließe oder schlicht den Mund halte. Etwa so wie es im Iran der Fall ist. Kein Wunder, dass das iranische Regime, dass auch aktuell noch immer Oppositionelle oder Homosexuelle hinrichtet, als gemäßigt gilt, während Israels Regierung als “rechtsaußen” tituliert wird, wohl wissend, welche falschen Assoziationen diese Begriffe gerade in deutschen Ohren haben, haben müssen.
Kurzfristig jedenfalls sieht der Professor keinen Frieden, stattdessen im nächsten Sommer 2016 bereits den nächsten Gaza-Krieg. Das war zum Schluss dann wenigstens mal konkret und wird sich in einem Jahr überprüfen lassen. Realistisch ist die Einschätzung nicht, sind 2016 doch US-Wahlen.
Vergleicht man die Positionen der beiden Redner, könnte man sie fast für “Konfliktparteien” halten, obwohl es tatsächlich nur ihr Gewerbe ist, darüber zu reden (… i red blos …) und zu schreiben. Dass der Vortrag von Küntzel stilistisch um zwei Klassen besser, strukturiert und plausibel war, während der von Stetter hingegen reichlich konfus und unzusammenhängend wirkte, mag an der Tagesform und der Vorbereitung gelegen haben. Es ist ihr Job. Sicher nicht nur, sie wirken beide sehr überzeugt von dem was sie meinen, aber man merkt beiden trotzdem auch an, dass es mehr mit ihnen selbst zu tun hat, als mit den Personen, über die sie sprechen. Wo Küntzel immer wieder die Nazis und ihren Einfluss auf die Muslime betont, so als wäre Hitler ein Prophet des Islam (und so als hätten Muslime sonst wenig anderes im Sinn), kommt Stetter immer wieder auf den Holocaust zurück, und lässt erkennen, dass es ihm tatsächlich ein Anliegen zu sein scheint, „die Juden vor einem zweiten Holocaust bewahren“, was nur eine andere Form von extremen KopfzErBrechen ist. Und da dies sicher nicht nur akademisch, sondern in ihren realen Biographien verankert ist, betont Küntzel öfter seine iranischen Freunde, Stetter ständig seine israelischen. Zur eigenen Biographie gehören aber auch die eigenen Vorfahren und da scheint eher der (psychologische) Schlüssel zu liegen. Gedanklich, er muss nicht aus Plastik sein.
Das ist letztlich nun so, als wenn jemand sich permanent abschätzig über Frauen äußert und auf Anfrage sagt: Aber wieso denn frauenfeindlich, ich bin doch selber verheiratet!??
Aber es hilft nichts, da es trotzdem nur eine Selbstbespiegelung bleibt. Sie hat mit Bauchgefühlen zu tun und der Themenkomplex Holocaust-Juden-Nahost beschäftigt auch die Köpfe und Gemüter der Besucher sehr. Sie alle scheinen kaum ein wichtigeres Problem oder Sorgen zu haben. Ein Mann in einer Gruppe ist mit dem Satz zu hören “Wir beten regelmäßig für einen Frieden zwischen Palästinensern und Israelis“. Dann kann eigentlich kaum was schiefgehen. Schließlich gewinnt der HSV ja auch regelmäßig beim FC Bayern, weil sich Hamburger Fans das im Vorhinein so wünschen.
Wohl ganz im Sinne von Bertolt Brecht: “Jeder Deutsche hat die eherne Pflicht zu glauben, dass die Welt von seiner Meinung abhängt.”
Nach der Veranstaltung saß ich kurz noch mit einem (muslimischen) Libanesen im Biergarten zu einem Glas dunklem Bier und einer gemeinsamen schwäbischen Brezgen. Wir waren uns schnell in den meisten Punkten einig: gutes Bier, gutes Wetter, und darüber, dass das eigentliche Problem in der Region Europa unausweichlich bald um die Ohren fliegen wird: der Krieg in Syrien. Spätestens mit dem Iran-Deal und/oder dem Eingreifen der Russen zugunsten des letzten Nazi-Regimes on the planet.
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Sachliche Erläuterungen, auf die Prof. Stetter verzichtete, trotz dem “Raunen”, das die Karte beim Publikum der SPD auslöste.
What “BDS” actually means
July 10, 2015“BDS” the so called Israel-boycott “movement”, run by duplicitous people who ask not to boycott any other country in the world. Wonder why they just want to single out the Jewish state? Here comes the rather unpleasant explanation:
BDS explained: blind, dense & sickening