Über einen Kilometer lang zieht sich in Burghausen die mal als “längste Burg Europas”, dann als “längste Burg der Welt” beworbene Burganlage hin, die eigentlich aus sechs ineinander übergehenden einzelnen Burgen und Höfen besteht. Wie dem auch sei, bieten die alten Gemäuer eine schier endlose Anzahl reizvoller Bildmotive, Filmkulissen und Ausblicke auf die Altstadt, zur Salzach oder ins benachbarte Österreich am anderen Flussufer. Die ältesten bekannten Dokumente reichen etwa auf das Jahr 1025 zurück. Das Stadtrecht erhielt der Ort im Jahr 1235. Seit 1293 sind Wittelsbacher als Herren der Burg nachweisbar. Spätestens seit 1307 sind auch Juden auf den Märkten von Burghausen als Händler und Salzfertiger belegt. Aus den Beziehungen zwischen Augsburg und Landsberg am Lech wissen wir bereits über die Bedeutung des Salzhandels in der damaligen Zeit und den Anteil jüdischer Händler daran. Offenbar verfügten die Juden in Burghausen aber auch über eigene Metzger, da die Polizeiordnung von 1307 ganz ausdrücklich „auch der Juden flaisch“ erwähnt. Ein knappes halbes Jahrhundert später ist davon zu hören, dass der Burghausener Schreiber, der höchste Beamte, mit 14 Pfund Regensburger Pfennige bei einem Juden und dessen Frau verschuldet ist und fürs Pfund wöchentlich 3 Pfennige Zins an ihn entrichtet. Bei 240 Pfennigen pro Pfund, entsprach dies einem Wochenzins von 1/80, bzw. 1.25 %. Aufs Jahr berechnet wäre dies ein Zins von 65 %, was damals durchaus üblich war und auch heute noch am unteren Ende der Zinsskala bei Pfandleihen ist.
Ob es damals eine zumindest kleine jüdische Gemeinde mit eigener Synagoge oder Betsaal gegeben hat, kann nur vermutet werden, da Belege dafür fehlen. Da aber die Wege damals recht beschwerlich waren und die Siedlungen akut hochwassergefährdet, spricht mangels anderer Erklärung vieles dafür. In späteren Zeiten nach dem 17. Jahrhundert fehlen jedoch Notizen über Juden in Burghausen. Dies mag auch damit zu tun haben, dass die Entwicklung des Ortes durch zahlreiche Überschwemmungen stark behindert wurde, während die Burg zu abseits gelegen war, ihre strategische Bedeutung jedoch beibehielt. Pestepidemien, Bauernaufstand und Kriege warfen Burghausen noch weiter zurück, weshalb der Ort im 18. Jahrhundert sehr verarmt war. 1763 wurde Burghausen zur Garnisonsstadt ernannt und die Burganlage maßgeblich verändert.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs entstand bei Burghausen das Wacker Chemie Werk, das heute noch rund zehntausend Beschäftigte hat und u.a. Lösungsmittel, Kunststoffe, Pestizide usw. herstellt. Mit Wacker erlebte Burghausen nun ein rasantes Wachstum. Während die Bevölkerungszahl um 1800 nur knapp 2000 Personen betrug und um 1915 nur eben 3000 Menschen im Ort lebten, hatte sich die Zahl 1930 bereits verdoppelt. 1950 war die Einwohnerzahl bereits über 10.000 gestiegen. Mit Eingemeindungen ist die Zahl der Einwohner heute auf etwa 18.000 gestiegen.
Der 1882 in Wien als Sohne einer jüdischen Anwaltsfamilie geborene Eugen Galitzenstein arbeitete seit 1918 als Chemiker bei Wacker in Burghausen, nachdem er im ersten Weltkrieg als Leutnant der deutschen Wehrmacht kämpfte. Dr. Galitzenstein hatte als Chef-Chemiker der Firma wesnetlichen Anteil am weiteren Aufstieg des Unternehmens Obwohl er zum Christentum konvertierte, wurde er 1938 als „rassischer Jude“ verfolgt und in der sog. Reichskristallnacht drangsaliert – wohl weil es in Burghausen keine Synagoge gab, die man zerstören konnte. 1939 gelang es ihm auszuwandern. Am 29. Januar 1947 starb er im Londoner Exil.
Die nach ihm benannte „Villa Galitzenstein“, die einen eher bescheidenen Eindruck macht, wurde von der Firma übernommen und beherbergte bis zum Abriss im Jahre 2005 das Unternehmensarchiv. Zumindest das Grundstück der Familie, die in den ersten Jahren auf der Burg wohnte, war aber offenbar groß genug. Im Jahr 2010 wurde das Grundstück der Familie als Botanischer Garten der Stadt Burghausen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wobei der Grundriss es Hauses im Park erhalten wurde, warum auch immer. Im März dieses Jahres wurden sog. Stolpersteine verlegt, die an Dr. Eugen Galitzenstein, seine Frau Auguste (geb. Grün) und die drei Kinder Charlotte, Irene und Walter erinnern, die allesamt die Naziverfolgung überlebten.
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