Die Judensau im fränkischen Spalt

July 20, 2012

Innenhof Stiftsgasse 10 in Spalt, Franken – Judensau mit Tafel und brauner Tonne (links), Waschbecken (rechts)

Im kleinen fränkischen Städtchen Spalt, zwischen Ansbach, Nürnberg und Treuchtlingen gelegen befindet sich im Hinterhof eines Hauses in der Stiftsgasse 10 die Darstellung einer  sog. „Judensau“.

Eine daneben angebrachte Glastafel sorgt für die nötige Transparenz und erläutert die offenbar 20. Station einer Erinnerung an „1200 Jahre Spalt“ (= 810-2010):

 

“Sogenannte „Judensau“

Wohl aus dem 15. Jahrhundert stammend.

Darstellung eines Juden mit einem Schwein – einem für sie unreinen Tiers.

Ursprünglich an einem ehemaligen Stiftsgebäude angebracht.

Absicht: Die Juden als sogenannte „Gottesmörder“ zu verhöhnen.

Eindeutig ein dunkler Fleck in der Spalter Geschichte.

Stadt Spalt – Heimatverein Spalter Land e.V.“

Eine Datierung dazu gibt es nicht, aber man kann für dieses „Genre“ wohl das späte 14. und frühe 15. Jahrhundert vermuten. Um welches „Stiftsgebäude“ es sich handelte (der frühere Straßenname Herrenstr.  deutet vielleicht auf sog. Chorherren) und wer es dort warum angebracht hat und wie die Darstellung nun in den Hinterhof kam, bleibt zunächst unklar, aber ein Spalt ist begrifflich auch eine Lücke und Lücken gibt es häufiger auch in der Überlieferung.

Zumindest aber erzählt ein Video auf youtube, das in zwei Jahren immerhin schon 81 mal aufgerufen wurde, wie es beinahe hätte sein können:

Na, wenn es so gewesen wäre, gäbe es das Thema nicht …

 

Es ist nicht die erste „Judensau“-Darstellung, die uns begegnet, aber doch regt jede Variante immer auch zum Nachdenken über Sinn und Zweck an. Das Exemplar im fränkischen Ort Spalt zeigt ein Schwein unter dem ein Mensch mit angewinkelten Beinen liegt, fast in der Art wie man es von Automechanikern kennt. Am Kopf befindet sich der eher typisierende als typische Judenhut. Da ahnen wir nun, dass der Judenhutträger doch kein Automachaniker ist und keine Zündkerzen auswechselt, sondern mit den Händen an die Zitzen des Schweins greift und vielleicht auch daran saugt. Man erkennt auch noch angedeutete Überreste weiterer Figuren an den Seiten und von oben. Aber das lässt sich alles nicht mehr sicher bestimmen, da die Skulptur doch bereits etwas verwittert ist… Als Idee hingegen ist es aus zahlreichen anderen Darstellungen durchaus geläufig. Und es ist klar, was gemeint ist. Oder?

Bleibt in Spalt also der Jude, der unterm Schwein liegt und offenbar von den Zitzen der Sau saugt. Die Begleittafel sagt uns, dass die Absicht der Darstellung darin bestünde, die Juden als „Gottesmörder“ zu verhöhnen, doch das erscheint noch weniger logisch als das Bild. Zum einem lässt sich so ein „Gott“ nicht mal eben ermorden wie ein Schwein, zum anderen gibt es nach jüdischem Verständnis, welches kein Eigengewächs ist, sondern der Tradition gemäß eben auf die Tora zurückgeht, nur den EINEN und der kann nicht getötet werden, noch weniger als wie eine Ameise unsere Sonne zum Erlöschen bringt. Wie auch immer hat auch der christliche Vorwurf des „Gottesmordes“ wohl sicher nichts mit dem Abbild der Judensau zu tun, außer der Verfasser der Tafel wollte sagen, dass der Jude hier einen Gott in Schweinegestalt eventuell durch Bisse tötet. Das gäbe dem ganzen zwar einen hand- oder gar bissfesten Bedeutungshintergrund, wäre dann aber wie schon gesagt, doch eher … unklar. Jedenfalls ist sicher abwegig anzudeuten, dass die Juden einen Schweinegott getötet hätten.

Das Schwein ist gemäß den Vorgaben der Tora, wie allgemein bekannt zu sein scheint, in keiner Weise zum Verzehr geeignet. Das trifft natürlich so auch auf Katzen, Hunde, Hasen oder Pferde zu und selbst Löwen und Bären, die sich gerne auf jüdischen Wappen finden. Sie sind nicht koscher und dürfen nicht gegessen werden und … übrigens auch nicht getrunken. Ist das Pferd nicht koscher, so auch nicht die Milch von Pferden. Klare Logik, außer bei Bienen, deren Honig man essen darf.

Nun wirft aber die gerade die Darstellung der Spalter Judensau die Frage auf, was der Jude an der Zitze der Sau wohl zu saugen oder zu fingern hat. Vom bio-logischen Standpunkt müsste es sich um Milch handeln. So ein Käse, mag man meinen. Und in der Tat – Überraschung, Überraschung – nirgendwo, auch nicht in deutschen Landen, wo schon viele Schwein gehabt haben, findet man sie nicht – die Schweinemilch, den Schweinekäse.  Nichts. Da kennt man eher noch das „Mäusemelken“ im … nun ja, im deutschen Volksmund, sprichwörtlich, versteht sich. Aber zum Thema „Judensau“ sollte das doch mal zu denken geben, warum fromme Christen Juden unterstellten, sich ihre Milch vom Schwein zu holen, wo Christen selbst und bis heute Schweinemilch und Schweinekäse völlig unbekannt ist.

source:

http://fa.wikipedia.org/wiki/%D8%AE%D9%88%DA%A9_%D8%A7%D9%87%D9%84%DB%8C

Schweine sind aber ohne Zweifel Säugetiere und Sauen geben Milch. Schweine sind keineswegs kleiner als Schafe oder Ziegen und geben nicht weniger Milch, eher mehr. Warum es trotzdem aber keine Schweinemilch und Produkte daraus im Bioladen oder Supermarkt zu kaufen gibt?

Darüber gibt es verschiedene Vermutungen, die aber alle nicht so recht überzeugen, weil man alles in selber Weise auch in Bezug auf Kühe, Schafe oder Ziegen sagen könnte, etwa das doch die Ferkel die Milch bräuchten, … gerade so, als ob man darauf bei Kühen Rücksicht nehmen würde. Schweinemilch habe einen eigenartigen, fast strengen Geschmack, aber auch einen geringeren Gehalt an Fett und Kasein. Das mag stimmen, bei Menschen, … Ziegen und Kühen ist der Fettanteil etwa bei 4 % und wird von den gewöhnlichen Milchtieren nur von Schafen mit 5-6 % übertroffen. Pferdemilch, die es als, wenn auch seltenes, Produkt immerhin gibt, bringt es nur auf 1.5-2 % Fett. Diese Werte erreicht nun aber auch die Milch vom Schwein.

Bei der großen Menge von Schweinen und ihrem geradezu typischen Verbreitungsgrad überrascht das dann doch. Gesagt wird auch, dass Schweine keine Euter haben (Pferde auch nicht) und sie würden nicht so viel Milch „auf einmal“ produzieren, weshalb man öfter täglich kleine Mengen melken müsste. Richtig überzeugend sind diese Erklärungen nicht, denn irgendein cleverer Mensch hätte längst schon eine effektive Schweinemelkmaschine entwickelt, um die Produktion von Schweinemilch zu beschleunigen und zu vervielfachen, gäbe es denn auch nur den Ansatz einer Nachfrage nach Saumilch oder Schweins-Gouda. Interessanterweise finden sich im Internet dann eher noch Beispiele für Versuche aus Menschenmilch Käse herzustellen, Ekel hin, Ekel her. Dann meinen manche aber auch noch , dass kleine Ferkel zu sehr den Babies von Menschen ähnelten … und dass man deshalb keinen Käse aus ihrer Milch herstellte. Trotzdem nun aber finden wir immer wieder die Darstellung von Juden, die von den Zitzen der Sau trinken wollen.

In the court of a house in small Middle Franconian town of Spalt (the German word means “gap”, but more likely derives from spelt, the corn.  The town also has a famous beer tradition) there is another stone depiction of the meadieval German motif of the “Judensau” (Jews Sow), which was attached on the wall of a church, probably. The stone to some degree has weathered, but it is easy to make out the sow and a man with typical Jewish hat lying under the animal and obviously sucking from the teats of the sow.

Next to the depiction is an information board which says that the aim of the “Judensau” was to mock the Jews as “deicider”, what of course only would make sense if the sow was a god and the Jew bites it to death or something.

However, another puzzling question is why Jews were depicted as sucking from the teats of sow – and what actually … milk as we may assume – … however not even Christians at any time have developed products of sow or pigs milk and thus there is also no pig cheese. There are a number of rather clumsy explanations (to complicated, to little fat content, and so on) why there is none, but of course we may expect that whenever there would have been the least demand for hog milk or cheese, etc., they would have invented machinery, proceedings to make it … big. Sure.

Jews sow of Middle Franconian townlet of Spalt

ואבקש מהם איש גדר־גדר ועמד בפרץ לפני בעד הארץ לבלתי שחתה ולא מצאתי

22.30 יחזקאל


Die Judensau in Regensburg

September 6, 2011

März 2017: Ausführlicher beschrieben im Buch:

Yehuda Shenef

Humor, Wucher, Weltverschwörung: Die geläufigsten Vorurteile gegenüber Juden und was es mit diesen auf sich hat 

ISBN: 978-374-3181-205

Taschenbuch: 260 Seiten

13 Euro

 

 

Wer, zumindest mal von außen, alte christliche Großkirchen ansieht, merkt schnell, dass ihre Erbauer, anders als man vermuten könnte, längst nicht nur Fromme und Heilige abbildeten. Nicht selten finden sich auch Fratzen von eigenartigen Kreaturen als steinerne Zeugnisse der eigenen Vorstellungswelt. Zwar soll die Mehrzahl der menschlichen Figuren – freilich fiktiv – das Aussehen von Juden wie Jesus, Maria, Petrus, Paulus, usw. darstellen. Am Augsburger Dom beispielsweise ist – prominent – sogar die Beschneidung des Jesus durch einen tüchtigen jüdischen Mohel zu sehen.

Weniger gut schneiden in dieser steinernen Kunst freilich Juden ab, die nicht mit Jesus in Verbindung standen oder nach seinem Ableben gar ohne ihn auskommen konnten. Ein ab dem 13. Jahrhundert anzutreffendes bildliches Motiv zeigt Juden, wie sie an den Zitzen eines Schweins saugen. Eine solche Skulptur wird „Judensau“ genannt und soll an kirchlichen Bauten eine Schmähung von Juden ausdrücken. Grundlage dafür ist die Überlegung, dass das Schwein für Juden ganz besonders „unrein“ sei. Eine Variation des Themas wären Darstellungen von Juden, die bei einem „Judeneid“ auf einer Schweinehaut stehend dargestellt werden. Es sind etwa 30 jener „Judensäue“  חזירת יהודים bekannt, die sich augenfällig alle in Deutschland oder in benachbarten deutschsprachigen Gebieten befinden.

Ein leider bereits etwas verwittertes Exemplar ist an der Südfassade des Regensburger Doms zu sehen. Es zeigt auf einem Sockel stehend ein kleines Tier, dessen Kopf freilich eher nach einem Schaf aussieht. Daneben hockt ein bärtiger Mann und hält das linke Ohr des Schweins fest und von hinten sind zwei weitere menschliche Figuren zu sehen, die an die Zitzen der Sau fassen, wobei der rechten Figur der Kopf abhanden gekommen ist. Der mittleren der Figuren kann man noch den früher vorhanden Judenhut ansehen, der zur allgemeinen Kennzeichnung von Juden in christlichen Kunstwerken der Identifikation dient.

Wie nun auch immer, stimmen Proportionen nicht so ganz, erreicht ein ausgewachsenes gewöhnliches weibliches Hausschwein (von heutigen Turbozüchtungen mal abgesehen) kaum eine Schulterhöhe von mehr als 80 cm. Selbst wenn wir voraussetzen wollen, dass Menschen im Mittelalter per se kleiner waren, wären sie mit 160 cm immer noch doppelt so groß wie die Sau, die nun nicht durchs Dorf getrieben, sondern an dessen Hauptplatz in Stein gehauen wurde. Es handelte sich also entweder um besonders kleine Juden, die kaum größer als die Sau etwa nur 80 cm groß waren oder aber um ein sehr großes Schwein, das mehr als drei Meter groß war. Da beides wenig wahrscheinlich ist, kann man das kaum sicher beurteilen. Nach modernen Maßstäben könnte man diese Diskrepanz freilich auch als „künstlerische Freiheit“ werten, allerdings ist es in der Regel nicht empfehlenswert, gegenwärtige Normen auf mittelalterliche Vor- und Darstellungen zu projizieren. Dem widerspricht auch die Tatsache, dass es um die noch vorhandenen „Judensäue“ zahlreiche Kontroversen gibt, so wie im Jahre 2005 in Regensburg. Eine nun vorhandene Begleittafel erklärt: „Die Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich. Das Verhältnis vom Christentum und Judentum in unseren Tagen zeichnet sich durch Toleranz und gegenseitige Achtung aus.“ Eine Erklärung des Inhalts der „Spottfigur“ ist das nun auch nicht.

Aus zahlreichen anderen kirchlichen Skulpturen ist bekannt, dass eine zentrale Figur durchaus von kleineren anderen umgeben sein kann. Dies bedeutet sodann nicht zwangsläufig einen realen Größen-, sondern einen aufgezeigten Bedeutungsunterschied. So kann beispielsweise Jesus von seinen zwölf nur halb so groß dargestellten Schülern umgeben sein, ohne zu besagen, dass er wirklich doppelt so hoch gewachsen war wie sie. Wenn die Sau übergroß dargestellt ist und die sie umgebenden Juden dominiert, so hat diese folglich die zentrale Bedeutung in der Komposition.

Die Deutung der wie auch immer ungewöhnlichen Darstellung nimmt in der Regel Bezug zu einer jüdischen Abneigung gegen Schweine. Es stimmt natürlich, dass Schweine nicht koscher sind, da die Tora ihren Verzehr verbietet. Selbiges trifft freilich auf eine ganze Reihe anderer Tiere zu. So sind Kamele, Insekten oder Adler nicht koscher, Hasen sind es nicht, auch nicht Löwen, Hunde, Katzen, Elefanten, Delphine oder Pferde. Sie alle sind vom Verbot des Verzehrs betroffen sind dabei aberkeineswegs weniger „unrein“ als Schweine. Löwen beispielsweise sind bereits seit der Antike gebräuchliche Wappen für das jüdische Volk – man darf sie eben nicht essen. Es gab auch nie ein Problem für Juden auf Pferden zu reiten oder Hunde zu halten – man darf sie eben nicht essen. Orthodoxe Rabbiner sehen auch kein Problem, biologische Herzklappen aus Aortenklappen von Schweinen anzuwenden – man darf sie eben nicht essen. Wo ist das Problem?

Ein Missverständnis?

Das Schwein in der „Judensau“-Darstellung nimmt deshalb sicherlich nicht auf Gebräuche oder Wertvorstellungen des Judentums Bezug. Es reflektiert vielmehr den Stellenwert des Schweines im Christentum. Jesus im Evangelium bannt zwar noch „Dämonen“ in eine Herde von Schweinen und lässt diese in einen Abgrund stürzen. Eine allgemein geläufige deutsche Metapher spricht hingegen vom „Glückschwein“, vom Schwein als Glückssymbol. Die Herkunft stammt von Rittertunieren und bezeichnet das Schwein als Trostpreis für den Verlierer, der dann doch nicht leer ausgeht, sondern „Schwein gehabt“ hat. In etwa dieselbe Richtung geht das ideengeschichtlich damit verknüpfte, ab dem 18. Jahrhundert belegte „Sparschwein“. Das Schwein ist demnach ein Sinnbild für das kleine Glück oder das Glück des kleinen Mannes. In der Darstellungsweise christlicher Skulpturen können letzteres dann sogar auch Juden sein. Da die kleinen Juden nun am großen Schwein zupfen oder in anderen Darstellungen an den Zitzen der Sau nuckeln, ist die Aussage des Bildes offenkundig: die Juden nähren sich am Glück das sonst den kleinen Ferkeln zustünde. Offenbar nimmt das in weiten Teilen der deutschen Lande verbreitete Bild der Judensau auf die „nicht-jüdische“ Bevölkerung Bezug und will mitteilen, dass die Juden, sich auf ihre Kosten nähren.

An der Westseite des Doms befindet sich eine weitere, wesentlich besser erhaltene Skulptur die Juden thematisiert und die biblische Szene des Tanzes um das goldene Kalb verbildlicht. Das Kalb wird in diesem Fall von fünf Juden (markiert durch die entsprechenden Hüte) umstanden. Überraschenderweise sparte man hier mit Gold, das man im Dom selbst offenbar besser aufgehoben wähnte, weshalb es eher ein graues Kalb ist und die umstehenden Juden eher staunen als tanzen.

As in many other German cities the cathedral of Regensburg has a weathered sculpture which depicts a so called “Judensau” (Jews’ Sow). Most of the depictions have in common that there is a rather huge pig surrounded by rather small Jews who paw the sow or suck on its teats. Of course pork is not kosher, but regarding pigs there are no other prohibitions as for lions, eagles, cats, dogs, dolphins, horses, hares or insects which all are not kosher either. So what is the special meaning of a sow in the de-pig-tion of numerous sculptures in German lands?

“Lucky pig” (Glücksschwein) is a symbol of “good luck” since in late medieval times at contest a pig was granted for losers not get nothing but a little pig as small comfort, while the winner married the princes. In more recent times in a like manner small figures (piggy banks) had the use to safe little money for future opportunities. The sow therefore more likely is a symbol for the overall population, i.e. the little guy of the main street and the Jews are shown as snarfing their food (or “little luck”).  

 

 

März 2017: Ausführlicher beschrieben im Buch:

Yehuda Shenef

Humor, Wucher, Weltverschwörung: Die geläufigsten Vorurteile gegenüber Juden und was es mit diesen auf sich hat 

ISBN: 978-374-3181-205

Taschenbuch: 260 Seiten

13 Euro