

Das jüdische Museum, eine Stiftung des öffentlichen Rechts des deutschen Staates, in Berlin wurde am 9. September 2001 eröffnet. Die Konzeption des Museums sah vor, abseits vom “dominierenden Holocaust” jüdische Geschichte in Deutschland in den zwei Jahrtausenden davor zu vermitteln. Wahrscheinlich wählte man deshalb auch einen 9.9. anstelle eines sonst üblichen 9.11. als markantes Datum zur Eröffnung, ohne zu ahnen, dass zwei Tage später ein neues, weit populäreres Datum entstehen würde. Bei der Eröffnung in Anwesenheit von Bundespräsident Rau und Kanzler Schröder betonte Werner Michael Blumenthal (geb. 1926, von 1977 bis 1979 Finanzminister der US-Regierung unter Präsident James Carter und seit 1997 Leiter des Berliner Museums) das Jüdische Museum sei „kein Museum für Juden, sondern für Deutsche“. Eine Aussage, für die er teilweise heftig kritisiert wurde, da eine solch „strikte Differenzierung“ zwischen Juden und Deutschen bei manchen doch unangenehme Gefühle oder auch Erinnerungen weckte. Andererseits ist der Anteil deutscher Staatsbürger unter den in Deutschland lebenden Juden sicher auch heute noch deutlich unter zehn Prozent. Zum zehnjährigen Jubiläum, im September 2011, wertete Blumenthal das Museum als „Erfolg“ und wies darauf hin, dass es bereits 7.5 Millionen zahlende Besucher hatte. Wer, so Blumenthal, hätte sich das träumen lassen?
Ganz so überraschend war der Zuspruch dann nun aber nicht, wurden im Vorfeld doch bereits inhaltliche Faktoren, die hätten stören können, ausgeklammert. Im Sommer 1994 war als Blumenthals Vorgänger der Kurator und Kunsthistoriker Amnon Barzel (אמנון ברזל, geb. 1935 in Tel Aviv) zum Leiter des im Bau befindlichen Museums bestimmt worden. Mit seiner Konzeption, die vorsah, dass ein jüdisches Museum in Deutschland die allgemeine Geschichte aus jüdischer Sicht darstellen sollte und nicht, wie sonst die jüdische Minderheit aus der Fremd-Perspektive der „Mehrheitsgesellschaft“, konnte Barzel jedoch keinen Anklang finden.
Wohl um das Gesicht zu wahren, verständigte man sich deshalb auf einen Nebenkonflikt über die prinzipielle Eigenständigkeit des Museums in finanzieller und verwaltungstechnischer Hinsicht. Barzel wurde 1997 entlassen und die Aufmerksamkeit verschob sich von der inhaltlichen Konzeption auf die allgemein als „eigenwillig“ aufgefasste Architektur des Baus. Dieser wurde bereits 1989 geplant und von 1992 bis 1999 durch Daniel Libeskind (geb. 1946) ausgeführt. Die Vorgabe der staatlichen Bauherren verlangte ein „Museum und Mahnmal zugleich“. Der in Lodz geborene Architekt, dessen Credo lautet, dass es bei Architektur vorallem auf das „Erlebnis“ ankomme, nannte seinen Entwurf für das Projekt entsprechend „Between the Lines“, zwischen den Zeilen. Die Kritik, dass die eigenwillige Form des Museums dessen Funktion beeinträchtige, wies der 2010 in Augsburg mit der „Buber-Rosenzweig-Medaille“ ausgezeichnete Architekt zurück. Ganz im Gegenteil sei der Bau absichtlich so konzipiert, dass ab und an kein Platz für Ausstellungen vorhanden sei. Die so entstehende Leere symbolisiere so ja auch den Holocaust, bzw. das durch „ihn“ vernichtete Leben. Auch der bis heute noch überall anzutreffenden Interpretation des Baus als „zerbrochenen David-Stern“ widersprach Libeskind früh und konstatierte, dass diese grundfalsche Ansicht von Leuten vertreten werde, die „die Offenheit und Zeichenlosigkeit meiner Architektur nicht ertragen“ könnten. Der Museumsbau in der Lindenstraße ist jedoch keineswegs von Offenheit geprägt. Seine Fassade ist deshalb auch nicht aus Glas, vielmehr verdeckt graues Zinkblech den ebenfalls grauen Betonbau. Mit “Offenheit” hat dies rein gar nichts nichts zu tun. Auch ist die blecherne „Außenhaut“ alles andere als „zeichenlos“, sondern wie Gestaltungselemente innerhalb und außerhalb des Gebäudes geprägt von Linien, die sich immer wieder, meist in spitzen Winkeln kreuzen, manchmal auch mehrfach.
Die Dominanz der Kreuze, darunter auch Fenster in Form rechtwinkliger Kreuze, hätte sicher gut zu einem modernen christlichen Museum gepasst, ist womöglich aber auch nur eine mehr oder minder geistreiche Reminiszenz an den Standort des Museums im Berliner Stadtteil Kreuzberg.




Manche der gekreuzten Linien werden nun aber – wie bereits der Grundriss des Neubaus –wieder als Bruchstücke eines „David-Sterns“ gedeutet, wohl aus einem Bedürfnis heraus, diesen Stern, der kein eigentliches „Symbol“ des Judentums, sondern des modernen politischen Zionismus ist, entsprechend wahrzunehmen. Seit über hundert Jahren repräsentiert der „Stern“ das jüdische Volk und den Zionismus und seit 1948 die Flagge des Staates Israel. Vor den zionistischen Kongressen ab 1896 ist er auch nur sehr selten auf jüdischen Grabsteinen zu finden, erst ab den 1920er Jahren wird er einigermaßen geläufig. Der Grundriss des Gebäudes in ungleichmäßigen Zickzack-Linien (ob nun beabsichtigt oder nicht) sollte eigentlich aber, zumindest in Berlin, an den zuweilen nicht minder „eigenwilligen“, im Zentrum sog. recht ähnlichen Verlauf der Berliner Mauer erinnern, die über Jahrzehnte die Stadt teilte. An vielen Stellen sind diese Demarkationslinien auch im Straßenbild nachgezeichnet. Aber was hätte das jüdische Museum in Berlin mit der Berliner Mauer zu tun? Folglich ist es für viele naheliegender, sich einen „Blitz“ vorzustellen, vielleicht weil ein jüdisches Museum in Berlin einem Blitzschlag gleichkommt. Wer weiß. Wie auch immer, gibt es den Zickzack-Bau im Museum-Shop zu kaufen, in Miniatur versteht sich, für 9.90 Euro im Maßstab von 1:300 (das sind ca. 50 auf 20 cm, bei 7 cm Höhe) als Bastell-Set mit vier Bögen, im „einfachsten Schwierigkeitsgrad“, also „kinderleicht“, d.h. ohne Blech und Beton, natürlich aber auch ohne Inhalt.

Jüdisches Museum Berlin: Hochspannung – Lebensgefahr

Im Original ist das Museum hingegen unterirdisch mit dem schmalen, außen abseits stehenden, unbekleideten hohen Betonbau verbunden, den man „Holocaust-Turm“ nennt (ohne zu erklären, was das nun wieder eigentlich sein soll). Der „Verzicht“ auf die Blech-Fassade soll hier „Hoffnungslosigkeit“ und Sinnlosigkeit“ vermitteln, was – gar keine Frage – zumindest von außen betrachtet auch grandios gelungen ist. Aber auch im Inneren gibt es kaum etwas zu sehen, da das spitze und hohe Betonkonstrukt unbeleuchtet und fast komplett dunkel ist. Nur ein kleines Fenster ganz oben lässt etwas Licht ein. Das merkt man, wenn man dort etwas verweilt und die Augen sich daran gewöhnen. Dem Besucher soll sich auf diese Weise (die von angeblich von „den“ Juden empfundene) „Ausweglosigkeit“ vermitteln (Stimmen vorbeihuschender Schüler-Gruppen, zitierten auch, dass man dort „den Holocaust fühlen“ kann, … man stelle sich vor! Also wenn das mal kein “Erlebnis” ist, …!), doch begegnet einem die Ausweglosigkeit eigentlich bereits beim Eintritt in das Museum durch den 1735 entstandenen Barockbau (ehem. Kollegienhaus) des Berliner Museums, der bereits 1993 von Libeskind umgebaut wurde. Zwar ist das Zickzack-Gebäude entlang seiner Mittelachse insgesamt etwa 360 Meter lang und verfügt über mitunter 20 m hohe, kahle Räume, doch bleibt trotzdem wohl zu wenig Platz übrig, zumindest für persönliche Dinge, da man nur Dinge mitnehmen darf, die in eine kleine weiße Plastiktasche passen. Diese (deutsche?) Einheitstüte erhält man an der verpflichtenden Garderobe, nachdem man die Sicherheitsschleusen mit Metalldetektorrahmen und das mit sog. Handsonden ausgestattete Museums-Personal passiert hat.


“Checkpoint Mordechai” – kein Verdacht wenn man trotzdem lacht ..?

“Gegenstände aller Art“
Das ist auch wegen der Menge an Wachleuten (ob das früher Grenzkontrolleure waren?) nicht einfach, denn zunächst müssen Taschen, Rucksäcke auf das Band gelegt werden, danach muss man Jacke oder Mantel ausziehen (Schuhe nicht), die ebenfalls durchs Band laufen und von einem Wachmann am Bildschirm beobachtet werden. Man selbst wird nun durch ein kleines Tor gebeten, dessen Detektoren sofort bemerken und umgehend akustisch vermitteln, dass man Metallisches mit sich führt. Es piepst schrill und aufgeregt, so wie im Supermarkt oder in der Bücherei, wenn jemand etwas bei sich hat, was nicht gescannt wurde. Man fühlt sich ertappt wie ein Dieb. Aber nun ja, klar, es ist der eigene Schlüssel in der eigenen Hosentasche. Das vermutet wohl auch der dritte Wachmann, der mit seiner Handsonde an der Hosentasche entlang fährt und in bestimmtem Ton dazu auffordert, den Inhalt auszuleeren. Berühren will er den Schlüssel nicht, sondern fordert dazu auf, ihn in einen kleinen Plastikbehälter zu legen, der nun ebenfalls auf dem Laufband „geröntgt“ wird. Gewiss um sicherzustellen, dass sich im Schaft der einzelnen Schlüssel keine Boxhandschuhe oder Sprengstoffgürtel befinden. Damit hat es sich natürlich noch nicht, denn in der anderen Hosentasche befindet sich die Geldbörse, mit Münzen (vieleicht sind 1 und 2 Euro-Cent-Münzen ja auch deshalb zu 95 % aus Stahl) und einem weiteren Schlüssel, usw. Schließlich darf man seine siebenundsiebzig Sachen wieder haben und Jacke und Mantel wieder anziehen. Ein gewisses Verständnis hat man für die Prozedur, da es bekanntlich Organisationen und verrückte Individuen gibt, die durchaus dazu in der Lage sind, „jüdische“ Einrichtungen oder solche die sie dafür halten, mit Sprengstoff und anderen Waffen anzugreifen, auch wenn Anschläge auf Museen wohl nicht vorkommen. Auch am Flughafen nehmen wir derlei Kontrollen gewohnt und achselzuckend auf uns, da sie auch unserer eigenen Sicherheit dienen. Immerhin kann man ja danach ins Flugzeug, in der Überzeugung, dass alles geregelt ist. Nicht so im Zickzack-Museum, wo weitere Wärter an der schwarzen Treppe die zur Dauerausstellung hinab führt, in forschem Ton gar keinen Zweifel daran lassen, dass die persönlichen Dinge, die man bei sich trägt, und dazu gehören Taschen, aber auch Jacken und Mäntel, die eben erst durchgeleuchtet und ausgeforscht, analysiert und begutachtet wurden, nicht erlaubt sind, den Eigentümer in das eigentliche Museum zu begleiten. In der Tat wäre es auch praktisch, wenn man die mitgebrachten Taschen in einem Schließfach abstellen könnte. Das klappt landauf, landab in allen möglichen Museen, Bibliotheken und sonstigen vergleichbaren Einrichtungen, selbst in der Provinz, im jüdischen Museum in Berlin ist eine solche Lösung jedoch nicht vorgesehen. Die Vorstellung, dass aufwendig durchleuchtete Besucher ihre Taschen selbst in ein Schließfach stellen können, muss für jene, die sich das offensichtlich auf bloße Machtdemonstration ausgerichtete staatliche Sicherheitskonzept ausgedacht haben, eine Bedrohung sein.
Nun also der Hinweis auf „die Garderobe“. Dort erklärt jedoch ein Hinweisschild, dass für Jacken, Taschen und Mäntel, die man dem Personal abgibt, keine Haftung übernommen wird. Das heißt „zwischen den Zeilen“: Kommt etwas abhanden, ist es eben weg. Pech gehabt. Aber wie sollte man bei der bisherigen Behandlung durch den inzwischen vielleicht schon zehnten Inspekteur selbst auch auf die Idee kommen misstrauisch zu werden? Man kann ja auch wieder gehen, wenn es einem nicht gefällt und vielleicht bekäme man nach langen Diskussionen auch das Eintrittsgeld wieder zurück. Vielleicht auch nicht.

Aus journalistischer Neugier, aber auch aus zeitgenössischem historischen Interesse, lassen wir uns trotzdem darauf ein, unsere mitgebrachten Utensilien in den Fängen der Garderobenpolizei zu belassen und uns ohne Jacken und Mäntel im etwas kühlen Betonbau zu bewegen, bevormundet und fremdbestimmt. Dass sehen aber womöglich längst nicht alle Besucher als problematisch an. Man vermittelt ihnen ja auch den Eindruck, dass das irgendwie dazu gehört, so wie das Ausziehen der Schuhe beim Betreten einer Moschee. Wie gesagt hatte aber der Direktor des Museums ausdrücklich betont, dass es sich nicht um ein Museum für Juden, sondern für Deutsche handelt. Mit den jährlichen Basisenergiekosten von über sechshunderttausend Euro pro Jahr spart das Museum offenbar aber nicht nur mit dem Einsatz von LED-Beleuchtung und „moderner Lüftungstechnik“. Nach dem pauschalen Terror-Verdacht ist ein leichter Kälteschauer bei äußerlich bevorstehendem Wintereinbruch ist sicher auch ein eingeplanter Effekt im Rahmen der „Erlebnis-Architektur“. Durch die schwarze Treppe gelangt man nun nach unten, nicht zu einer Gruft, wohl aber zu Ausstellungen, die in verschiedenen Räumen über andere Museen und Konzepte, etwa in Brüssel, Kapstadt oder Haifa informieren, ehe man nun wieder steil nach oben steigen kann zur Dauerausstellung. Man kann dafür zwar auch einen „Lift“ benutzen, aber nach dem äußerst unsympathischen Auftakt spricht nichts dafür, derlei Annehmlichkeiten zu beanspruchen, da man das Gerät womöglich nur in Unterwäsche benutzen darf.

Die Ausstellung sei aus der Sicht mancher Kritiker zu wissenschaftlich, aus der Sicht anderer nicht wissenschaftlich genug, kann man nachlesen. Das soll gegenübergestellt sicher suggerieren, dass „man“ es ja ohnehin nicht jedem recht machen kann und dass „die Wahrheit“ bestimmt irgendwo in der Mitte liegt, vielleicht aber ja auch zwischen den Zeilen, in einem spitzen Winkel, in einer versteckten Ecke oder in einem der zahllosen Kreuze. Viele – vor allem auch jüngere – Leute atmen hörbar erleichtert auf, wenn sie bemerken, dass „das Judentum“ nun einmal nicht auf „den Holocaust“ reduziert wird (als hätte „es“ damit jemals irgendetwas zu tun gehabt …), freilich zum Preis, dass zahlreiche andere, weit ältere Klischees bedient und wiederbelebt werden.
Die Proklamation von „Zwei Jahrtausenden deutsch-jüdischer Geschichte“ ist genaugenommen jedoch nur ein Werbegag. Die Ausstellung beginnt so auch nicht um das Jahr 12 des christlichen Kalenders, sondern erst mit der Replik des Bruchstücks einer spätantiken Öllampe (in Augsburg hat man sich zum ortseigenen Vergleichsfund wenigstens noch die „Mühe“ gemacht, neben dem Fragment eine Rekonstruktion zu „wagen“, aber dafür fehlten in Berlin offenbar die finanziellen Mittel …), die in Trier gefunden wurde und etwas nebulös (weil hundert Jahre umfassend) auf das „4. Jahrhundert“ datiert wird. Die ersten 3 bis 4 Jahrhunderte sind mit der Replik der Terrakotta-Scherbe dann auch bereits abgedeckt. Das passiert ganz nebenbei und ist durchaus beachtlich, verhieß letztlich aber nichts Gutes für das inhaltliche Niveau der weiteren Ausstellung. Dort geht es dann auch weiter mit einem Kunststoffbaum mit Granatäpfeln , wobei einige seiner Früchte durch Smartphones ersetzt wurden, die auf ihrem Display eine Abbildung zeigen, origineller Weise die eines … genau: Granatapfels. Ob damit I-phone und Co. als Früchte der Erkenntnis dargestellt werden (die im Inneren vielleicht einen Etrog-Chipsatz verwenden?) oder ob es sich um ein Relikt einer früheren „Grünen Woche“ handelt, ist unklar, und ist auch von den umstehenden Führungskräften nicht zu erfahren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass damit die Lücke bis zum nächsten Ausstellungsstück überspielt werden soll. Und schon fällt der Blick auf zwei weiße Gipsabdrücke der „Ecclesia“ und „Synagoge“ genannten Frauenfiguren. Wir erkennen sie wieder, da wir sie bereits in Bamberg gesehen haben, wo sie an der Fassade des Doms und nochmals im Original in der Kirche ausgestellt sind. Auch hier sind der Ecclesia die Arme abhanden gekommen, was sie nach modernem Verständnis als schwerbehindert ausweist. Das Original des Bamberger Figurenpaars wird gemeinhin in die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert, weshalb wir nun also nach wenigen Metern bereits zwölfhundert der zweitausend Jahre deutsch-jüdischer Geschichte mittels Kopien von Bruchstücken absolviert haben. Die noch immer frischen Erinnerung an die groteske Behandlung durch das Sicherheitspersonal lassen vermuten, dass man die Besucher womöglich deshalb so sorgfältig „filzt“, weil man hofft, auf diese Weise die inhaltliche Leere schließen zu können.



Als nächsten Gimmick hatten sich die Planer eine etwa halbmetergroße (!) Knoblauchknolle ausgedacht, die sich in drei Teile aufklappen lässt. Auf diese Weise sollten die drei Städte Speyer, Worms und Mainz dargestellt werden, die sich in ihrer mittelalterlichen Schreibweise hebräisch als „שום“ abkürzen ließen. Die einzelnen Buchstaben des Kürzels sind etwa drei Meter hoch an einzelnen Wänden ausgestellt. Richtig, als Wort gelesen bedeutet „schum“ bekanntlich tatsächlich „Knoblauch“, sprichwörtlich heißt es aber auch „nichts“, „schum-dawar“ (שום-דבר) „rein gar nix“, „nicht der Rede wert“. Das sagt man, wenn man gefragt wird, ob einem etwas fehlt, ob man Lanzen, U-Boote, Schweizer Messer oder digitale Abbildungen von Etrog-Früchten bei sich trägt … oder etwas im Souvenir-Shop kaufen möchte: schum-dawar. Für die Zeit, in welcher bereits eine lokale jüdische Geschichte erwähnenswert wäre, sind nun weitere Kunststoff-Repliken von Fenstern und Grabsteinen ausgestellt, eine übergroße Schwarzweiß-Abbildung des Grabsteins des Maharam („Meir von Rothenburg“, gest. 1293) und nach wenigen weiteren Schritten vorbei an Urkunden des Jahres 1300 ist man tatsächlich bereits im Barock gelandet, genauer gesagt bei Glückel von Hameln (1646-1724) und ihren jüdisch-deutschen „Memoiren“ aus dem Jahre 1710, die mit „dem Barock“ an sich wenig zu tun haben. Danach ent-schleunigt sich das rasante Tempo der Ausstellung, die trotz einiger übergroßer Installationen 1700 Jahre jüdischer Geschichte in Deutschland auf wenige Meter reduziert. Andernfalls wäre man ja auch schon gleich bei den Nazis angelangt und stünde auch gleich wieder am Ausgang. So geht es nun aber weiter mit einem Fischpräparat des Marcus Bloch (1723-1799) und mit Moses Mendelssohn (1729-1786), der ab 1742 in Berlin wirkte und später am Friedhof in der Großen Hamburger Straße begraben wurde.

Je mehr sich die Geschichte nun der „Moderne“ zuwendet, um so kleiner werden die Abstände und vielfältiger die Ausstellungsstücke. Immer wieder gibt es Abbildungen und Gegenstände in Vitrinen, etwa Uhren, Tassen, Gemälde, aber auch kleine Exkursionen, mittels welcher „jüdische Ritualgegenstände“ wie Tora-Zeiger und Kerzenleuchter, Tora-Rollen oder Beschneidungsmesser erläutert werden oder mittels Schubfächern und Bildschirmen Hintergrundinformationen vermittelt werden sollen. Ein von Polstern umgebener Bildschirm mit dem Doppelnamen „Das Ding / The Object“ beispielsweise erklärt, was nun eigentlich Hostien (sicher sehr wichtig um “das Judentum” zu verstehen) sind und erläutert sie falsch als „Opferlamm“, obwohl das lateinische Wort genaugenommen „Schlachtopfer“ bedeutet. Wie dem auch sei, passte auch das eher in ein christliches Museum. Immer wieder sieht man kleine Gruppen, meist Jugendliche, die um einen Führer herumstehen, der ihnen bereitwillig ein Objekt oder eine Abteilung erklärt, jedoch genügt es, etwas hinein zuhören, um zu verstehen, dass zumindest an Klischees nicht gegeizt wird. Letztlich spricht auch dagegen nichts, da es ja kein Museum für Juden sein soll und dem Vernehmen nach ohnehin „die Architektur“ und ihr „Erleben“ im Vordergrund stehen. Das gelingt und die (Wissens-) Lücken gehören zum Konzept.

Was sind denn nun eigentlich Hostien? – Kein Problem, im Jüdischen Museum wird es erklärt, durch “das Ding”.

Es wäre jedoch redlicher ohne Etikettenschwindel von einem Museum zu sprechen, dass die letzten dreihundert Jahre jüdischer Geschichte in Deutschland darstellt und zwar eben doch aus der Perspektive der „Mehrheitsgesellschaft“. Mit auf bloße Stereotypen und einige Versatzstücke reduzierten „Judentum“ hat das Museum ansonsten auch nichts zu tun. Dafür sind die Lücken viel zu groß und daran ändern auch gerade die sog. „Voids“ nichts, die das Zerstörte „symbolisieren“ sollen und die man „Leeren der Geschichte“ nennen könnte. Etwa die sog. „Memory Void“ von Menasche Kadischman (מנשה קדישמן, geb. 1932) mit dem eigenartigen Namen „שלכת“ (in etwa die Entlaubung im Herbst) im Erdgeschoss. Im natürlich spitz zugeschnittenen hohen Betonraum, auf den man von oben durch kleine Fenster heruntersehen kann, liegen auf dem Boden angeblich zehntausend stereotype Masken mit runden Augen-Öffnungen und einem angedeuteten offenen Mund. Sie sollen an „die Opfer“ erinnern. Die Frage ist an welche? Das Holocaust-Thema wollte man ja vermeiden und eine Opferzahl von „zehntausend“ zu behaupten – könnte nach deutscher Gesetzeslage sogar strafbar sein.
Wie zu beobachten ist, laufen eine Reihe der Besucher auf den „Gesichtern“ umher, vielleicht, weil sie es von zuhause so gewohnt sind oder weil, wie man nachlesen kann, eine Absicht des Künstlers auch gerade darin bestand, metallische Klänge zu erzeugen, wenn man sich auf den Schichten von Masken auf und ab bewegt. Angeblich gäbe dies den „Menschen“ ihre Stimme zurück. Diese stellte „man“ sich dann als eine Art blechernes, metallenes „Kling-Klong“ vor. Aber wer würde nach einer Weile nicht ebenso „klingen“, wenn man in einem Betonschacht läge und andere permanent auf den eigenen stereotypen „Gesichtern“ herum trampeln? Und warum dies nun eigentlich? Damit darauf stehende oder kniende Besucher Schnappschüsse für ihre facebook – Seiten machen können. Eine bleibende Erinnerung? Vielleicht vermittelt ja auch dieses einmalige „Holocaust-Gefühl“.


Zu Besuch beim Holocaust …
Wäre man nicht so erzogen worden, wie käme man nach dem Besuch dieses Museums darauf, dass Judentum letztlich nicht auf sinnentleerten „Symbolen“, sondern auf der Praxis der Lehren von Talmud und Tora beruht? Könnte man mittels Nachbildungen diverser Scherben, etwas Tafelgeschirr und Hüten und fixiert auf Hexenverfolgungen und Biographien einzelner christlicher Milliardäre, Fürsten, Künstler und Mäzene nicht auch den Sinn und Zweck der christlichen Taufe missverstehen? Gewiss. So misst sich der Erfolg des Museums an den Besucherzahlen – wie erwähnt sind das aktuell etwa eine Dreiviertelmilllion pro Jahr – auch, weil Besucher zahlen und sich in der Mehrzahl sicher auch ganz gerne ehrfürchtig durchsuchen lassen. Das hat zweifellos auch bereits Event-Charakter, weil es ja auch einen gewissen Nervenkitzel hat. Schließlich kann jeder noch nicht inspizierte Besucher einen Sprengstoffgürtel um den Bauch gebunden haben. Da fühlt man sich bestimmt wie ein echter Jude, der gefährdet ist, zugleich aber auch wie ein Araber, der per se als Terrorist verdächtigt wird – oder umgekehrt? Jedenfalls hat es, wie man beobachten kann, gerade auch für Schülergruppen offensichtlich einen Reiz, absehbar unzutreffend, wie ein Terrorverdächtiger behandelt zu werden. Wo sonst bekommt man das für Zwo-fuffzig auch geboten? Der alberne Kiddusch-Becher aus Plastik im Museums-Shop kostet hingegen schon 3.50 € und welchem Schüler reicht da noch das Geld für einen kleinen Plüsch-Teddy mit Kippa?

Im Museums-Shop: Plastik-Becher für 3.50 € und Plüsch-Bären mit Kippa
War es das? Ja, und: nein. Den Museumsmachern ist irgendwie doch klar geworden, dass ihr staatliches Auftragswerk nicht alle Einwohner der Stadt und des Landes anspricht. Da insbesondere wohl gerade auch muslimische Besucher zu fehlen scheinen, wenigstens solche, die bei der Leibesvisitation traditionelle Kleidungsstücke abzulegen hätten, planen und realisieren sie auf der anderen Straßenseite einen Erweiterungsbau. Dieser soll ein “islamisch-jüdisches Forum” bieten und sich mit Fragen der Integration befassen. Was damit gemeint ist kann man aus jüdischer Perspektive eigentlich nur raten – vielleicht gibt es Seminare, die vermitteln wie man Israel hassen kann, ohne als Antisemit zu gelten? Zweifellos wird es aber einer „nichtjüdischen“ Mehrheitsmeinung entsprechen.


Das Jüdische Museum in Berlin
October 30, 2012Das jüdische Museum, eine Stiftung des öffentlichen Rechts des deutschen Staates, in Berlin wurde am 9. September 2001 eröffnet. Die Konzeption des Museums sah vor, abseits vom “dominierenden Holocaust” jüdische Geschichte in Deutschland in den zwei Jahrtausenden davor zu vermitteln. Wahrscheinlich wählte man deshalb auch einen 9.9. anstelle eines sonst üblichen 9.11. als markantes Datum zur Eröffnung, ohne zu ahnen, dass zwei Tage später ein neues, weit populäreres Datum entstehen würde. Bei der Eröffnung in Anwesenheit von Bundespräsident Rau und Kanzler Schröder betonte Werner Michael Blumenthal (geb. 1926, von 1977 bis 1979 Finanzminister der US-Regierung unter Präsident James Carter und seit 1997 Leiter des Berliner Museums) das Jüdische Museum sei „kein Museum für Juden, sondern für Deutsche“. Eine Aussage, für die er teilweise heftig kritisiert wurde, da eine solch „strikte Differenzierung“ zwischen Juden und Deutschen bei manchen doch unangenehme Gefühle oder auch Erinnerungen weckte. Andererseits ist der Anteil deutscher Staatsbürger unter den in Deutschland lebenden Juden sicher auch heute noch deutlich unter zehn Prozent. Zum zehnjährigen Jubiläum, im September 2011, wertete Blumenthal das Museum als „Erfolg“ und wies darauf hin, dass es bereits 7.5 Millionen zahlende Besucher hatte. Wer, so Blumenthal, hätte sich das träumen lassen?
Ganz so überraschend war der Zuspruch dann nun aber nicht, wurden im Vorfeld doch bereits inhaltliche Faktoren, die hätten stören können, ausgeklammert. Im Sommer 1994 war als Blumenthals Vorgänger der Kurator und Kunsthistoriker Amnon Barzel (אמנון ברזל, geb. 1935 in Tel Aviv) zum Leiter des im Bau befindlichen Museums bestimmt worden. Mit seiner Konzeption, die vorsah, dass ein jüdisches Museum in Deutschland die allgemeine Geschichte aus jüdischer Sicht darstellen sollte und nicht, wie sonst die jüdische Minderheit aus der Fremd-Perspektive der „Mehrheitsgesellschaft“, konnte Barzel jedoch keinen Anklang finden.
Wohl um das Gesicht zu wahren, verständigte man sich deshalb auf einen Nebenkonflikt über die prinzipielle Eigenständigkeit des Museums in finanzieller und verwaltungstechnischer Hinsicht. Barzel wurde 1997 entlassen und die Aufmerksamkeit verschob sich von der inhaltlichen Konzeption auf die allgemein als „eigenwillig“ aufgefasste Architektur des Baus. Dieser wurde bereits 1989 geplant und von 1992 bis 1999 durch Daniel Libeskind (geb. 1946) ausgeführt. Die Vorgabe der staatlichen Bauherren verlangte ein „Museum und Mahnmal zugleich“. Der in Lodz geborene Architekt, dessen Credo lautet, dass es bei Architektur vorallem auf das „Erlebnis“ ankomme, nannte seinen Entwurf für das Projekt entsprechend „Between the Lines“, zwischen den Zeilen. Die Kritik, dass die eigenwillige Form des Museums dessen Funktion beeinträchtige, wies der 2010 in Augsburg mit der „Buber-Rosenzweig-Medaille“ ausgezeichnete Architekt zurück. Ganz im Gegenteil sei der Bau absichtlich so konzipiert, dass ab und an kein Platz für Ausstellungen vorhanden sei. Die so entstehende Leere symbolisiere so ja auch den Holocaust, bzw. das durch „ihn“ vernichtete Leben. Auch der bis heute noch überall anzutreffenden Interpretation des Baus als „zerbrochenen David-Stern“ widersprach Libeskind früh und konstatierte, dass diese grundfalsche Ansicht von Leuten vertreten werde, die „die Offenheit und Zeichenlosigkeit meiner Architektur nicht ertragen“ könnten. Der Museumsbau in der Lindenstraße ist jedoch keineswegs von Offenheit geprägt. Seine Fassade ist deshalb auch nicht aus Glas, vielmehr verdeckt graues Zinkblech den ebenfalls grauen Betonbau. Mit “Offenheit” hat dies rein gar nichts nichts zu tun. Auch ist die blecherne „Außenhaut“ alles andere als „zeichenlos“, sondern wie Gestaltungselemente innerhalb und außerhalb des Gebäudes geprägt von Linien, die sich immer wieder, meist in spitzen Winkeln kreuzen, manchmal auch mehrfach.
Die Dominanz der Kreuze, darunter auch Fenster in Form rechtwinkliger Kreuze, hätte sicher gut zu einem modernen christlichen Museum gepasst, ist womöglich aber auch nur eine mehr oder minder geistreiche Reminiszenz an den Standort des Museums im Berliner Stadtteil Kreuzberg.
Manche der gekreuzten Linien werden nun aber – wie bereits der Grundriss des Neubaus –wieder als Bruchstücke eines „David-Sterns“ gedeutet, wohl aus einem Bedürfnis heraus, diesen Stern, der kein eigentliches „Symbol“ des Judentums, sondern des modernen politischen Zionismus ist, entsprechend wahrzunehmen. Seit über hundert Jahren repräsentiert der „Stern“ das jüdische Volk und den Zionismus und seit 1948 die Flagge des Staates Israel. Vor den zionistischen Kongressen ab 1896 ist er auch nur sehr selten auf jüdischen Grabsteinen zu finden, erst ab den 1920er Jahren wird er einigermaßen geläufig. Der Grundriss des Gebäudes in ungleichmäßigen Zickzack-Linien (ob nun beabsichtigt oder nicht) sollte eigentlich aber, zumindest in Berlin, an den zuweilen nicht minder „eigenwilligen“, im Zentrum sog. recht ähnlichen Verlauf der Berliner Mauer erinnern, die über Jahrzehnte die Stadt teilte. An vielen Stellen sind diese Demarkationslinien auch im Straßenbild nachgezeichnet. Aber was hätte das jüdische Museum in Berlin mit der Berliner Mauer zu tun? Folglich ist es für viele naheliegender, sich einen „Blitz“ vorzustellen, vielleicht weil ein jüdisches Museum in Berlin einem Blitzschlag gleichkommt. Wer weiß. Wie auch immer, gibt es den Zickzack-Bau im Museum-Shop zu kaufen, in Miniatur versteht sich, für 9.90 Euro im Maßstab von 1:300 (das sind ca. 50 auf 20 cm, bei 7 cm Höhe) als Bastell-Set mit vier Bögen, im „einfachsten Schwierigkeitsgrad“, also „kinderleicht“, d.h. ohne Blech und Beton, natürlich aber auch ohne Inhalt.
Jüdisches Museum Berlin: Hochspannung – Lebensgefahr
Im Original ist das Museum hingegen unterirdisch mit dem schmalen, außen abseits stehenden, unbekleideten hohen Betonbau verbunden, den man „Holocaust-Turm“ nennt (ohne zu erklären, was das nun wieder eigentlich sein soll). Der „Verzicht“ auf die Blech-Fassade soll hier „Hoffnungslosigkeit“ und Sinnlosigkeit“ vermitteln, was – gar keine Frage – zumindest von außen betrachtet auch grandios gelungen ist. Aber auch im Inneren gibt es kaum etwas zu sehen, da das spitze und hohe Betonkonstrukt unbeleuchtet und fast komplett dunkel ist. Nur ein kleines Fenster ganz oben lässt etwas Licht ein. Das merkt man, wenn man dort etwas verweilt und die Augen sich daran gewöhnen. Dem Besucher soll sich auf diese Weise (die von angeblich von „den“ Juden empfundene) „Ausweglosigkeit“ vermitteln (Stimmen vorbeihuschender Schüler-Gruppen, zitierten auch, dass man dort „den Holocaust fühlen“ kann, … man stelle sich vor! Also wenn das mal kein “Erlebnis” ist, …!), doch begegnet einem die Ausweglosigkeit eigentlich bereits beim Eintritt in das Museum durch den 1735 entstandenen Barockbau (ehem. Kollegienhaus) des Berliner Museums, der bereits 1993 von Libeskind umgebaut wurde. Zwar ist das Zickzack-Gebäude entlang seiner Mittelachse insgesamt etwa 360 Meter lang und verfügt über mitunter 20 m hohe, kahle Räume, doch bleibt trotzdem wohl zu wenig Platz übrig, zumindest für persönliche Dinge, da man nur Dinge mitnehmen darf, die in eine kleine weiße Plastiktasche passen. Diese (deutsche?) Einheitstüte erhält man an der verpflichtenden Garderobe, nachdem man die Sicherheitsschleusen mit Metalldetektorrahmen und das mit sog. Handsonden ausgestattete Museums-Personal passiert hat.
“Checkpoint Mordechai” – kein Verdacht wenn man trotzdem lacht ..?
“Gegenstände aller Art“
Das ist auch wegen der Menge an Wachleuten (ob das früher Grenzkontrolleure waren?) nicht einfach, denn zunächst müssen Taschen, Rucksäcke auf das Band gelegt werden, danach muss man Jacke oder Mantel ausziehen (Schuhe nicht), die ebenfalls durchs Band laufen und von einem Wachmann am Bildschirm beobachtet werden. Man selbst wird nun durch ein kleines Tor gebeten, dessen Detektoren sofort bemerken und umgehend akustisch vermitteln, dass man Metallisches mit sich führt. Es piepst schrill und aufgeregt, so wie im Supermarkt oder in der Bücherei, wenn jemand etwas bei sich hat, was nicht gescannt wurde. Man fühlt sich ertappt wie ein Dieb. Aber nun ja, klar, es ist der eigene Schlüssel in der eigenen Hosentasche. Das vermutet wohl auch der dritte Wachmann, der mit seiner Handsonde an der Hosentasche entlang fährt und in bestimmtem Ton dazu auffordert, den Inhalt auszuleeren. Berühren will er den Schlüssel nicht, sondern fordert dazu auf, ihn in einen kleinen Plastikbehälter zu legen, der nun ebenfalls auf dem Laufband „geröntgt“ wird. Gewiss um sicherzustellen, dass sich im Schaft der einzelnen Schlüssel keine Boxhandschuhe oder Sprengstoffgürtel befinden. Damit hat es sich natürlich noch nicht, denn in der anderen Hosentasche befindet sich die Geldbörse, mit Münzen (vieleicht sind 1 und 2 Euro-Cent-Münzen ja auch deshalb zu 95 % aus Stahl) und einem weiteren Schlüssel, usw. Schließlich darf man seine siebenundsiebzig Sachen wieder haben und Jacke und Mantel wieder anziehen. Ein gewisses Verständnis hat man für die Prozedur, da es bekanntlich Organisationen und verrückte Individuen gibt, die durchaus dazu in der Lage sind, „jüdische“ Einrichtungen oder solche die sie dafür halten, mit Sprengstoff und anderen Waffen anzugreifen, auch wenn Anschläge auf Museen wohl nicht vorkommen. Auch am Flughafen nehmen wir derlei Kontrollen gewohnt und achselzuckend auf uns, da sie auch unserer eigenen Sicherheit dienen. Immerhin kann man ja danach ins Flugzeug, in der Überzeugung, dass alles geregelt ist. Nicht so im Zickzack-Museum, wo weitere Wärter an der schwarzen Treppe die zur Dauerausstellung hinab führt, in forschem Ton gar keinen Zweifel daran lassen, dass die persönlichen Dinge, die man bei sich trägt, und dazu gehören Taschen, aber auch Jacken und Mäntel, die eben erst durchgeleuchtet und ausgeforscht, analysiert und begutachtet wurden, nicht erlaubt sind, den Eigentümer in das eigentliche Museum zu begleiten. In der Tat wäre es auch praktisch, wenn man die mitgebrachten Taschen in einem Schließfach abstellen könnte. Das klappt landauf, landab in allen möglichen Museen, Bibliotheken und sonstigen vergleichbaren Einrichtungen, selbst in der Provinz, im jüdischen Museum in Berlin ist eine solche Lösung jedoch nicht vorgesehen. Die Vorstellung, dass aufwendig durchleuchtete Besucher ihre Taschen selbst in ein Schließfach stellen können, muss für jene, die sich das offensichtlich auf bloße Machtdemonstration ausgerichtete staatliche Sicherheitskonzept ausgedacht haben, eine Bedrohung sein.
Nun also der Hinweis auf „die Garderobe“. Dort erklärt jedoch ein Hinweisschild, dass für Jacken, Taschen und Mäntel, die man dem Personal abgibt, keine Haftung übernommen wird. Das heißt „zwischen den Zeilen“: Kommt etwas abhanden, ist es eben weg. Pech gehabt. Aber wie sollte man bei der bisherigen Behandlung durch den inzwischen vielleicht schon zehnten Inspekteur selbst auch auf die Idee kommen misstrauisch zu werden? Man kann ja auch wieder gehen, wenn es einem nicht gefällt und vielleicht bekäme man nach langen Diskussionen auch das Eintrittsgeld wieder zurück. Vielleicht auch nicht.
Aus journalistischer Neugier, aber auch aus zeitgenössischem historischen Interesse, lassen wir uns trotzdem darauf ein, unsere mitgebrachten Utensilien in den Fängen der Garderobenpolizei zu belassen und uns ohne Jacken und Mäntel im etwas kühlen Betonbau zu bewegen, bevormundet und fremdbestimmt. Dass sehen aber womöglich längst nicht alle Besucher als problematisch an. Man vermittelt ihnen ja auch den Eindruck, dass das irgendwie dazu gehört, so wie das Ausziehen der Schuhe beim Betreten einer Moschee. Wie gesagt hatte aber der Direktor des Museums ausdrücklich betont, dass es sich nicht um ein Museum für Juden, sondern für Deutsche handelt. Mit den jährlichen Basisenergiekosten von über sechshunderttausend Euro pro Jahr spart das Museum offenbar aber nicht nur mit dem Einsatz von LED-Beleuchtung und „moderner Lüftungstechnik“. Nach dem pauschalen Terror-Verdacht ist ein leichter Kälteschauer bei äußerlich bevorstehendem Wintereinbruch ist sicher auch ein eingeplanter Effekt im Rahmen der „Erlebnis-Architektur“. Durch die schwarze Treppe gelangt man nun nach unten, nicht zu einer Gruft, wohl aber zu Ausstellungen, die in verschiedenen Räumen über andere Museen und Konzepte, etwa in Brüssel, Kapstadt oder Haifa informieren, ehe man nun wieder steil nach oben steigen kann zur Dauerausstellung. Man kann dafür zwar auch einen „Lift“ benutzen, aber nach dem äußerst unsympathischen Auftakt spricht nichts dafür, derlei Annehmlichkeiten zu beanspruchen, da man das Gerät womöglich nur in Unterwäsche benutzen darf.
Die Ausstellung sei aus der Sicht mancher Kritiker zu wissenschaftlich, aus der Sicht anderer nicht wissenschaftlich genug, kann man nachlesen. Das soll gegenübergestellt sicher suggerieren, dass „man“ es ja ohnehin nicht jedem recht machen kann und dass „die Wahrheit“ bestimmt irgendwo in der Mitte liegt, vielleicht aber ja auch zwischen den Zeilen, in einem spitzen Winkel, in einer versteckten Ecke oder in einem der zahllosen Kreuze. Viele – vor allem auch jüngere – Leute atmen hörbar erleichtert auf, wenn sie bemerken, dass „das Judentum“ nun einmal nicht auf „den Holocaust“ reduziert wird (als hätte „es“ damit jemals irgendetwas zu tun gehabt …), freilich zum Preis, dass zahlreiche andere, weit ältere Klischees bedient und wiederbelebt werden.
Die Proklamation von „Zwei Jahrtausenden deutsch-jüdischer Geschichte“ ist genaugenommen jedoch nur ein Werbegag. Die Ausstellung beginnt so auch nicht um das Jahr 12 des christlichen Kalenders, sondern erst mit der Replik des Bruchstücks einer spätantiken Öllampe (in Augsburg hat man sich zum ortseigenen Vergleichsfund wenigstens noch die „Mühe“ gemacht, neben dem Fragment eine Rekonstruktion zu „wagen“, aber dafür fehlten in Berlin offenbar die finanziellen Mittel …), die in Trier gefunden wurde und etwas nebulös (weil hundert Jahre umfassend) auf das „4. Jahrhundert“ datiert wird. Die ersten 3 bis 4 Jahrhunderte sind mit der Replik der Terrakotta-Scherbe dann auch bereits abgedeckt. Das passiert ganz nebenbei und ist durchaus beachtlich, verhieß letztlich aber nichts Gutes für das inhaltliche Niveau der weiteren Ausstellung. Dort geht es dann auch weiter mit einem Kunststoffbaum mit Granatäpfeln , wobei einige seiner Früchte durch Smartphones ersetzt wurden, die auf ihrem Display eine Abbildung zeigen, origineller Weise die eines … genau: Granatapfels. Ob damit I-phone und Co. als Früchte der Erkenntnis dargestellt werden (die im Inneren vielleicht einen Etrog-Chipsatz verwenden?) oder ob es sich um ein Relikt einer früheren „Grünen Woche“ handelt, ist unklar, und ist auch von den umstehenden Führungskräften nicht zu erfahren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass damit die Lücke bis zum nächsten Ausstellungsstück überspielt werden soll. Und schon fällt der Blick auf zwei weiße Gipsabdrücke der „Ecclesia“ und „Synagoge“ genannten Frauenfiguren. Wir erkennen sie wieder, da wir sie bereits in Bamberg gesehen haben, wo sie an der Fassade des Doms und nochmals im Original in der Kirche ausgestellt sind. Auch hier sind der Ecclesia die Arme abhanden gekommen, was sie nach modernem Verständnis als schwerbehindert ausweist. Das Original des Bamberger Figurenpaars wird gemeinhin in die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert, weshalb wir nun also nach wenigen Metern bereits zwölfhundert der zweitausend Jahre deutsch-jüdischer Geschichte mittels Kopien von Bruchstücken absolviert haben. Die noch immer frischen Erinnerung an die groteske Behandlung durch das Sicherheitspersonal lassen vermuten, dass man die Besucher womöglich deshalb so sorgfältig „filzt“, weil man hofft, auf diese Weise die inhaltliche Leere schließen zu können.
Als nächsten Gimmick hatten sich die Planer eine etwa halbmetergroße (!) Knoblauchknolle ausgedacht, die sich in drei Teile aufklappen lässt. Auf diese Weise sollten die drei Städte Speyer, Worms und Mainz dargestellt werden, die sich in ihrer mittelalterlichen Schreibweise hebräisch als „שום“ abkürzen ließen. Die einzelnen Buchstaben des Kürzels sind etwa drei Meter hoch an einzelnen Wänden ausgestellt. Richtig, als Wort gelesen bedeutet „schum“ bekanntlich tatsächlich „Knoblauch“, sprichwörtlich heißt es aber auch „nichts“, „schum-dawar“ (שום-דבר) „rein gar nix“, „nicht der Rede wert“. Das sagt man, wenn man gefragt wird, ob einem etwas fehlt, ob man Lanzen, U-Boote, Schweizer Messer oder digitale Abbildungen von Etrog-Früchten bei sich trägt … oder etwas im Souvenir-Shop kaufen möchte: schum-dawar. Für die Zeit, in welcher bereits eine lokale jüdische Geschichte erwähnenswert wäre, sind nun weitere Kunststoff-Repliken von Fenstern und Grabsteinen ausgestellt, eine übergroße Schwarzweiß-Abbildung des Grabsteins des Maharam („Meir von Rothenburg“, gest. 1293) und nach wenigen weiteren Schritten vorbei an Urkunden des Jahres 1300 ist man tatsächlich bereits im Barock gelandet, genauer gesagt bei Glückel von Hameln (1646-1724) und ihren jüdisch-deutschen „Memoiren“ aus dem Jahre 1710, die mit „dem Barock“ an sich wenig zu tun haben. Danach ent-schleunigt sich das rasante Tempo der Ausstellung, die trotz einiger übergroßer Installationen 1700 Jahre jüdischer Geschichte in Deutschland auf wenige Meter reduziert. Andernfalls wäre man ja auch schon gleich bei den Nazis angelangt und stünde auch gleich wieder am Ausgang. So geht es nun aber weiter mit einem Fischpräparat des Marcus Bloch (1723-1799) und mit Moses Mendelssohn (1729-1786), der ab 1742 in Berlin wirkte und später am Friedhof in der Großen Hamburger Straße begraben wurde.
Je mehr sich die Geschichte nun der „Moderne“ zuwendet, um so kleiner werden die Abstände und vielfältiger die Ausstellungsstücke. Immer wieder gibt es Abbildungen und Gegenstände in Vitrinen, etwa Uhren, Tassen, Gemälde, aber auch kleine Exkursionen, mittels welcher „jüdische Ritualgegenstände“ wie Tora-Zeiger und Kerzenleuchter, Tora-Rollen oder Beschneidungsmesser erläutert werden oder mittels Schubfächern und Bildschirmen Hintergrundinformationen vermittelt werden sollen. Ein von Polstern umgebener Bildschirm mit dem Doppelnamen „Das Ding / The Object“ beispielsweise erklärt, was nun eigentlich Hostien (sicher sehr wichtig um “das Judentum” zu verstehen) sind und erläutert sie falsch als „Opferlamm“, obwohl das lateinische Wort genaugenommen „Schlachtopfer“ bedeutet. Wie dem auch sei, passte auch das eher in ein christliches Museum. Immer wieder sieht man kleine Gruppen, meist Jugendliche, die um einen Führer herumstehen, der ihnen bereitwillig ein Objekt oder eine Abteilung erklärt, jedoch genügt es, etwas hinein zuhören, um zu verstehen, dass zumindest an Klischees nicht gegeizt wird. Letztlich spricht auch dagegen nichts, da es ja kein Museum für Juden sein soll und dem Vernehmen nach ohnehin „die Architektur“ und ihr „Erleben“ im Vordergrund stehen. Das gelingt und die (Wissens-) Lücken gehören zum Konzept.
Was sind denn nun eigentlich Hostien? – Kein Problem, im Jüdischen Museum wird es erklärt, durch “das Ding”.
Es wäre jedoch redlicher ohne Etikettenschwindel von einem Museum zu sprechen, dass die letzten dreihundert Jahre jüdischer Geschichte in Deutschland darstellt und zwar eben doch aus der Perspektive der „Mehrheitsgesellschaft“. Mit auf bloße Stereotypen und einige Versatzstücke reduzierten „Judentum“ hat das Museum ansonsten auch nichts zu tun. Dafür sind die Lücken viel zu groß und daran ändern auch gerade die sog. „Voids“ nichts, die das Zerstörte „symbolisieren“ sollen und die man „Leeren der Geschichte“ nennen könnte. Etwa die sog. „Memory Void“ von Menasche Kadischman (מנשה קדישמן, geb. 1932) mit dem eigenartigen Namen „שלכת“ (in etwa die Entlaubung im Herbst) im Erdgeschoss. Im natürlich spitz zugeschnittenen hohen Betonraum, auf den man von oben durch kleine Fenster heruntersehen kann, liegen auf dem Boden angeblich zehntausend stereotype Masken mit runden Augen-Öffnungen und einem angedeuteten offenen Mund. Sie sollen an „die Opfer“ erinnern. Die Frage ist an welche? Das Holocaust-Thema wollte man ja vermeiden und eine Opferzahl von „zehntausend“ zu behaupten – könnte nach deutscher Gesetzeslage sogar strafbar sein.
Wie zu beobachten ist, laufen eine Reihe der Besucher auf den „Gesichtern“ umher, vielleicht, weil sie es von zuhause so gewohnt sind oder weil, wie man nachlesen kann, eine Absicht des Künstlers auch gerade darin bestand, metallische Klänge zu erzeugen, wenn man sich auf den Schichten von Masken auf und ab bewegt. Angeblich gäbe dies den „Menschen“ ihre Stimme zurück. Diese stellte „man“ sich dann als eine Art blechernes, metallenes „Kling-Klong“ vor. Aber wer würde nach einer Weile nicht ebenso „klingen“, wenn man in einem Betonschacht läge und andere permanent auf den eigenen stereotypen „Gesichtern“ herum trampeln? Und warum dies nun eigentlich? Damit darauf stehende oder kniende Besucher Schnappschüsse für ihre facebook – Seiten machen können. Eine bleibende Erinnerung? Vielleicht vermittelt ja auch dieses einmalige „Holocaust-Gefühl“.
Zu Besuch beim Holocaust …
Wäre man nicht so erzogen worden, wie käme man nach dem Besuch dieses Museums darauf, dass Judentum letztlich nicht auf sinnentleerten „Symbolen“, sondern auf der Praxis der Lehren von Talmud und Tora beruht? Könnte man mittels Nachbildungen diverser Scherben, etwas Tafelgeschirr und Hüten und fixiert auf Hexenverfolgungen und Biographien einzelner christlicher Milliardäre, Fürsten, Künstler und Mäzene nicht auch den Sinn und Zweck der christlichen Taufe missverstehen? Gewiss. So misst sich der Erfolg des Museums an den Besucherzahlen – wie erwähnt sind das aktuell etwa eine Dreiviertelmilllion pro Jahr – auch, weil Besucher zahlen und sich in der Mehrzahl sicher auch ganz gerne ehrfürchtig durchsuchen lassen. Das hat zweifellos auch bereits Event-Charakter, weil es ja auch einen gewissen Nervenkitzel hat. Schließlich kann jeder noch nicht inspizierte Besucher einen Sprengstoffgürtel um den Bauch gebunden haben. Da fühlt man sich bestimmt wie ein echter Jude, der gefährdet ist, zugleich aber auch wie ein Araber, der per se als Terrorist verdächtigt wird – oder umgekehrt? Jedenfalls hat es, wie man beobachten kann, gerade auch für Schülergruppen offensichtlich einen Reiz, absehbar unzutreffend, wie ein Terrorverdächtiger behandelt zu werden. Wo sonst bekommt man das für Zwo-fuffzig auch geboten? Der alberne Kiddusch-Becher aus Plastik im Museums-Shop kostet hingegen schon 3.50 € und welchem Schüler reicht da noch das Geld für einen kleinen Plüsch-Teddy mit Kippa?
Im Museums-Shop: Plastik-Becher für 3.50 € und Plüsch-Bären mit Kippa
War es das? Ja, und: nein. Den Museumsmachern ist irgendwie doch klar geworden, dass ihr staatliches Auftragswerk nicht alle Einwohner der Stadt und des Landes anspricht. Da insbesondere wohl gerade auch muslimische Besucher zu fehlen scheinen, wenigstens solche, die bei der Leibesvisitation traditionelle Kleidungsstücke abzulegen hätten, planen und realisieren sie auf der anderen Straßenseite einen Erweiterungsbau. Dieser soll ein “islamisch-jüdisches Forum” bieten und sich mit Fragen der Integration befassen. Was damit gemeint ist kann man aus jüdischer Perspektive eigentlich nur raten – vielleicht gibt es Seminare, die vermitteln wie man Israel hassen kann, ohne als Antisemit zu gelten? Zweifellos wird es aber einer „nichtjüdischen“ Mehrheitsmeinung entsprechen.