Am gestrigen Nachmittag (2.5.20) fanden sich ca. 311 Personen am benachbarten Augsburger Königsplatz zu einer „Demonstration gelebten Übermuts“ ein.
Dicht gedrängt, als gelte eine Abstandsregel von 15 cm, begehrten sie “mutig” auf, gegen weitgehend schon wieder aufgehobene Einschränkungen seitens des Staates und der Kommunen. Selbige verlangten von der Allgemeinheit aus nachvollziehbaren Infektionsschutzgründen Vor- und Rücksicht zu nehmen. Für die Protestanten war dies freilich nur ein Vorwand, um sie daran zu hindern, zum Friseur zu gehen oder Billig-Teppiche bei KiK zu kaufen. Ganz zu schweigen vom Einkauf im Baumarkt oder vom Schunkeln im Bierzelt.
Ein Großteil der Versammelten verzichtete auch auf die nunmehr allseits empfohlenen Mund-Nase-Schutz-Masken, sehr viel mehr hatten aber Regenschirme mit sich. Auch das Wetter meinte es nicht gut mit den Demonstranten, da es sogleich zu regnen begann.
Ein paar Leute saßen auch in Meditations-Pose auf mitgebrachten Kleinteppichen, freilich ohne erkennbaren Einfluss auf das Wettergeschehen.
Es wurden teils bizarre Reden gehalten, mit Anklängen an einschlägig bekannte „Verschwörungstheorien“. Aber immer wieder auch zum selbst-attestierten „Mut“, den viele Redner und Teilnehmer hervorhoben. Sie bezogen sich dabei auf ihr Grundrecht, sich zu versammeln.
Es ist kein explizites Grundrecht, im Regen zu stehen, wo man die Truppe auch getrost stehen lassen konnte.
Grundrechte sind erst dann in Gefahr, wenn der Rechtsweg ausgeschlossen wird. Davon kann freilich nicht die Rede sein.
Die Polizei umgab den kleinen, dichtgedrängten Haufen in weitem Abstand, unternahm sonst nichts weiter. Eigentlich wie in vor-Corona-Zeiten.
Der trotzdem überbetonte „Mut“ freilich, sich gegen eine müde, ja gähnende “Staatsmacht” unter Regenschirmen zu versammeln, ist reine Imagination. Sonderbar auch die offenbare Annahme, jene Schirme könnten den „Herden-Schutz“ bewirken.
Um mit den Worten Stefan Zweig zu sprechen: „Jede Widerstands-Geste die kein Risiko birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“
Zum Abschluss stimmten die in sich schwelgenden Selbstverliebten das Lied „Freiheit“ von Marius Müller-Westerhagen an.
Dort freilich heißt es auch:
„Alle, die von Freiheit träumen,
sollen’s Feiern nicht versäumen, sollen tanzen,
… auch auf Gräbern“.
***
Nun ja …: Mut? Übermut?
Für sich selbst sprechen auch diverse selbstgemalte Transparente der Kundgebungsteilnehmer
„Warum schadet Meinungsfreiheit der Gesundheit?“ (Ja, das fragt sich auch die Tabak-Industrie…)
„Ich will mein Grundgesetz zurück!“
„Zensur, Diktatur, Impfzwang! – Nein Danke!“ (Man beachte die Zuspitzung in der Aufzählung!)
„Der Kapitalismus ist das Virus. Revolution Now!“
„Panikmacher isolieren! Widerstand 2020!“
„Impfzwang = Körperverletzung“
„Impfpflicht? Träumt weiter!“
„Isolation tötet!“
„Wieviel laßt Du dir gefallen?“
Aber es gab am Rande auch solches zu lesen:
„Den Staat zu kritisieren ist wichtig, aber diese Verschwörungstheorien werden Leben kosten!“
(Text: יהודה שנף, Fotos: عادل ساڵح )
“Von Spiel zu Spiel denken …”
March 23, 2016„Wir müssen von Spiel zu Spiel denken“ lautet eine oft gehörte Phrase von Fußballern, wenn sie betonen wollen, dass sie angesichts der schwierigen Aufgaben in den bevorstehenden Wochen besonders konzentriert zu Werke gehen müssen oder wenigstens wollen, klappt ja trotz Vorsatz nicht immer. Jedenfalls: man macht keine großen Pläne, sondern geht Schritt für Schritt vor und arbeitet die Aufgaben, die vor einem liegen, bestmöglich ab …
Ob es daran liegt, dass wie in diesem Jahr, das jüdische Purim und das christliche Oster-Fest sich begegnen, was wegen des hebräischen Schaltmonats „Adar 2“ nur alle paar Jahre vorkommt, jedenfalls erinnert die Synchronizität daran, dass es im Judentum und Christentum ein paar (äußerliche) Ähnlichkeiten gibt. Da wäre etwa das Purim-Spiel, in welchem – meist Kinder – die Geschichte von Ester und Mordechai am Königshof im persischen Schuschan nachspielen, öfter mal improvisiert, fast immer eher komisch. Sicher nicht ganz damit zu vergleichen, aber gleichfalls bereits mittelalterlich überliefert, sind die christlichen Passionsspiele, in welcher, in der Regel eher ernst als komisch, die Leidensgeschichte des Jesus nachgestellt werden soll. Welche der beiden Traditionen die ältere ist, ist nicht sicher zu belegen, ist aber aus heutiger Sicht letztlich auch egal, da die zeitgenösische Art und Weise Purim zu feiern, längst mit der christlichen Tradition des Karnevals verschmolzen ist, wenigstens optisch, d.h. was die Art der Kostümierung der Kinder anbetrifft. Neben zahlreichen Indianern und Cowboys finden sich in der Regel die aktuellsten Filmfiguren, Superman, Batman, Shrek, Minions, Star Wars, Harry Potter, Simpsons, oder was eben gerade “in” ist und für den ungeübten Betrachter die grundlegende Erzählung des Geschehens am persischen Hof mitunter etwas erschwert. Selbst im „ultra-orthodoxen“ Bne-Brak können Kinder auch rote Weihnachtsmützen tragen, die jemand wahrscheinlich als Weihnachtsmarkt-Souvenir aus Deutschland mitgebracht hat und dergleichen mehr. Christlicherseits kamen bislang aber wohl selbst liberale Reformer noch nicht auf die Idee Fasching und Passionsspiel zu vermengen, was am wahrscheinlichsten damit zu tun hat, dass das eine vom anderen kalendarisch strikt getrennt wird.
Eine weitere strukturelle Gemeinsamkeit zwischen Purim und Ostern besteht im Umstand, dass es in beiden Festen den seltsamen Brauch gibt, dass man symbolisch den Teil eines Menschen isst, und zwar in Form eines Backwerks. Bei den Christen ist dies bekanntlich die Hostie (lat. eigentlich Opfertier), im (europäischen) Judentum sind das die Haman-Ohren, die in Anspielung auf die jiddische Aussprache „ha’mon“ meist mit Mohn gefüllt sind, zudem mit reichlich Zucker bestreut und deshalb letztlich kaum etwas mit den kargen „Obladen“ zu tun haben, die Christen bei der spartanischen Eucharistie zu sich nehmen. Zu der gibt es freilich aber auch noch den Wein und den gibt es beim Purimfest eben auch, reichlich, ja überreichlich. Immer wieder kolportiert wird das (freilich nur angebliche) „Gebot“, das man sich als Jude an Purim so sehr betrinken soll, dass man Haman (den Schurken) und Mordechai (den Helden) miteinander verwechselt – Haman und Mordechai wie gesagt, und nicht, wie man aufgrund der Anzüglichkeiten meinen könnte Jesus und Haman, obwohl beide öffentlich von den jeweiligen Herrschern hingerichtet worden sein sollen. Freilich hatte der eine zwölf, bzw. elf Anhänger (Schüler/Jünger), der andere hingegen zehn Söhne, die mit ihm aufgehängt wurden. Da verwechselt man doch eher noch Persien mit Pfersee …
Andererseits sitzen in der klassischen Abendmalszene christlicher Maler eben nur ein Dutzend „Jünger“ mit am Tisch des Jesus, während ein chassidischer Rebbe an seinem Purim-Tisch schon mal hundert oder noch mehr Leute empfangen kann. Kein Wunder eigentlich, dass es im Judentum zu Purim fast ein Tanz-Gebot gibt, während Christen an Karfreitag ein Tanzverbot haben, das selbst in mutmaßlich “weltanschaulich neutralen” Staaten wie Deutschland übrigens auch sogar ein gesetzliches Verbot ist. Heute ist das kein wesentliches Problem (mehr), aber man kann sich denken, wie das in früheren Zeiten war, wenn Feiertage und Bräuche aufeinanderstießen …
Man sieht es handelt sich eher um strukturelle Ähnlichkeiten als um tatsächliche Übereinstimmungen, von denen es zugegeben aber dann doch noch einige weitere gibt, etwa die Szene des Tanzes der Salome, der „das halbe Königreich“ angeboten wurde, wie zuvor bereits der Ester im Buch der Ester … aber nicht alle Verwechslungen beruhen auf Alkohol, weiß man ja. Da Purim und Ostern sich in den meisten Jahren kalendarisch eben nicht begegnen, ist das alles auch nicht weder verwunderlich noch tragisch. Wir denken einfach von Spiel zu Spiel.
An Purim lohnt es sich allerdings auch daran zu denken, dass sich in der Geschichte der Ester, mehr noch in ihrer Person auch bereits die messianische Hoffnung der Rettung des bedrohten Volkes Israel verkörpert. Da Ester („nur“ ?) eine Frau ist, ist das für viele Leute ein eher ungewöhnlicher Gedanke, aber das besagt dann ja nur etwas über die eigenen Gewohnheiten. Wer mehr dazu wissen will, kann es nachlesen im 12, Kapitel des Buches
„666 die Zahl des Menschen, das Mysterium der Apokalypse im Spiegel jüdischer Geschichte“
von Yehuda Shenef
ISBN: 978-3739238159
304 Seiten, 18 Euro