Es war schon mit einem gewissen Aufwand verbunden, den Bericht der “Augsburger Allgemeinen” zur gemeinsamen Begehung des jüdischen Friedhofs an der Hooverstraße mit den Lokalpolitikern Dr. Christian Kreikle und Stefan Quarg in der vergangenen Woche, überhaupt zu bekommen. Der von Peter K. Köhler verfasste Artikel in der “Wertachanzeiger”-Ausgabe “AZ vor Ort” vom gestrigen Donnerstag fand sich nämlich nicht in den Exemplaren am Oberhausener Bahnhof, an diversen Tankstellen und Zeitungsläden im Verbreitungsgebiet (Oberhausen, Bärenkeller, Kriegshaber, Pfersee und Innenstadt).
AZ vor Ort: “Gut gemeint, aber nicht gut gemacht“
Eine Rarität der Artikel trotzdem nicht, aber er enthält doch eine überraschend hohe Anzahl an Ungenauigkeiten – wahrscheinlich muss man dem an jenem Tag sichtlich leidenden Autoren des Artikels, die in hießigen Breiten doch eher ungewohnten, fast israelischen Temperaturen von beinahe 40° C als mildernden Umstand zugute halten – doch einige Anmerkungen und Korrekturen bedarf es nun doch, da andernfalls der Eindruck erweckt werden könnte, als stammten diese oder jene Aussagen von unserer Seite. Wer uns kennt oder öfter hier liest, wird das sofort erkennen.
„Die meisten Grabsteine in der Ruhestätte sind so verwittert, dass die Inschriften nicht mehr zu lesen sind. Das stört Yehuda Shenef vom Jüdisch Historischen Verein nicht, es entspricht dem natürlichen Lauf der Dinge.“
So wie wir Yehuda Shenef kennen, stört ihn das durchaus, sehr sogar.
„Der Friedhof war lange Jahrzehnte ziemlich verwildert…“
Das Gegenteil war der Fall. Das Gelände war bis in 1950er Jahre faktisch baumfrei. Die Verwilderung des Friedhofs machte sich vor allem ab 2005 bis 2007 breit.
„Anwohner kommen ebenso wie Ehrenamtlich von St- Thaddhäus, etc.“
Das war in der Vergangenheit durchaus der Fall, gab es aber zuletzt Ende 2009, nicht mehr aber seitdem das bis dato leer stehende Friedhofswächterhaus im Mai 2010 neu vermietet wurde.
„Im 17. Jahrhundert wurden die Juden aus der Stadt vertrieben.“
Die sog. „Ausweisung“ aus Augsburg erfolgte mit dem Beschluss von Sommer 1438 (also zu Beginn des 15. Jahrhunderts), wobei den Juden eine Frist von zwei Jahren eingeräumt wurde, ihren Besitz in der Stadt zu verkaufen. Von einer „Vertreibung“ kann und konnte auch keine Rede sein und war unsererseits auch nicht. Nicht nur in den Jahren nach der ominösen 2-Jahres-Frist, sondern eigentlich auch in den fortlaufenden Jahrhunderten gab es mit wenigen Ausnahmen weiterhin Juden die in Augsburg lebten und arbeiteten. Darüber haben wir auch auf diesem Weblog schon des Öfteren berichtet.
„… Dort finden sich Namen mancher in Kriegshaber ehemals bekannter Familie wie Einstein oder Goldstein“.
Die Kriegshaber Familie „Einstein“ ist sicherlich in den letzten Jahren wieder bekannter geworden durch Publikation (etwa von Gernot Römer oder im Rahmen der „Lebenslinien“-Reihe des Jüdischen Kulturmuseums), von unserer Seite sicherlich nicht. Nicht weil wir etwas gegen die Familie Einstein oder gegen Viehhändler hätten, sondern weil unsere Schwerpunkte andere sind und wir ganz gewiss mehrmals auf verschiedene Personen aus den Familien Ulmo, Wertheimer und Obermayer, aus weiter zurückliegenden Zeiten hingewiesen haben.
Der Name „Goldstein“ ist uns im Zusammenhang mit dem Friedhof an der Hooverstraße noch nie begegnet, jedoch wurden wir schon Dutzende Male nach einem „Metzger Goldstein“ in Kriegshaber gefragt, ob dieser denn jüdisch sei. Nun, wahrscheinlich doch nicht, denn nicht alles was glänzt, ist auch jüdisch … Auch die Goldbären von Haribobo sind ja keine jüdische Erfindung und weder Silber- noch Goldfisch sind koscher. 😉
Gäbe es in der Region einen koscheren Metzger, hätte sich das übrigens auch deutschlandweit und darüber hinaus längst rumgesprochen, denn jüdische Metzger sind heute in Deutschland so selten, dass sie praktisch an einer Hand abzuzählen sind, ohne dass man alle Finger beanspruchen müsste.
„Grabstätten … werden nicht mit Blumen bepflanzt, sondern mit Rasen bedeckt.“
Das mit dem Blumen stimmt, das mit dem Rasen ergibt sich allenfalls von selbst, geschieht aber nicht gezielt oder absichtlich. Zur Kennzeichnung des Grabes gibt es das Grabdenkmal zu Ehren und zur bleibenden Erinnerung des Verstorbenen.
„Nach der Beerdigung wird wie auf christlichen Friedhöfen, ein Grabstein oder eine Grabplatte gesetzt, eine intensive Grabpflege ist in der jüdischen Tradition nicht üblich.“
Soweit wir es verstanden haben, werden christliche Gräber an die Angehörigen der Verstorbenen auf Zeit vermietet. Wird diese Pacht nicht verlängert, wird das Grab ausgehoben und der Platz vermietet an Leute die zahlen können. Darin eine „intensive Grabpflege“ zu sehen, käme uns nicht in den Sinn.
Die auf die Dauer der Welt ausgerichteten jüdischen Gräber dürfen und sollen durchaus gepflegt werden und wo es noch Angehörige gibt, findet das auch statt. An der Pflege muss aber nichts „intensiv“ sein, es reicht aus, wenn sie regelmäßig ist und jede Form von Verfall verhindert. Das gebietet schon das Gebot der Tora: „Ehre Vater und Mutter, damit du selbst lange lebst auf dem Land, dass Gott dir gibt …“ Was die Tora damit sagt ist dies: Wer das Andenken an seine Vorfahren nicht ehrt und pflegt, hat keine Kultur und weder Vergangenheit noch Zukunft.
„Die Grabsteine oder Platten verwittern im Lauf der Zeit als Symbol der Vergänglichkeit“.
Nein, wenn dem so ist, dann als Indiz mangelnder Pflege.
„Kriegshaber war lange Zeit ein Zentrum der jüdischen Gemeinde.“
Nicht nur Kriegshaber, sondern in mindestens derselben Weise auch Steppach und vor allem doch Pfersee.
„Juden errichteten auf den wenigen Grundstücken, die sie erwerben durften…“
Sie unterlagen keinen anderen Bedingungen als Christen die Grund und Boden erwerben konnten, stellten aber für einen größeren Teil der Kriegshaber Geschichte die Bevölkerungsmehrheit im Dorf. Der Ortskern von Kriegshaber an der ehemaligen Hauptstraße war fast ausschließlich von Juden bewohnt. Dort befindet sich auch die ehemalige Synagoge. Der Kirchenbau auf der anderen Straßenseite war auch nur deshalb möglich, weil die jüdische Gemeinde das Grundstück dazu verkaufte. Eigentlich sollte hier um 1846 eine neue, wesentlich größere Synagoge gebaut werden, für die bereits die königliche Baugenehmigung aus München vorlag und u.a. auch Spendengelder von der Bankierfamilie Rothschilds eingetroffen waren, jedoch hatten nun zu viele Juden Kriegshaber in Richtung Großstädte und USA verlassen. Der Neubau hatte sich nicht mehr rentiert und man sanierte stattdessen die alte Synagoge, die jetzt auch wieder renoviert wird, jedoch als „Museum“.
Als letzte Kritik wollen wir schließlich noch darauf verweisen, wie eigenartig es doch ist, dass auch in der Bildunterschrift Dr. Kreikle namentlich nicht erwähnt wird. Das ist insofern eigentümlich, da er den Termin organisert hatte. Unsererseits jedenfalls danken wir ihm dafür ausdrücklich. Wie in der angeschnitteten Kurzmeldung neben dem Artikel zum jüdischen Friedhof noch zu sehen ist (- das alte Rathaus von Oberhausen, welches angeblich kein Denkmal sei und deshalb abgerissen werden könne), hat längst nicht jeder Stadtteil fähige Lokalpolitiker mit einem Gespür für Geschichte und Zusammenhänge. Eigentlich fehlen sie an allen Ecken und Enden.
Rückkehr des Wildwuchs am jüdischen Friedhof Kriegshaber
June 20, 2013Seitdem wir im Frühjahr 2010 die anhaltende Pflege am jüdischen Friedhof an der Hooverstraße in Kriegshaber aufgeben mussten, hat sich in vielen Teilen des Geländes wieder der früher vorallem von 2005 bis 2007 angewachsene, teilweise dschungelartige Wildwuchs ausgebreitet. Davon betroffen sind viele der Jahrhunderte alten historischen Grabsteine, wie auch die an vielen Stellen ohnehin brüchige und einsturzgefährdete Mauer. Dass nun stattdessen der auch früher schon nicht vernachlässigte Rasen permanent mit dem Mähtraktor nachgeschnitten wird, als wollte man eine Art grünen “Zweitagebart” verhindern, ist dann bestenfalls nur Kosmetik. Von zwei Zentimeter hohen Grashalmen geht jedoch keine Gefahr aus, anders als von brüchigen Mauern und maroden Bäumen.
im Dezember 2009 vom Wildwuchs befreiten Mauer
Im Vergleich dazu nun der ganz aktuelle Zustand dieses Abschnitts vorgestern (18. Juni 2013):
Erstaunlich was in nur drei Jahren des Wegsehens an Wildwuchs entstehen kann.
Wie die Mauer werden auch alte Grabsteine komplett vernachlässigt und dem Wildwuchs zum Fraß vorgeworfen, obwohl in den letzten Jahren immer wieder die schweren Beschädigungen durch Efeu und Gestrüpp ausführlich dokumentiert und thematisiert wurden und der Wildwuchs wie an der Mauer bereits beseitigt worden war. Die nun aber seit Jahren wieder ausbleibende Pflege macht frühere Anstrengungen “natürlich” hinfällig.
Die Mühlen malen langsam wie sich auch 2013 nicht leugnen lässt und sichtlich will niemand das Kind mit dem “Bade” ausschütten. Die Zeit bleibt aber nicht stehen und der Wildwuchs wird nicht aufhören, so es keine Pflege gibt. Versäumnisse werden nicht geringer, wenn man sie ignoriert, sie werden mehr und erschewren nur künftige Lösungen. Bleibt zu hoffen, dass die jüngsten Ortstermine und Beratungen zur Zurkunft des Friedhofs die vorgesehnen Verbesserungen bewirken können. Angesichts der bei manchen durchaus weiterhin vorhandenen Gleichgültigkeit besteht zu Optimismus wenig Anlass, während andererseits aber äußerer Druck einmal mehr zum Handeln zwingt. Erkennen wir darin die (vielleicht wiedermal letzte) Chance.
(photo: Margit, all others: yehuda)