
Die Ursprünge Memmingens sind nicht genau bekannt, jedoch, dass die Stadt im Jahre 1286 durch Kaiser Rudolf zur Reichsstadt erhoben wurde. Es wäre kein Wunder, wenn wie in anderen Reichsstädten bereits in jener Zeit auch Juden in Memmingen lebten. Vor rund siebenhundert Jahren wird 1310 in Augsburg „der Jude Michel von Memmingen“ erwähnt, über den wir jedoch weiter nichts erfahren. So dauert es bis ins Jahr 1344, ehe erstmals ein Jude in die Memminger Geschichte(n) Einzug hält.
Johann Caspar Ulrichs Sammlung jüdischer Geschichten (Basel 1768) berichtet unter Berufung auf den schweizer Theologen Johann Jacob Hottinger eine Geschichte, die sich im Jahre 1344 zugetragen haben soll. Damals seien einige Bürger der Stadt bei einem Juden hoch verschuldet gewesen, konnten aber ihre Außenstände nicht begleichen, weshalb der Jude sich an den Bischof von Augsburg wandte, um diesen darum zu bitten, sodgleich die Stadt Memmingen insgesamt mit einem Bann zu belegen. Da der Bischof selbst jenem Juden verschuldet war, der ihm eigenen Zahlungsaufschub versprochen haben soll, sei er dieser Bitte gerne gefolgt. An der Zahlungsunfähigkeit der armen Memminger Bürger habe aber auch der nun ausgesprochene Bann nichts geändert. Eine Folge desselben war, dass die Memminger nun ihre Toten nicht mehr auf den bischöflichen Friedhöfen in der Stadt begraben durften. Nun wandten sich die Räte der Stadt an den Juden, ihnen deswegen den Bann aufzuheben, doch der jüdische Geldverleiher soll unerbittlich geblieben sein und weiter darauf bestanden haben, dass man ihm erst seine Schuld begleichen solle. Im Gegenzug drohten die Memminger Räte nun dem Juden ihre Toten dann eben auf dem jüdischen Friedhof der Stadt zu begraben. Da nun sei „der Jud“ aber gar sehr erschrocken und habe den Bischof schleunigst gebeten, den Bann gegen die Memminger wieder aufzuheben.
Diese Geschichte, deren Unterton etwas an Shakespears berühmt-berüchtigte, unversöhnliche Theater-Figur „Shylock“ (um 1600) erinnert, wurde ab dem 18. Jahrhunderts in verschiedenen Werken und Versionen als eine Art Stadtsage („urban legend“) weiter getragen. Der Höhepunkt war dabei immer, dass die bedauernswerten, aber schlauen Räte mittels einer List den schnöden und gierigen Juden eins auswischen konnten. Ob sich die Geschichte so zugetragen hat ist aber zweifelhaft, da ansonsten nirgends die Existenz eines jüdischen Friedhofs im mittelalterlichen Memmingen erwähnt wird. Überhaupt sind nur wenige Juden namentlich überliefert, weshalb nicht viel dafür spricht, dass es eine größere Gemeinde in Memmingen gab. Überall sonst konnten sich jedoch nur größere, bedeutendere jüdische Gemeinden eigene Friedhöfe „leisten“. Kosten und Steuern dafür waren doch recht hoch und für kleine Gruppen nicht zu bewältigen.

Wie dem auch sei, passt zum Topos der Legende, dass in keiner der Erzählvarianten der Name des „Juden“ erwähnt wird, da es offenbar für die Erbauung des Lesers oder Hörers wohl auch reichte, zu wissen, dass “der” Jude gemeint ist. Da auch „der Bischof“ nicht namentlich erwähnt wird, erinnert es ein wenig an „den Kasper“ und „das Krokodil“ oder zumindest daran, dass das Wort „Geschichte“ im deutschen zwei und zwar längst nicht immer deckungsgleiche Bedeutungen hat.
Eine andere Legende erzählt vom sogenannten „Nürnberger Trichter“ mit welchem man praktischerweise alles nötige Wissen in einen Kopf einfüllen, „eintrichtern“ konnte. Diesen Trichter schwatzte man sodann den Memmingern auf, die ihn wohl nötig hatten, jedoch nur, damit die Nürnberger ihn von dort auch wieder stehlen konnten und womit sodann ein für alle Mal demonstriert war, wie gewitzt man in Nürnberg und wie einfältig in Memmingen war: Dort wo die Stadträte auch schon mal die Fischersleut beauftragten, den Mond aus dem Wasser zu angeln, damit man dessen Licht in dunklen Nächten zur Beleuchtung nutzen konnte.

Depiction of a Circumcision on the facade of Augsburg Cathedral / Beschneidungs-Szene am Augsburger Dom
Einfacher ist es durch die Datierung auf das Jahr 1344 natürlich den Augsburger Bischof zu ermitteln, da in den Annalen des Bistums für die Zeit von 1337 bis 1348 bekanntlich Heinrich von Schönegg als Augsburger Bischof eingetragen ist. Von Bischof Heinrich berichtete man, dass er im November 1348 versucht haben soll, die Juden in Augsburg vor dem Mordanschlag der Stadtputschisten zu schützen, die im Tumult des Überfalls auf die Judengasse zugleich auch die Stadtherrschaft an sich reißen wollten. Da andererseits Herr Portner, der später aus der Stadt gebannte Rädelsführer der Verschwörung aber im Dienst des Bischofs stand, ist auch das eher zweifelhaft. Jedenfalls ist nun aber keine entsprechende Urkunde erhalten oder bekannt, die einen Bann der Stadt Memmingen durch einen Augsburger Bischof dokumentiert oder auch nur andeutungsweise erwähnt.
Weniger legendär dürfte sein, dass im „Pestjahr“ 1348 auch die Juden in Memmingen überfallen wurden, da im Juni 1349 der neue Kaiser Karl die Reichsstadt Memmingen begnadigt, trotzdem sie dort Juden „getötet und verbrennet“ haben. Unklar bleibt jedoch die Anzahl der Ermordeten und die Höhe der Sachschäden.
Die Ansiedlung der Memminger Juden wird im Bereich der heutigen Gerbergassen nebst Platz vermutet. 1373 geht aus einer weiteren Urkunde Kaiser Karl IV hervor, dass Juden auf einige Jahre Schutz in der Stadt fanden, aber das besagt nicht zwangsläufig, dass erst dann wieder Juden in Memmingen lebten. Das mittelhochdeutsche Rechts-Buch der Stadt Memmingen aus dem Jahr 1396 hält sich in Bezug auf Juden jedoch bedeckt und widmet ihnen anders als das 1276 entstandene Augsburger Stadtbuch, das sich umfangreich mit den Juden und ihren herausgehobenen Rechten in der Stadt befasst, keinen einzigen Absatz. Während in Augsburg das Stadtrecht den Juden eine eigene Gerichtsbarkeit bestätigte, weshalb es eine Reihe von Regeln dafür bedurfte, wenn ein Jude gegen einen Christ, ein Christ gegen einen Juden oder Juden sich untereinander verklagten, fehlt im Memminger Stadtrecht dazu jeder Hinweis. Das Fehlen eines jüdischen Gerichts können wir aber als Beleg dafür werten, dass es in Memmingen keine große Gemeinde gab.
Das Memminger Rechtsbuch (siehe: http://stadtarchiv.memmingen.de/1688.html) beinhaltet dennoch ein paar Regelungen die Juden zumindest erwähnen, wenngleich auch nicht ausschließlich. Im Abschnitt XII etwa heißt es da:
„Wa man nichtz verbieten mag: Es ist ouch von alter hie gewonlich und Recht, daz man jn kainer fryung hie nicht verbieten sol, noch ze kainem judem kain pfand daruff gesuoch gat, und daz nit durch flucht sämmin in jr gewalt kumpt ungeuärlich. Aber sunderlich ze yede antwerksman, wie der genant ist, mag man allerleay, da von man lon git, welerlay guot daz ist, wol verheften und ouch verbietten. Ey sye joch durch Schierms willen zu jn gesichnet oder nit, doch das der handwerksman sins lons daby bezalt werde vor menglich.
Umb priester nöten: so soll man ouch kain priester noch verbieten, es erloub denn ain beggan, oder ez wird erklegt jn dem Capitel oder mit gaistlichem gericht“
Aus dem Vergleich mit Bestimmungen anderer, damals nicht wesentlich größeren Städten, ergibt es sich, dass die Juden im mittelalterlichen Memmingen offenbar keine sehr wichtige Stellung einnahmen. Artikel XVI stellt in Bezug auf Schuldbriefe die rechtliche Gleichstellung zwischen Christen und Juden, Frauen und Männern fest. Da im folgenden insbesondere Bestimmungen zu offenbar weit verbreiteten Formen der Unzucht und der Gewalt viel Platz im Memminger Stadtrecht einnehmen, werden Juden erst wieder im Abschnitt XL beiläufig erwähnt, als es dort darum geht, festzustellen, dass kein Gast zu Memmingen ein Wirt sein soll und so er doch ausschenkt, so soll er, gleich ob „pfaff oder lay, juden oder christan“ dafür „das ungelt davon geben“, wie man damals auf etwas ehrlichere Weise bezeichnete, was man heute eher unzutreffend „Mehrwertsteuer“ nennt: „von aim viertel honigs niun pfenning und von Bier von ainem Malter gerstun zwey schilling Costentzer, und wie ainer win uff tuot, also sol er jn verungeltun, und was die Summ wirt, das sol er gen, …“ Usw.
Auch hier ergibt sich kein Unterschied für Juden und Christen, Pfaffen oder Laien. Kommen sie als Fremde in die Stadt, um Honig (gemeint ist damit Met, das fälschlich Honig-„Wein“ genannte Getränk), Bier oder (echten) Wein auszuschenken, so muss er dies entsprechend der genannten Tarife „ver-un-gelten“, sprich Umsatzsteuer dafür abgeben. Abgesehen davon, dass man für die berauschenden Getränke dann doch bis zu einem Viertel an Ungeld zu bezahlen hatte (wo wir heute in Deutschland 19 % drauflegen müssen), ist daran allenfalls noch die dann offenbar doch übliche Praxis interessant, die es auch Juden (und „Pfaffen“!) in Memmingen gestattete, Bier oder Wein auszuschenken, während andererseits kein Bürgermeister der Stadt (gewählt von den Zunftmeistern) zwei Jahre in Folge im Amt sein sollte, sondern ein solcher jährlich zu wählen war.
Der 48. Abschnitt des Memminger Rechtsbuchs befasst sich sodann mit der offenbar erwähnenswerten Petersilie und anderen Gartengewächsen:
„Umb peterlin ze kouffen: Und wer juden ald Essenmacher oder iemand anders ze kouffent git peterlin, ald was jn den garten wachst, man an offem margt, der veruallet fünf schilling, als dik er daz tuot.“
Ohne Zweifel musste das Leben in Memmingen schon damals eher beschaulich gewesen sein, da wohl kein anderes mittelalterliches Stadtrecht Juden als „Essensmacher“ mit Petersilie in Verbindung bringt. Aber so ist das wohl, wenn spannendere Themen fehlen.
Die letzte Erwähnung von Juden findet sich im 50. Abschnitt des städtischen Gesetzbuches Memmingens:
„Es ist ouch gesetzt, daz kain Mertzler oder iemant anders, er sie burger, gast oder jud, die kouffen sol schmalz, Oel, schmalsat, höner, fisch, aiger oder was södlichs dings ist, wan das er bedarff ungeuärlich, wer das bricht, der wirt den burgern schuldig zehen schilling haller, als dik er das tuot, aber ain burger mag wol kouffen sölich ding jn sin hus, des er ain jar bedarff.“
Einen größeren Bedarf wird es wohl auch nicht gegeben haben, zumal die Gassen eng und die Stuben klein waren. Wir sehen also, dass sich das Memminger Stadtrecht tatsächlich nur ganz am Rande mit Juden befasst, die sodann mit Pfändern, aber auch mit Bierauschank, Petersilie und Fetten in Verbindung gebracht werden. Nirgends ist ein Rabbiner oder Schulmeister erwähnt, keine „Schul“, kein Tauche und auch kein Friedhof.

(wikipedia)
Etwa zur selben Zeit, im Jahr 1393 findet sich in den Augsburger Steuerbüchern Abraham von Memmingen (MJAR 227) als Steuerzahler und leistet in den Folgejahren eine Abgabe von stattlichen zehn Gulden (die übliche Jahressteuer lag bei einem Gulden). 1397 wird auch sein Sohn Lämlin, wohl durch Volljährigkeit als Bürger der Stadt eingetragen und versteuert immerhin noch weitere sieben Gulden, die jährlich am christlichen Martinstag an die Stadtkasse zu entrichten waren. Lämlin heiratete in die Familie des Gemeindevorstands der Augsburger Juden ein, deren Nachkommen wir später in vielen anderen Städten Schwabens wiederfinden.
Fast eineinhalb Jahrhunderte hört und liest man nun nichts mehr über Juden in Memmingen, noch nicht mal über einen Ausweisungsbeschluss, der anderswo wenigstens noch notiert worden wäre.
1529 teilt das Rottweiler Gericht der Stadt Memmingen mit, dass „Hirsch Jude zu Grenenbach“ geächtet worden sei. Da Grönenbach nur etwa 15 km südlich von Memmingen gelegen ist, was geschätzte zweieinhalb Stunden Fußmarsch bedeutete, kann man in Bezug auf die Mitteilung über die Ächtung jenes Hirsch (Zvi?) an die Stadt wohl vermuten, dass dieser dort häufiger als Händler auftrat, da touristische Aspekte damals eher nicht in Betracht kamen. Eine ähnliche Mitteilung erreichte Memmingen zu selben in Bezug auf den Juden Loew aus Thannhausen, das jedoch ungleich weiter, nämlich 45 km nördlich gelegen ist. Im Sommer drehte sich der Wind dann aber offenbar, denn der besagte Jude aus Grönenbach erreichte nun, dass ganz umgekehrt sein Kontrahent und Schuldner, ein christlicher Einwohner Memmingens geächtet und er selbst wieder rehabilitiert wurde. Im November wurde er wohl auch zeitweiliger, wenngleich sicher auch nur theoretischer Besitzer eines Guts in Memmingen, wegen der außenstehenden Summe von 142 Gulden, deren Wert natürlich weit geringer war als 150 Jahre zuvor. Im Februar 1530 erreicht „Samuel Jud zu Günzburg“, den wir wenig später in Pfersee wiederfinden, beim Hofgericht in Rottweil gegen einen anderen Memminger Christen die Acht.
Wir sehen, dass sich zum einem nach 15 Jahrzehnten „Schweigen“ plötzlich wieder eine Art Alltag abspielt, den es zwischenzeitlich scheinbar nicht gab, der nun aber Klagen von und gegen Juden zum Gegenstand hat, weshalb sich das zuständige Hofgericht etwa einmal im Monat mit einem entsprechenden Fall befassen muss, kann, darf. Andererseits ergibt sich daraus, dass es in Memmingen lediglich Geschäftskontakte gab, von denen die nicht bezifferbare Mehrheit (?), weil nicht gerichtlich verzeichnet, wohl auch problemlos waren. Die Juden, welche mit Memmingen zu tun hatten, stammten dabei nicht immer aus der näheren Umgebung, sondern nahmen vereinzelt dann wohl doch einen weiteren Weg in Kauf, falls ihre Klienten das nicht von sich aus taten. Schließlich waren sie offenbar diejenigen, die als Christen längst auch offen Wucher verlangten, aber von den Juden Geld leihen wollten. Sicher nicht, weil sie jemanden suchten, dem sie endlich mehr Zinsen zahlen durften.
Auch in den Folgejahren sind jährlich mal zwei oder drei, fünf oder kein einziger Fall verzeichnet, in welchem ein jüdischer Gläubiger aus Isenburg oder Schwaighausen vor Gericht eine Ächtung gegenüber einem zahlungsunfähigen oder –unwilligen Schuldner erwirkt. Es kann aber auch vorkommen, dass zwischen zwei erhaltenen Urkunden auch mal drei oder vier Jahre Pause liegen, weshalb man mit einiger Gewissheit schlussfolgern kann, dass die zuständigen Bezirksgerichte sich nur eher marginal mit entsprechenden Fällen beschäftigen mussten. Eine eigens dafür geschaffene Anstellung ließe sich bei mitunter drei Rechtshändeln pro Jahrzehnt kaum rechtfertigen, zumal es sich objektiv gesehen um doch eher kleine Summen handelte. Auch waren die Klagen wohl mitunter wenig ergiebig, denn noch Ende 1556 finden sich vom Rottweiler Hofgericht wieder Beschlüsse zum Juden Hirsch aus Grönenbach, auf dessen Klage ein Memminger Bürger wegen eines Außenstandes geächtet wird. Ob es sich dabei, 27 Jahre später, um denselben Rechtsstreit handelt wie bereits 1529, kann nur vermutet werden, ist aber auch nicht auszuschließen. Es werden nicht viele Juden in Grönenbach gelebt und auch nicht alle Hirsch geheißen haben. Die damit verbundene Langatmigkeit auf der einen und die offensichtlich belanglose Geringfügigkeit auf der anderen Seite widerspräche dabei zweifellos der sonst unterstellten „Dringlichkeit“ aller „jüdischen“ Angelegenheiten, denen manche Kommentatoren und Forscher heute oft eine oft völlig überzogene und unrealistische Wichtigkeit beimessen wollen. Es war eben auch damals schon Hinterland und nur Streit unter Landmännern. Womöglich etwas zu provinziell für Staatsaffären.
1559 bestätigt Kaiser Ferdinand in Augsburg das Judenprivileg der Stadt Memmingen, womit gemeint ist, dass die Stadt keine Juden als feste Bewohner aufnehmen muss. Praktisch bedeutet dies, dass die Stadt bei Bedarf die finanziellen Ansprüche des Kaisers befriedigen muss, da abgesehen von Zollgeldern keine jüdischen Zahlungen im Stadtseckel landeten.
1581 ändert sich dies jedoch nachdem die Stadt Memmingen das Schloss Isenburg (Eisenburg) mitsamt den Siedlungen darum herum erwarb. Dazu gehörten nun auch die jüdischen Einwohner des Dorfes Amendingen, deren Anzahl man auf zwei Dutzend schätzen darf. Für den Schutz des nur etwa 2 km entfernten Dorfes war nun Memmingen zuständig und versprach dies auf zehn Jahre auch einzuhalten. Was daraus wurde, ist nicht überliefert.

Es lässt sich also festhalten, dass etwa zur Zeit des Umzugs von Abraham von Memmingen nach Augsburg auch die Nachrichten über Juden in Memmingen für etwa 150 Jahre abbrechen, ehe dann in Zeiten der christlichen „Reformation“ aus der näheren und weiteren Umgebung zwei oder drei Juden pro Jahrzehnt vereinzelte Rechtsstreitigkeiten mit Memminger Christen haben, in der Regel weil diese ihre Schulden nicht zurückbezahlen wollten oder konnten. Das geht kaum dreißig Jahre so und schon entsteht eine neuerliche, fast zweihundertjährige Überlieferungslücke, von der wir nur wissen, dass inzwischen viele der Juden sich längst an anderen, offenbar attraktiveren Orten der Region angesiedelt haben. Dörfer wie Fellheim, zehn Kilometer nördlich von Memmingen, schlossen deshalb rasch auf, während die Reichsstadt Memmingen in der Folge stagnierte und erst um 1840 über 5.000 Einwohner hinaus kam.
Auch die frühen Heimatkundler des 19. Jahrhunderts wissen nicht eben viel über die Juden in Memmingen zu berichten. Da sie weder Namen, Daten oder gar Zusammenhänge kennen, lässt sich auch umso bestimmter behaupten, dass die mittelalterlichen Juden in Memmingen „fast ganz allein vom wucherischen Geldhandel lebten“, was sie sodann auch zum Gegenstand eines „allgemeinen Hasses des Volkes“ gemacht haben soll. Mehr benötigte etwa der Heimatforscher Jakob Friedrich Unold 1826 in seinem 550 Seiten umfassenden Darstellung der „Geschichte der Stadt Memmingen“ auch über „die Juden“ in seiner Stadt nicht mitzuteilen. Das Kasperle und das Krokodil. Erst 1812 tauchen sie in seiner Chronik und Wahrnehmung wieder auf, als ihnen, „den Juden“ nämlich an christlichen Feiertagen „das Schachern“ verboten wird.
Jakob Friedrich Unold war hauptberuflich königlich bayerischer Studienlehrer für die dritten Klassen an der Memminger Knabenschule, worunter man damals die etwa 16 Jahre alten Abschlussjahrgänge verstand. Zu seinen Schülern gehörten im Jahrgang 1808/1809 auch zwei Juden, die jedoch nur Teile des Gesamtunterrichts genossen, wie es heißt, offensichtlich weil sie den christlichen Konfessionsunterricht nicht besuchten. Der eine Schüler war Jakob Hirsch (Löb), geboren am 10. Juli 1793 in Fellheim als Sohn von Daniel Löb, dem Schulsänger der jüdischen Gemeinde von Fellheim. Der andere ist der am 1. Juli 1791 geborene Joel Moses Seligmann, Sohn von Joel Nathan Seligmann dem damaligen Rabbiner von Fellheim. Über beide Schüler ist eingetragen, dass sie „zur Handelsschaft“ abgingen, also ihren Schulbesuch in Memmingen beenden, um eine berufliche Ausbildung zu beginnen. Somit waren zwei der 29 Schüler der dritten Altersstufe der Memminger Knabenschule Juden, während die beiden anderen „Klassen“ (in der ersten waren Schüler im Alter von 8-9 Jahren, in der zweiten ab 13 Jahren) keine jüdischen Schüler aufwiesen. Zum Unterrichtsstoff zählte Deutsch, Latein, Arithmetik, Geometrie, Natur- sowie Deutsche Vaterlandsgeschichte, aber auch Knigges „Umgang mit den Menschen“ und das Fach Experimentalphysik, das vor zweihundert Jahren in der Kleinstadt sicher recht interessant gewesen sein durfte. Von Jakob Hirsch Löb ist noch „löblich“ erwähnt, dass er zusammen mit ein paar anderen „ privatim“ durch den Stadtmusikus Johann Melchior Dobler in 2-3 Wochenstunden Violine spielen lernte. Da sein Vater Kantor der Gemeinde in Fellheim war, überrascht dies nicht zu sehr. Eher schon die Notiz, dass beide jüdischen Knaben zusammen mit einem dritten, christlichen Schüler den Unterricht „unentgeltlich“ bekamen, wofür jedoch keine Umstände erklärt sind.
1855 befasst sich das Gericht in Illertissen damit, dass die christliche Memminger Metzgertochter Judith Hecker gegen den jüdischen Pferdehändler Samson Ullmann aus Altenstadt Klage erhebt, um von diesen Unterhalt für die gemeinsame Tochter zu erhalten.
Erst ab 1862 wohnten wieder Juden dauerhaft in Memmingen. Bereits 1872, als ihre Zahl schon etwa hundert Personen umfasste, wurde formell eine Gemeinde gegründet. Drei Jahre später wurde nun auch tatsächlich ein jüdischer Friedhof in Memmingen eingeweiht, auf dem bis 1937 rund 150 Begräbnisse stattfanden.

Mayer Löb Meir Arje Heilbronner 1815-1898 (source: wikipedia)
„Der erste jüdische bayerische Soldat, der 1870 das Eiserne Kreuz erhielt“, titelte im Oktober 1915 das jüdische Magazin „Im deutschen Reich“:
„Herr Ludwig Heilbronner, der Mitinhaber der Tuchfirma M.L. Heilbronner in Memmingen, ist am 29. August d. J. daselbst gestorben. Der Kultusverwaltung Memmingen hat der Veteran 16 Jahre hindurch angehört und eifrig für unseren Centralverein gewirkt. Der Memminger Krieger- und Veteranenverein gab nahezu vollzählig dem tapferen Kameraden das letzte Geleit mit umflorter Fahne. Von dem im Ort garnisonierten Bataillon war bei dem Begräbnis eine Abordnung aus einem Hauptmann, einem Leutnant und einem Fähnrich bestehend bei dem Begräbnis anwesend.“
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten etwa 250 Juden in der Stadt, deren Bevölkerung nun auf etwa 9.000 angestiegen war. 1908, nachdem die Memminger Juden gut 30 Jahre lang einen Teil des Fuggerbaus (mancherorts als „Fugger-Synagoge“ veralbert) als Versammlungsstätte nutzten, wurde am Schweizerberg die große und weit über die Stadtgrenzen hinaus beachtete Synagoge eingeweiht, die aber bereits 1938 wieder von den Nazi-infizierten Memmingern zerstört wurde, gründlich binnen weniger Tage.
Zum 1. Juni 1913 berichtete „Im deutschen Reich“ (Heft 7, S. 322 f) , dass „vor einigen Wochen“ ein „anerkannt tüchtiger Jurist … der aus einer tadellosen jüdischen Familie stammend“ an das Landgericht Memmingen versetzt wurde und „infolge seiner richterlichen Stellung und seiner Persönlichkeit veranlasst wurde, sich zur Aufnahme in den Verein „Harmonie“ vorschlagen zu lassen, der für die Beamtenwelt und für die anderen gebildeten Bürgerkreise den ausschließlichen Mittelpunkt in Memmingen bildete. Trotzdem sich einflussreiche Herren für seine Aufnahme verwendeten, wurde diese in geheimer Abstimmung abgelehnt, und zwar, worüber bei den tadellosen persönlichen Verhältnissen des Vorgeschlagenen bei niemanden ein Zweifel besteht, ausschließlich wegen seiner Zugehörigkeit zum Judentum.
Es wird allgemein angenommen, dass dieser Misserfolg, der bei dem großen Teil der älteren, vorurteilslosen Mitglieder Entrüstung auslöste, auf Betreiben der jüngeren Elemente der Gesellschaft zurückzuführen sei. Es wurde aber auch versucht, das bedauerliche Vorkommnis mit dem freien Selbstbestimmungsrecht über die Aufnahme von Mitgliedern abtun zu wollen. Es muss zugegeben werden, dass ein geselliger Verein gewiss das Recht hat, sich seine Mitglieder nach Belieben zu wählen . Jedenfalls aber wirft es auf die Unbefangenheit der Beamten, die einem solchen Verein angehören und Juden nur ihres Glaubens wegen ausschließen, und den Sinn dieser Beamten für die Pflicht der Religiosität, ein trauriges Licht!. Das Lokal, in dem sich die erwähnte Wahl abgespielt hat, ist übrigens an den betreffenden Verein von der Stadtverwaltung vermietet, die sich in rühmenswerter Beharrlichkeit stets für die Erhaltung des konfessionellen Friedens eingesetzt hat und deren Sinn es nicht ist, dass in ihren Räumen tadellose Bürger ihres Glaubens wegen zurückgesetzt werden.“
Es ist durchaus aufschlussreich, dass die zunehmenden anti-semitischen Tendenzen dem Nachwuchs zugeschrieben wurde. Recht bald sollte schon klar werden, wohin „die Reise“ ging. Abermals berichtet das Berliner Magazin „Im deutschen Reich“ aus dem Allgäu:
„Wieder einmal hat sich der Überfluss an Kraft einiger besonders rühriger Judenfeinde in einem körperlichen Exzess gegen die Juden entladen, indem man es für zweckmäßig hielt, in dem bayerischen Städtchen Memmingen nach Herzenslust Juden zu verprügeln und bei ihnen zu plündern. Es liegt für uns kein Anlass vor, ein Wort der Verteidigung für Juden zu sprechen, die sich in der Tat gegen gesetzliche Anordnungen der Lebensmittelwirtschaft vergangen haben, selbst wenn es auf dem Lande geschieht, in dem sonst die Bauern nichtjüdischen Bekenntnisses am wenigsten den behördlichen Anordnungen zur Ablieferung von Getreide und dergleichen Folge leisten; aber das ist ja bekanntlich weit weniger schlimm, selbst wenn es zur Massenerscheinung wird, weit weniger schlimm, als wenn ein Jude 56 Pfund Mehl einige Pfund Butter nicht herausgegeben hat! (So meldete es der Gerichtsbericht!)
Und es ist ebenso nach den gemachten Erfahrungen „begreiflich“, dass die armen Menschen, die ob ihrer Selbsthilfe, alias schwerer Körperverletzung, Diebstahl und Raub, öffentlich vom Magistrat gemissbilligt werden, als Märtyrer hingestellt, während die anderen nur der verdienten Züchtigung verfallen sind! So meinen es wenigstens die Antisemiten! Es ist eben eine eigenartige Welt, in der wir heutzutage leben! Und man kann es sich leicht vorstellen, dass so mancher, der fremd in diese deutsche Welt hineingerät, aus dem Kopfschütteln über diese sonderbaren Vorgänge nicht herauskommt.
Und was muss der Fremde erst sagen, wenn er erfährt, dass beinahe die stolzen Gipfel der Alpen auch nur noch von „Reinariern“ hätten erklommen werden dürfen. Wundervoll weit hätten wir es doch gebracht, wenn nur noch blondgelockte „Arier“ das wundervolle Bild der Alpenlandschaft in sich hätten aufnehmen, wenn nur noch sie unter Todesgefahr Schnee und Eis hätten finden dürfen! Ist doch tatsächlich auf der letzten Verbandstagung des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins die Frage des Ausschlusses der Juden nicht nur ventiliert, sondern sogar von einer starken Minorität bejaht worden.“
An den Verhältnissen des Kommentars aus dem Jahr 1921 sollte sich bekanntermaßen bald entscheidendes ändern, woraus sich ergibt, dass sich selbst in provinziellen Landregion die Entwicklung keineswegs “überraschend” vollzog. Die Ausschreitungen in Memmingen auf die der Bericht anspielt, wurden als sog. „Memminger Käsepogrom“ bekannt.
Ausführlicher berichtete dazu „Der Israelit“ unter eben jener Überschrift in seiner Ausgabe vom 18. August 1921:
„Als man vor kurzem in der politischen Tagespresse von einem Überfall auf einen jüdischen Milch- und Käsehändler in der bayerischen Stadt Memmingen las, da sagte sich wohl manch einer, der Mann werde schon irgendwie durch unlautere Geschäfte oder aufreizendes Benehmen sein Schicksal verschuldet haben. Wir sind heute noch nicht in der Lage, ein Zeugnis zu Gunsten oder Ungunsten des Beschuldigten abzulegen, obgleich das vom Amtsgericht gegen ihn inzwischen gefällt milde Urteil die ihm vom Memminger Volke zur Last gelegten Delikte eher widerlegt als bestätigt. Indes ersieht man aus den ausführlichen Berichten in der bayerischen Presse, um was es sich bei dem Überfall in Memmingen letzten Endes handelte. Es spielten sich vor dem Hause des jüdischen Großhändlers stürmische Szenen ab, die rein antisemitischen Charakter hatten, und sie fanden ihre Fortsetzung, nachdem der Bedrohte in Schutzhaft genommen war, auch an und in anderen jüdischen Häusern, deren Bewohner nicht das Mindeste mit Lebensmitteln zu tun haben. Es steht fest, dass R. seine Milch entsprechend den Weisungen der Landesfettstelle nach Nürnberg zu schicken hatte. Es nützte ihm nichts, dass er dies nachwies, dass er versprach, seinen Einfluss bei den Käufern zu Gunsten der Stadt geltend zu machen, es nützte auch nichts, dass der Bürgermeister begütigend eingriff und der erste Staatsanwalt, um den Bedrohten zu schützen, einen Haftbefehl gegen ihn erließ, die ‚Volksbelustigung’ kam doch zustande, die darin bestand, dass das unglückliche Opfer auf dem Wege zum Gefängnis durch die Straßen gezerrt und schwer misshandelt wurde.
Aus all dem ergibt sich: die Milch- und Käsesorge war es nicht, die die Menge in Memmingen auf die Straße vor das Haus des Juden trieb. Die Vorgänge waren gut organisiert und von langer Hand durch antisemitische Drahtzieher, die heute bis auf das letzte bayerische Dorf ihre unheilvolle Wirkung ausüben, gut vorbereitet.
Der Regierung Kahr in München, die in unerschöpflicher Toleranz in den letzten Jahren in Presse und Vortragssaal, sogar auf Katheder und Kanzel ein Kesseltreiben gegen die Juden duldet, wie man es früher in deutschen Landen kaum gekannt hat, sollte doch dieser Fall Memmingen sehr zu denken geben.
Gegen die Anstifter und Teilnehmer an den Krawallen in Memmingen ist Strafverfahren eingeleitet worden. Nach der amtlichen Darstellung ist als treibende Kraft der Kundgebungen der Arzt Dr. Sizius anzusprechen. Nach Aussage des Stadtrats Mayrock, des Führers der christlichen Gewerkschaften, hat Dr. Sizius ihn bereits am Freitag zu bestimmen versucht, ‚endlich gegen die Juden vorzugehen’, da doch diese die meiste Schuld an der jetzigen Teuerung trügen. Mayrock hat das Ansinnen ganz entschieden zurückgewiesen und Dr. Sizius vor einem derartigen Unternehmen gewarnt, da dadurch nur die Masse auf die Straße gehetzt werde. Als Sizius sah, dass Mayrock nicht dafür zu haben war, wandte er sich an einen als linksradikal bekannten Arbeiter, offenbar mit besserem Erfolg.”

Am 10. August 1930 verstarb im Alter von 61 Jahren Aharon Rosenblatt, der immerhin 40 Jahre lang als Lehrer und Kantor der jüdischen Gemeinde in Memmingen amtierte und vom Vorsitzenden der Gemeinde Karl Gerstle (1971-1938) entsprechend gewürdigt wurde. Der Vater von Karl war der aus Steppach stammende Albrecht Gerstle (1842-1921), seine Mutter Therese Ullmann stammte ebenfalls aus Steppach und war die Enkelin des Seligman Ulmann, dessen später katholisch getaufter Bruder Löb im Jahre 1803 unter den Juden in bayerisch Schwaben mit falschen Anschuldigungen für erheblichen Wirbel sorgte. Albrecht Gerstle hingegen war von 1877 bis 1884 und nochmals von 1889 bis 1918 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde von Memmingen und Eigentümer eines Bankhauses.
Im November 1938 wurde die Memminger Synagoge überfallen und die Juden der Stadt bestohlen und misshandelt. 1942, nach nur 80 Jahren „Moderne“ war Memmingen nun wieder „judenfrei“ und abgesehen davon, dass um 1947 etwa hundert sog. „displaced persons“ vor Ort lebten ist es bis heute eigentlich dabei geblieben. Damals war es einem Bericht zu Folge sogar noch im Dezember 1948 zu einer geradezu tiefstmittelalterlichen Anschuldigung gekommen, wonach ein polnischer Jude dem kleinen Kind seiner Vermieterin für seine angeblichen Pessach-Bräuche Blut abgezapft haben sollte. Offenbar gab es darüber allen Ernstes auch noch ein Gerichtsverfahren, was jedoch mit einer Verurteilung der Klägerin und ihrem Anwalt endete:
Siehe: http://www.hagalil.com/archiv/2010/09/12/memmingen
Es dauerte nochmals ein gutes halbes Jahrhundert, ehe man in Memmingen darauf kam, im Heimatmuseum wenigstens über ein paar Grundzüge der über sechshundertjährigen jüdischen Ortsgeschichte zu informieren.
Während nun nach langen Kontroversen der Platz der ehemaligen Synagoge einer zweifellos notwendigen gastronomischen Nutzung zugeführt wird, wurde vor kurzem erst unter Anteilnahme immer wieder gerne willkommener Besucher aus den Reihen ausländischer Nachkommen früherer Memminger Juden eine Gedenktafel enthüllt, die eben an jene früheren Besitzer erinnern soll.

There are 700 years of almost forgotten Jewish history in the Bavarian Swabian townlet of Memmingen with many interruptions and if it is one, the last one lasts since 1942/1948. As the beginning also the endpoint has been rather fairytale.
Zum Schutz der Beschneidung
July 27, 2012Ein Aufruf der Orthodoxen Rabbinerkonferenz in Deutschland (ORD/ http://www.ordonline.de/), dem wir sehr gerne Folge leisten:
Offener Brief zum Schutz der Beschneidung
Liebe Freunde,
die Diskussion über die Zulässigkeit der Beschneidung nimmt in den Medien teilweise schreckliche Züge an. So gibt es zum Beispiel auf faz.net einen “Offenen Brief zur Beschneidung” http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html
in dem die Beschneidung von Jungen als “Anwendung von Gewalt” bezeichnet wird.
Um all diesen Artikeln etwas entgegen zu setzen und möglichst auch die im September zu erwartende Diskussion im Bundestag zu beeinflussen, haben Prof. Kyrill-Alexander Schwarz (Universität Würzburg) und “Dr. XY” (Name auf schriftlichen Wunsch am 20. August 2012 entfernt) ebenfalls einen Offenen Brief zur Beschneidungsdebatte verfasst, der in den nächsten Tagen in einer der großen Zeitungen veröffentlicht werden soll. Die Datei findet Ihr im Anhang.
Jeder, der den Brief mit unterzeichnen möchte, sendet bitte eine Mail mit Name, Beruf/Titel und Wohnort an: T.Ellen.Guggenheim@t-online.de. Bitte leitet diese Bitte auch an Eure Freunde und Bekannte weiter. Je mehr Unterzeichner, desto besser!
Für das Menschenrecht auf elterliche Erziehung
zur religiösen Identität
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung, sehr geehrte Bundestagsabgeordnete,
Im Zuge der Forderung nach einer „Versachlichung“ der Diskussion um die Beschneidung benennen die Unterzeichner eines offenen Briefes an Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.07.2012 als Kernpunkt der Debatte eine „Abwägung der Grundrechte auf Religionsfreiheit von Erwachsenen mit dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung sowie die Achtung seiner Würde.“. Diese und ähnliche Beschreibungen in der gegenwärtigen Debatte kommen einer Diffamierung der jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften gleich. Die Beschneidung ist kein Instrument der Eltern zur sexuellen Unterdrückung, Entwürdigung oder Verstümmelung ihrer eigenen Kinder, sondern ein Akt, der die Körper der Kinder vollständig werden lässt: Sie werden durch eine Beschneidung zu einem selbstverständlichen Teil ihrer Religionsgemeinschaften, ebenso wie sie selbstverständlich eine Muttersprache erlernen. Nicht die Eltern, sondern eine Gesellschaft, die muslimischen und jüdischen Kindern eine solche selbstverständliche religiöse und soziale Identität verweigert, verletzt ihre Würde.
Die Verabsolutierung des kindlichen Rechts auf körperliche Unversehrtheit bedeutet, dass Normativität nur den unbeschnittenen Körpern der Mehrheitsgesellschaft zugestanden wird; nur sie haben eine selbstverständliche und „natürliche“ Existenzberechtigung. Im Sinne der Religionsfreiheit soll sich ein Mensch daher zwar im Erwachsenenalter frei für eine „abnorme Ausnahme“ entscheiden können, jedoch darf er diese nicht zur Normalität werden lassen – Seine Kinder sollen unbeschnitten bleiben, und nicht die Religion ihrer Eltern, sondern jene der Mehrheitsgesellschaft verkörpern. Jüdischen und muslimischen Eltern wird damit nicht weniger als das Recht auf eine selbstverständliche Nachkommenschaft genommen.
Dies ist ein Eingriff in das zuvörderst den Eltern – nicht dem Staat und nicht der Mehrheitsgesellschaft – obliegende Recht und die Pflicht zur religiösen Erziehung sowie generell zur Erziehung und damit Prägung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 GG; Art. 4 Abs. 1, 2 GG; § 1 Gesetz über die religiöse Kindererziehung).
Es ist ein zentrales Anliegen des Menschenrechts auf Religionsfreiheit, nicht den Vorstellungen einer Mehrheit folgen zu müssen, sondern für sich das Recht auf ein Leben nach eigenen, dem eigenen Selbstverständnis verpflichteten religiösen Handlungen in Anspruch nehmen zu können. Hier erweist sich der Grundrechtsschutz in seiner zentralen Funktion als Schutz der Minderheit.
Mit dem rigorosen Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Kindes und seiner Religionsfreiheit werden die Grundrechte des Kindes von Abwehrrechten gegenüber dem Staat, die es bis zu seiner Mündigkeit durch seine Eltern wahrnimmt (vgl. §§ 1, 5 Gesetz über die religiöse Kindererziehung), zu Abwehrrechten gegen Private, namentlich gegen seine eigenen Eltern. Damit kommt der Staat seiner grundgesetzlichen Pflicht zum besonderen Schutz der Familie nicht nach (Art. 6 Abs. 1 GG).
In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder betont, dass die Bedürfnisse und Traditionen der beteiligten Religionsgemeinschaften berücksichtigt werden sollen. Diese Berücksichtigung soll allerdings nach den Vorgaben der Mehrheitsgesellschaft erfolgen. Geschützt wird in einer solchen Gesellschaft nicht „jüdisches und islamisches Leben im Rahmen der deutschen Rechtsordnung“ – geschützt wird der Traum von einem Land, in dem ausschließlich die Deutungsmuster und Körper der Mehrheitsgesellschaft existieren können.
Wir, die Unterzeichner, bitten Sie, den „Kinderschutzgedanken und die Bedürfnisse der betroffenen Kinder zur Grundlage Ihrer Entscheidungsfindung zu machen“ und sich „eindeutig auf der Seite des Kindes zu positionieren“: Jüdische und muslimische Kinder haben das Recht, in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft aufzuwachsen, einer Gesellschaft, die ihre Identität nicht kriminalisiert, sondern sie als gleichberechtigt und gleichwertig anerkennt.
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Kommentar zur Diskussion
Es muss etwas mit dem „Sommerloch“ zwischen der Fußball-EM und dem Beginn der Olympischen Sommerspiele in London zu tun haben, vielleicht auch damit, dass man nicht zu viel über das andauernde Gemetzel in Syrien oder über die Entwicklung in Ägypten oder die “Eurokrise” informieren und reden will: Denn selten bekam das Urteil eines einzelnen Gerichts in Deutschland gar so viel Aufmerksamkeit, wie das inzwischen allgemein bekannte Urteil zur “religiösen Beschneidung”, welches selbige als „Körperverletzung“ wertet, freilich ohne näher zu bestimmen, ob das mehr im Bereich einer Watschen, Piercing, Knochenbrüchen oder Hirnambutation zu verstehen ist.
Zwar kann, was viele gar nicht verstanden haben, auch das Kölner Landgericht gar keine Gesetze erlassen (dafür sind in Rechtsstaaten mit Gewaltenteilung noch immer Parlamente zuständig), doch hinderte das eine Vielzahl eifriger Kommentatoren nicht daran, anzunehmen, dass Bescheidung von Kindern in Deutschland nunmehr verboten sei. Dem ist natürlich (noch) nicht so und da keine einzige Partei des Deutschen Bundestages auch nur ein entsprechendes Gesetz erwägt, wird es dazu nicht kommen. Da darüber hinaus auch kein anderes Gericht an die singuläre Entscheidung des Kölner Landgerichts gebunden ist und deren Urteil zudem von einer höheren Instanz revidiert werden kann, müsste man die ganze Sache eigentlich achselzuckend zur Kenntnis nehmen und das Pusten im Wasserglas sozialverträglich gestalten. Allenfalls -ausreichend Langeweile vorausgesetzt – der juristische Weg der Instanzen wäre naheliegend gewesen und der Weg der allgemeinen Rechtspraxis und hätte zudem auch die gesellschaftlich relevante Chance gehabt, die völlig unterschiedlichen Ebenen der Argumentation aufzuzeigen, die nun aber umso lauter am bundesdeutschen Hühnerhaufen zu hören sind.
Ganz offensichtlich lehnt eine – faktisch unberührte – ¾-Mehrheit „der Deutschen“ (in Umfragen, Internetforen, Leserbriefen, … nicht zu vergessen an den Stammtischen) „die Beschneidung“ ab. Das ist zwar ohne Belang, da Christen ja auch nicht nach Mekka pilgern. Auch war das immer schon so, zumindest in dem Sinne, dass sie selbst für sich und ihre Knaben keine Beschneidung erwogen, obwohl eigentlich auch der christliche Heiland, der bekanntlich beachtliche Heilkräfte gehabt haben soll, als Judenbub ganz in Übereinstimmung dem göttlichen Gebot der Tora beschnitten wurde: „Am achten Tage, als er beschnitten (περιτεμεῖν) wurde, nannte man ihn mit Namen Jesus“ (Luke 2.21).
Doch alle Fakten ändern gar nichts daran, dass in den Diskussionen mitunter „Meinungen“ auftauchen, die man so ähnlich auch im „Stürmer“ lesen kann. Das ist insofern sogar verständlich, als dass die Mehrheit der Bevölkerung im Grunde keine Ahnung hat, worum es eigentlich geht. Normalerweise sagt man da aber: was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Hier aber geht es aber um den geplanten Vorsatz zum Missverständnis. Für bestimmte Kreise war das aber eigentlich immer schon so und reichte im Mittelalter von Ritualmord-Anschuldigungen bis zu den von Freud diagnostizierten “Schneideträumen”, die in der Nazizeit durch das omnipräsente jüdische Feindbild dann nochmals mit großem Aufwand verstärkt wurden. Im Grunde eine Psychose. Das wäre auch nicht weiter schlimm, denn gesellschaftliche Akzeptanz würde heute voraussetzen, dass ein jeder nach seiner Fasson leben und selig werden soll.
Es ist keineswegs zwingend, dass man sich unbedingt in die Angelegenheiten anderer einmischt, bloß weil man keine Ahnung davon hat.
Trotzdem findet man ganz plötzlich eine landesweite Sorge um das Wohl von kleinen Knäblein, die wie immer schon üblich nach jüdischer und islamischer Tradition erzogen werden.
Beschneidung als solche solle zwar nicht verboten werden, jedoch bei Kindern nur noch aus medizinischen Gründen erfolgen. Insbesondere Mediziner verlangen nun aber „Rechtssicherheit“ aus Sorge „kriminalisiert“ werden zu können, etwa so wie früher Ärzte, die inzwischen längst legalisierte Abtreibungen vornehmen dürfen. Deshalb will nun der Deutsche Bundestag (angeregt nicht zuletzt durch die muslimischen Verbände) ein eigenes Gesetz auf den Weg bringen das jetzt schon legale Beschneidungen legalisiert, damit nicht künftig Mose durch Phimose ersetzt wird.
Auch die Argumentation der “Befürworter” handelt im wesentlichen von medizinischen Definitionen, von Hygiene, geringerem Risiken von Krebserkrankungen oder HIV-Infektionen, etc. weshalb auch die Mehrheit der US-Amerikaner beschnitten sei, während die Kontrahenten eben von “Verstümmelung” oder “Gewalt” reden.
Im Prinzip ist es also eine Art Streit unter Ärzten oder zumindest ein weiterer Schritt zur „Medizinisierung“ der Gesellschaft. Ärzte sind es die uns Ultraschallbilder des Ungeborenen zeigen und zuletzt den Totenschein ausstellen und für die Zeit dazwischen gibt es die Pflichtversicherung.
Es ist offensichtlich, dass der Pharma-Medizin-Komplex de facto die gesellschaftliche Rolle der Religion übernommen hat und dass zumindest in Deutschland Ärzte an die Stelle von (christlichen) Priestern getreten und dabei weiter auf dem Vormarsch sind. Das „religiöse“ Argumente dabei kein Gewicht haben, ist eine fast schon banale Nebensächlichkeit, weshalb ein Rabbi Yitzchak Ehrenberg, orthodoxer Rabbiner aus Berlin, der in einer jener Experten-TV-Talkshow behauptete, das „Beschneidungsverbot“ würde den „Tod des Judentums in Deutschland“ bedeuten, bestenfalls Stirnrunzeln hervorruft, während manche abschätzig meinen, dass wenn die “Körperverletzung von Kleinkindern”, die Grundlage des Judentums sei, es um dieses auch nicht weiter schade wäre. Wen kümmern da erst Grundrechte wie Religionsfreiheit nach Artikel 4.1-2 oder noch eigenartiger, die Annahme, dass es GOTT … wirklich gibt?
Andererseits, wer ist es, der überall proklamiert, dass über sechzig Jahre nach den Nazis “jüdisches Leben” wieder “normal” sei in “Schland” ..? Wer braucht wen fürs gute Image im Ausland …?
Was nun aber? Wie bereits gesagt, gibt es gar kein Verbot der Beschneidung und es wird auch keines geben, aber wir können damit rechnen, dass der Bundestag ein Gesetz vorlegt und beschließt, das als „Kompromiss“ zwischen den „unversöhnlichen“ Positionen letztlich die Rechte der Mediziner stärkt und Beschneidungen nur noch von „Fachärzten“ durchführen lässt. Das wird einerseits zwar viele jüdische Mammen freuen, da es sodann ein schlagendes Argument dafür gibt, den (beschnittenen) Sohn frühzeitig auf eine Ärztelaufbahn vorzubereiten, andererseits vielleicht zu jüdischen Beträumen in deutschen Kliniken führen, damit man dort die Brit Mila feiern kann, statt in der Synagoge, wo dann schon wieder etwas mehr Platz wäre, um in einer weiteren Vitrine noch mehr Beschneidungsmesser auszustellen… Im Ergebnis wäre und wird an der gegenwärtigen Praxis kaum etwas geändert, aber es war dann gut, dass man geifernd drüber gestritten hat.
Fast wollte man sagen, dass dieses absehbare Ergebnis eigentlich schade ist, und das es besser wäre, wenn es tatsächlich zu einem Beschneidungsverbot käme – durch den Bundestag als Gesetz beschlossen. Ein solches Gesetz müsste Beschneider wie Eltern natürlich rundweg kriminalisieren und mit möglichst drastischen Strafen (Bußgeld, Haft, Entzug des Sorgerechts, Ausweisung, etc.) sanktionieren, anders machte das ja auch wieder keinen Sinn. Wenn schon, denn schon.
Warum? Es wäre durchaus spannend, wie das von statten ginge. Um die Juden in Deutschland braucht man sich dabei nicht viele Gedanken machen, da sie in der großen Mehrzahl schon recht alt sind und nach vielen Jahrzehnten realen Sozialismus in der Sowjetunion nun noch ein paar Jahre deutschen Sozialstaat ausprobieren. Mehr mit dem Rollator unterwegs ist, braucht eh keine Beschneidung mehr. Unter den Jüngeren gibt es viele Mischehen, Abwanderung ins irgendwie dann doch attraktivere Ausland, aber auch eine Abkehr von den kaum gekannten religiösen Traditionen des Judentums, die nicht mal das Aufstellen von Weihnachtsbäumen zum Jahresende tolerieren wollen.
Um es auf den Punkt zu bringen: selbst in den größeren deutschen Städten gibt es nicht eben viele Beschneidungen in den jüdischen Gemeinden, da auch Sowjets Schneideträume und Ressentiments gegenüber dem Judentum hatten.
Anders sähe es aus mit Millionen von Muslimen in Deutschland. Sie zu kriminalisieren wird sich wohl niemand trauen, sonst brennen wieder Reifen auf den Autobahnen. Schon deshalb kommen in den Medien zu dieser Diskussion meist Juden zu Wort, damit sie das negative Stimmungsbild der Öffentlichkeit abbekommen.
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For some weeks there is a heated debate in Germany since a district court in Cologne ruled that religious circumcision of little boys was “Körperverletzung”. The judges however did not specify, whether they have ment a simple bodily harm, as a rather harmless slap in the face or a malicious injury, assault or aggravated battery …
The debates – to put it in a nutshell – are superfluous like many comments. Many overheated squabblers just have not even realized, that in Germany laws of course are made by the Bundestag not by a local Landgericht and up to now no single voice in the Bundestag has been raised to demand any law to ban or illegalize circumcision. The Bundestag in contrary will launch a law which allows circumcision which is already legal.
Much ado about nothing.