Die Erfurter Judensau

May 18, 2012

Zu den herausragenden authentischen Zeugnissen über die mittelalterliche jüdische Gemeinde im thüringischen Erfurt gehört die offenbar nur wenig beachtete „Judensau“ im Erfurter Dom.

Sogenannte „Judensäue“ sind eine hauptsächlich deutsche Eigenart (Beitrag zum Exemplar in Regensburg: https://jhva.wordpress.com/2011/09/06/die-judensau-in-regensburg ) . Sie stellen meist am sog. Judenhut zu erkennende Juden dar, die auf einem weiblich Schwein sitzen oder von unten an dessen Zitzen schlecken und dergleichen. Allgemein wird vermutet, dass die Darstellung von Juden mit Schweinen eine Art Schande für Juden sei, da das Schwein gemäß den Bestimmungen der Tora „besonders unrein“ sei. Zwar ist es zutreffend, dass Schweinefleisch nach den Geboten vom Sinai nicht für den Verzehr geeignet und im Judentum verboten sind, jedoch trifft dies in der genau selben Weise auch auf Delfine, Pferde, Adler, Löwen, Hunde, Elefanten, Insekten, Katzen oder Pandabären zu, die ebenfalls nicht gegessen werden dürfen. Es gibt nichts, was ein Schwein „unreiner“ machen könnte als ein Krokodil, einen Wellensittich oder Kamele. Es gibt hier keinen Superlativ und nicht koscher ist nicht koscher.

Die Fixierung auf das Schwein ist nichts was im Judentum besondere Relevanz hätte, sondern ist vielmehr der eigenartigen Ambivalenz des Schweins im Christentum zu sehen. Während Jesus im Evangelium noch Dämonen in Schweine zaubert und diese sodann in einen Abgrund stürzen lässt, ist auch dem frommsten Christen das Essen von Schweinen selbstverständlich erlaubt. Sehr ausgeprägt ist dies gerade in Deutschland, wo ungezählte kulinarische „Spezialitäten“ zubereitet werden, wie Bratwürste, Schinken, Schnitzel, Schweinshaxen, Saumagen, und vieles andere mehr, was in vielen Regionen geradezu identitätsstiftend zur „echten Tradition“ dazu gehören soll. Offenbar recht leckere „Schweinereien“ sind demgemäß gerade in Deutschland fast sprichwörtlich in aller Munde. Auch, weil andererseits das wohl ganz gerne genossene Schwein auch wieder ein Schimpfwort ist: du Schwein, du Sau, du Dreckschwein, du Ferkel, usw. wecken in christlich-deutschen Ohren Assoziationen, die es so kaum in anderen Sprachen gibt. Im Gegensatz dazu wäre es eher eigenartig ein hebräisches חזיר als Schimpfwort zu gebrauchen, zumal die Wortwurzel „zurückkehren“ (חזר) bedeutet, was wenigstens linguistisch das Schwein zu einem „Rückkehrer“ macht. Andererseits ist im Deutschen das Schwein Ausdruck in ungezählten Wortkombinationen, die sich auch in der stets wandelnden Jugendsprache halten, wie beispielsweise „saugeil“, „saubillig“, „schweineteuer“, „sauertopf“, oder „saublöd“ … die je nach Kontext mal eher positiv, mal eher gegenteilig verstanden werden. Einen solchen Stellenwert hat „das Schwein“ nur in der deutschen Sprache.

* * *

Die „Judensau von Erfurt“ befindet sich am Chorgestühl im Marien-Dom (beatae mariae virginis). Anders als die meisten Judensäue ist die Erfurter keine Steinskulptur. Es handelt sich vielmehr um ein geschnitztes Flachrelief aus Eichenholz, das etwa aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammen soll. Dargestellt ist ein Jude, der auf einer Sau reitet, wobei sein Fuß in einem Steigbügel steckt. Wie anderswo, sind auch hier die Proportionen der insgesamt äußerst aufwendigen und detailreichen Darstellungen völlig unrealistisch, da der Jude kaum größer ist als das Schwein, das in Natura kaum mehr als 80 cm Schulterhöhe erreicht. Das Schwein ist durch die Zitzen eindeutig als weibliches Tier, als Sau erkenntlich. Dem jüdischen „Schweinsteiger“ oder „-reiter“ gegenübergestellt ist nun ein Ritter, der mit einem Pferd auf den Juden zureitet und in einer Hand eine Lanze hält, wie man sie von Rittern kennt, während er in der anderen Hand ein Schild hält, auf welchem ein Fisch abgebildet ist. Im Schweinereiter trägt der Pferdereiter keine Kopfbedeckung, auch keinen für einen Ritter sodann typischen Helm. Beide Reiter sind von einem Weinstock umgeben, wobei der Jude sich mit einer Hand an einem gebogenen Strang festhält, an welchem einige Reben und Blätter hängen. Vielleicht wird dieser dem  Pferdereiter entgegen schnalzen, so der Jude loslässt.

Über den beiden Reitern befinden sich eingekreist zwei musizierende geflügelte Personen („Engel“). Der eine spielt eine Art Geige, der andere offenbar eine Art Harfe. Unterhalb der Reiter befinden sich zwei tierische Figuren: offensichtlich jagt der Hund unter dem Pferd den Hasen unterhalb des Schweines. Letzteres ist eine im mittelalterlichen Judentum durchaus geläufige Darstellung aus zahlreichen illustrierten Pessach-Erzählungen, wobei der verfolgte Hase die Juden darstellt. Insbesondere in der späteren Augsburger Druck-Variante ist das „“Jag den Has‘“-Motiv von besonderer Bedeutung.  Die Tatsache aber, dass Hasen genauso wenig koscher sind wie Schweine und gleichfalls nicht gegessen werden dürfen hat jüdische Maler nicht davon abgehalten Hasen als ein Symbol für das Judentum darzustellen, so wie bereits in der Antike Löwen immer wieder das jüdische Volk darstellen.

Es wird angenommen, dass die Darstellung in einem Zusammenhang stehen könnte mit dem „Pogrom“ an den Erfurter Juden im Jahre 1349, bei dem die jüdische Bevölkerung getötet und vertrieben worden sein soll. Die Darstellung ist von handwerklich herausragender Qualität und man möchte kaum glauben, dass sie bereits über sechseinhalb Jahrhunderte alt sein soll. Jedoch ist es ungleich schwieriger dieses eigenartige Detail im Rahmen einer Serie zahlreicher weiterer bildlicher Motive angemessen zu deuten. So kontrastiert die Disproportionalität der Figuren eigenwillig mit der sehr genauen Darstellung ihrer Details. Während also das Pferd und das Schwein, auf dem die beiden Reiter sitzen, in ganz grotesker Weise etwa gleich groß sind, hatte der Künstler andererseits dann doch Faltenwürfe der Gewänder, Gesichtszüge, Ausstülpungen von Weinblättern, usw. recht genau herausgearbeitet.

Schnitzerei am Chorgestühl im Erfurter Dom: die Darstellung der Judensau befindet sich zwischen den roten Markierungen unten

Die Szene stellt einen mit einer Lanze bewaffneten Reiter auf einem Pferd dar, der einen Mann mit Judenhut, der auf einem Schwein sitzt angreift. Der nach damaligen Maßstäben bestens ausgebildete Elitesoldat attackiert demnach einen unbewaffneten Zivilisten, was nun sicher keine Großtat ist. Eigenartig ist demnach die Geisteshaltung der Christen, die eine solche, recht feige Schandtat ganz offensichtlich heroisieren will. Andererseits mildert die Tatsache, dass der bewaffnete Angreifer auf einem Pferdchen sitzt, das gerade mal so groß ist wie ein weibliches Schwein, die Szenerie gewiss ins Lächerliche, woran auch die musizierenden Engel über ihnen nichts mehr ändern können. Man ahnt fast, dass sie leicht variiert ein Kinderlied anstimmen mochten: „Hopp, hopp, hopp, Pferdchen, lauf Galopp! Über Stock und über Schweine …“

Erfurt “Braugold” Maibock at Biergarten next to the Cathedral (Domplatz), worth a try other than the normal beer

Among the outstanding authentic testimonies about a medieval Jewish community in Erfurt, is the so called “Judensau” (Jews sow) depiction at the choir stalls of Erfurt Cathedral, which however apparently gets only very little attention in the capital of Thuringia which otherwise for a number of years in noticeable extents tries to rediscover its mediaeval Jewish past.


Die Judensau in Regensburg

September 6, 2011

März 2017: Ausführlicher beschrieben im Buch:

Yehuda Shenef

Humor, Wucher, Weltverschwörung: Die geläufigsten Vorurteile gegenüber Juden und was es mit diesen auf sich hat 

ISBN: 978-374-3181-205

Taschenbuch: 260 Seiten

13 Euro

 

 

Wer, zumindest mal von außen, alte christliche Großkirchen ansieht, merkt schnell, dass ihre Erbauer, anders als man vermuten könnte, längst nicht nur Fromme und Heilige abbildeten. Nicht selten finden sich auch Fratzen von eigenartigen Kreaturen als steinerne Zeugnisse der eigenen Vorstellungswelt. Zwar soll die Mehrzahl der menschlichen Figuren – freilich fiktiv – das Aussehen von Juden wie Jesus, Maria, Petrus, Paulus, usw. darstellen. Am Augsburger Dom beispielsweise ist – prominent – sogar die Beschneidung des Jesus durch einen tüchtigen jüdischen Mohel zu sehen.

Weniger gut schneiden in dieser steinernen Kunst freilich Juden ab, die nicht mit Jesus in Verbindung standen oder nach seinem Ableben gar ohne ihn auskommen konnten. Ein ab dem 13. Jahrhundert anzutreffendes bildliches Motiv zeigt Juden, wie sie an den Zitzen eines Schweins saugen. Eine solche Skulptur wird „Judensau“ genannt und soll an kirchlichen Bauten eine Schmähung von Juden ausdrücken. Grundlage dafür ist die Überlegung, dass das Schwein für Juden ganz besonders „unrein“ sei. Eine Variation des Themas wären Darstellungen von Juden, die bei einem „Judeneid“ auf einer Schweinehaut stehend dargestellt werden. Es sind etwa 30 jener „Judensäue“  חזירת יהודים bekannt, die sich augenfällig alle in Deutschland oder in benachbarten deutschsprachigen Gebieten befinden.

Ein leider bereits etwas verwittertes Exemplar ist an der Südfassade des Regensburger Doms zu sehen. Es zeigt auf einem Sockel stehend ein kleines Tier, dessen Kopf freilich eher nach einem Schaf aussieht. Daneben hockt ein bärtiger Mann und hält das linke Ohr des Schweins fest und von hinten sind zwei weitere menschliche Figuren zu sehen, die an die Zitzen der Sau fassen, wobei der rechten Figur der Kopf abhanden gekommen ist. Der mittleren der Figuren kann man noch den früher vorhanden Judenhut ansehen, der zur allgemeinen Kennzeichnung von Juden in christlichen Kunstwerken der Identifikation dient.

Wie nun auch immer, stimmen Proportionen nicht so ganz, erreicht ein ausgewachsenes gewöhnliches weibliches Hausschwein (von heutigen Turbozüchtungen mal abgesehen) kaum eine Schulterhöhe von mehr als 80 cm. Selbst wenn wir voraussetzen wollen, dass Menschen im Mittelalter per se kleiner waren, wären sie mit 160 cm immer noch doppelt so groß wie die Sau, die nun nicht durchs Dorf getrieben, sondern an dessen Hauptplatz in Stein gehauen wurde. Es handelte sich also entweder um besonders kleine Juden, die kaum größer als die Sau etwa nur 80 cm groß waren oder aber um ein sehr großes Schwein, das mehr als drei Meter groß war. Da beides wenig wahrscheinlich ist, kann man das kaum sicher beurteilen. Nach modernen Maßstäben könnte man diese Diskrepanz freilich auch als „künstlerische Freiheit“ werten, allerdings ist es in der Regel nicht empfehlenswert, gegenwärtige Normen auf mittelalterliche Vor- und Darstellungen zu projizieren. Dem widerspricht auch die Tatsache, dass es um die noch vorhandenen „Judensäue“ zahlreiche Kontroversen gibt, so wie im Jahre 2005 in Regensburg. Eine nun vorhandene Begleittafel erklärt: „Die Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich. Das Verhältnis vom Christentum und Judentum in unseren Tagen zeichnet sich durch Toleranz und gegenseitige Achtung aus.“ Eine Erklärung des Inhalts der „Spottfigur“ ist das nun auch nicht.

Aus zahlreichen anderen kirchlichen Skulpturen ist bekannt, dass eine zentrale Figur durchaus von kleineren anderen umgeben sein kann. Dies bedeutet sodann nicht zwangsläufig einen realen Größen-, sondern einen aufgezeigten Bedeutungsunterschied. So kann beispielsweise Jesus von seinen zwölf nur halb so groß dargestellten Schülern umgeben sein, ohne zu besagen, dass er wirklich doppelt so hoch gewachsen war wie sie. Wenn die Sau übergroß dargestellt ist und die sie umgebenden Juden dominiert, so hat diese folglich die zentrale Bedeutung in der Komposition.

Die Deutung der wie auch immer ungewöhnlichen Darstellung nimmt in der Regel Bezug zu einer jüdischen Abneigung gegen Schweine. Es stimmt natürlich, dass Schweine nicht koscher sind, da die Tora ihren Verzehr verbietet. Selbiges trifft freilich auf eine ganze Reihe anderer Tiere zu. So sind Kamele, Insekten oder Adler nicht koscher, Hasen sind es nicht, auch nicht Löwen, Hunde, Katzen, Elefanten, Delphine oder Pferde. Sie alle sind vom Verbot des Verzehrs betroffen sind dabei aberkeineswegs weniger „unrein“ als Schweine. Löwen beispielsweise sind bereits seit der Antike gebräuchliche Wappen für das jüdische Volk – man darf sie eben nicht essen. Es gab auch nie ein Problem für Juden auf Pferden zu reiten oder Hunde zu halten – man darf sie eben nicht essen. Orthodoxe Rabbiner sehen auch kein Problem, biologische Herzklappen aus Aortenklappen von Schweinen anzuwenden – man darf sie eben nicht essen. Wo ist das Problem?

Ein Missverständnis?

Das Schwein in der „Judensau“-Darstellung nimmt deshalb sicherlich nicht auf Gebräuche oder Wertvorstellungen des Judentums Bezug. Es reflektiert vielmehr den Stellenwert des Schweines im Christentum. Jesus im Evangelium bannt zwar noch „Dämonen“ in eine Herde von Schweinen und lässt diese in einen Abgrund stürzen. Eine allgemein geläufige deutsche Metapher spricht hingegen vom „Glückschwein“, vom Schwein als Glückssymbol. Die Herkunft stammt von Rittertunieren und bezeichnet das Schwein als Trostpreis für den Verlierer, der dann doch nicht leer ausgeht, sondern „Schwein gehabt“ hat. In etwa dieselbe Richtung geht das ideengeschichtlich damit verknüpfte, ab dem 18. Jahrhundert belegte „Sparschwein“. Das Schwein ist demnach ein Sinnbild für das kleine Glück oder das Glück des kleinen Mannes. In der Darstellungsweise christlicher Skulpturen können letzteres dann sogar auch Juden sein. Da die kleinen Juden nun am großen Schwein zupfen oder in anderen Darstellungen an den Zitzen der Sau nuckeln, ist die Aussage des Bildes offenkundig: die Juden nähren sich am Glück das sonst den kleinen Ferkeln zustünde. Offenbar nimmt das in weiten Teilen der deutschen Lande verbreitete Bild der Judensau auf die „nicht-jüdische“ Bevölkerung Bezug und will mitteilen, dass die Juden, sich auf ihre Kosten nähren.

An der Westseite des Doms befindet sich eine weitere, wesentlich besser erhaltene Skulptur die Juden thematisiert und die biblische Szene des Tanzes um das goldene Kalb verbildlicht. Das Kalb wird in diesem Fall von fünf Juden (markiert durch die entsprechenden Hüte) umstanden. Überraschenderweise sparte man hier mit Gold, das man im Dom selbst offenbar besser aufgehoben wähnte, weshalb es eher ein graues Kalb ist und die umstehenden Juden eher staunen als tanzen.

As in many other German cities the cathedral of Regensburg has a weathered sculpture which depicts a so called “Judensau” (Jews’ Sow). Most of the depictions have in common that there is a rather huge pig surrounded by rather small Jews who paw the sow or suck on its teats. Of course pork is not kosher, but regarding pigs there are no other prohibitions as for lions, eagles, cats, dogs, dolphins, horses, hares or insects which all are not kosher either. So what is the special meaning of a sow in the de-pig-tion of numerous sculptures in German lands?

“Lucky pig” (Glücksschwein) is a symbol of “good luck” since in late medieval times at contest a pig was granted for losers not get nothing but a little pig as small comfort, while the winner married the princes. In more recent times in a like manner small figures (piggy banks) had the use to safe little money for future opportunities. The sow therefore more likely is a symbol for the overall population, i.e. the little guy of the main street and the Jews are shown as snarfing their food (or “little luck”).  

 

 

März 2017: Ausführlicher beschrieben im Buch:

Yehuda Shenef

Humor, Wucher, Weltverschwörung: Die geläufigsten Vorurteile gegenüber Juden und was es mit diesen auf sich hat 

ISBN: 978-374-3181-205

Taschenbuch: 260 Seiten

13 Euro