Gedenken in Kaufbeuren

October 16, 2012

Umgeben von derzeitigen Bauarbeiten in der Schraderstraße befindet sich in Kaufbeuren neben dem Kriegsdenkmal für den Krieg von 1870 / 1871 ein im November 2008 (natürlich am 9. eingeweiht …) errichtetes dreiteiliges Denkmal welches „Zwangsarbeitern“, „Euthanasieopfern“ und … Juden … gedenken will, die in und um Kaufbeuren herum (“KZ Steinholz”) während der Kaufbeurer Nazizeit ermordet wurden. Schwer zu sagen, welches der bedien Denkmal eigenartiger ist.

Ein freundlicher (serbischer?) Bauarbeiter bot seinen Besen an, so dass es möglich war, das schon mehrschichtig angesammelte Laub über den Inschriften für ein paar Fotos zu entfernen.

Denkmal “Zur Einnerung an den glorreichen Krieg und die Errichtung des DeutschenReiches 1870 – 1871

Two memorials in Schraderstr. Kaufbeuren, one commemorates the “glorious war” and the founding of the German Reich in 1870 and 1871, the other one from 2008 only remembers three kind of victims of the Nazi regime: forced workers, people who were killed in German hospitals by Eu-thanasia (lit. “good death”) and Jews … Which one is more odd?

//


Der jüdische Friedhof von Steinholz Mauerstetten bei Kaufbeuren

October 14, 2012

VIDEO unten!

Am Südende des Ortes Steinholz (Mauerstetten) bei Kaufbeuren (Neugablonz) befindet sich gegenüber des Altenheims „Haus im Lerchental“ an der Bürgermeister-Muhr-Straße, das „in ruhiger Wohnlage im Grünen mit Panoramablick auf unsere Allgäuer Berge“ verspricht am Waldrand ein kleiner sog. KZ-Friedhof.

Unweit davon wurde im Anfang 1944 ein Lager mit Holzbaracken, Stacheldraht und Wachtürmen errichtet, in welchem aus Polen und Ungarn verschleppte Juden, die aus dem Vernichtungslager Auschwitz hier her gebracht wurden, unter brutalen wie schäbigen Umständen Zwangsarbeit verrichten mussten.

Die Gedenktafel am Friedhof notiert in jüdischer (jiddischer) Sprache:

ברודער-קבר פון 472 יידישע קרבנות אומגקומען אין נאצי-ארבעטס-לאגער

דירערלאה קויפבויערן   –  כבוד זייער אנדענקען

Und fast gleichlautend in deutscher Sprache:

Bruder-Grab von 472 jüdischen Häftlingsopfern des nazischen Arbeitslagers Riederloh bei Kaufbeuren

Es ist klar, dass bei 472 Toten auf einer Fläche von knapp 290 m² nur etwa ein halber Quadratmeter Platz für eine Leiche einkalkuliert wurde und es sich um alles andere als um ein würdiges Begräbnis, sondern schlicht um ein Massengrab handelte. Trotzdem befinden sich auf dem Friedhof – in verschiedene Richtungen orientiert – vier Grabsteine und an der Mauer eingelassen zwei weitere Widmungstafeln. Sie sind konkreten Einzelpersonen gewidmet und stehen somit im Kontrast zu den namenlosen anderen Entführungs- und Mordopfern, unter denen sich Berichten gemäß auch zwei Jungen etwa im Alter von 10 Jahren befunden haben sollen.

Unter den Todesopfern befand sich auch der ausführlich gepriesene ungarische Rabbiner Menachem Josef ha-Levi Heimlich, der am ersten Tag des Pessach-Festes des Jahres 1889, dem 16. April in Kecskemét (קעמעטש, deutsch: Ketschkemet) geboren wurde, aber als Rabbiner aus Miskolc (מישקולץ, מישאלץ, deutsch: Mischkolz, heute nach Budapest und Debrecen die drittgrößte Stadt Ungarns im Nordosten des Landes) bzw. als Rabbi Mendel Karader bekannt wurde. Wie bereits seiner Gedenktafel am Friedhof in Steinholz-Kaufbeuren besagt, war er der Autor des Buches מנחת יוסף (Geschenk Josefs), sowie drei weiterer Schriften.

Zu seinem Aufenthalt in Auschwitz gibt es sogar eine halachische Rechtsentscheidung (Rabbi Zwi Hirsch Maislisch aus Vác (= Waitzen) Ungarn, Mekadsche Haschem, Teil 1, “Schaár Machmadim,” Abschnitt 5, S. 10)

Die Entscheidung behandelt den Umstand, dass auch die jüdischen Gefangenen sich im Lager Auschwitz “täglich” rasieren mussten. Rabbi Mendel nun weigerte sich an Tagen zu rasieren, an welchen das jüdische Religionsgesetz dies nicht gestattete, so auch an den Tagen an welchen (nach aschkenasischem Brauch) Slichot-Gebete gesprochen werden (nämlich in den zehn Tagen vor Neujahr) . Beim morgendlichen Appell am jüdischen Neujahrstag des Jahres 5705 (= 18. September 1944) waren nun aber seine Bartstoppeln wohl deutlich zu sehen. Der Nazi-Kommandeur bestimmte ihn deshalb fürs Krematorium, d.h. es wurde seine Ermordung angeordnet. Nun ergab sich für ihn also die akute Frage, ob es ihm, um dem Tod zu entgehen, erlaubt sei, sich am Neujahrfest zu rasieren, da nur so die Möglichkeit bestand, der Aufmerksamkeit der Mörder zu entgehen.

Rabbi Zvi Hirsch Maislisch (צבי הירש מייזליש), der den Nazi-Terror überlebte, und mit dem sich Rabbi Mendel beriet, fällte nun die Entscheidung, dass er sich ohne Zweifel rasieren dürfe, da es sich um einen Fall von „Pikuach Nefesch“

„כי היה זה מצב של פיקוח נפש“

handele, also um eine Frage der Lebensrettung. Zur weiteren Bekräftigung seiner Argumentation zitierte der Rabbiner, dass Josef am Neujahrstag aus dem Gefängnis befreit wurde und „sich rasierte und seine Kleidung wechselte“ (Genesis 41.14 בראשית).

Wir können davon ausgehen, dass der Rabbiner sich nun also am Morgen des Neujahrsfestes rasierte, um sein Leben zu retten. In den folgenden Wochen gelangte er aber mit über neunhundert weiteren Gefangenen des Lagers Auschwitz über Dachau ins bayerische Schwaben, bzw. nach Riederloh bei Kaufbeuren. Gemäß der Gedenktafel starb er hier bereits am 9. Tevet 5705 (26. Dezember 1944), also nur zwei Monate nach Neujahr und wenige Stunden vor Beginn des Fastentages des zehnten Tevet. Rabbi Heimlich wurde nur 56 Jahre alt.

Die immerhin19 Zeilen umfassende Inschrift zu seinem Gedenken und seine Familie lautet:

אבן מקיר תזעק ובמר תתן קולה

על אלה אני בוכיה עיני עיני יורדה מים

פה בחפירה מלאה קדושים זה על גבי זה

נטמן

הגאון הצדיק המפורסם האי חסיד האי עניו

הרב ר’ מנחם יוסף הלוי היימליך זצ”ל

מקאראד הנקרא בפי כל ר’ מענדל קאראדער

מחבר ספר מנחת יוסף ושלשה םפורים נפתחים

עמ”ס שבת ועניני שבת מורה הוראה בק”ק

מישקאלץ במדינת אונגרין. נהרג על קירוש השם

בשנת תש”ד לפ”ק

בן הרב החסיד מור”ר ר’ נחום הלוי ע”ה

שם אמו שרל ע”ה

זוגתו הצדיקת מרת בילא ע”ה נשרפה עקדה”ש

באושוויץ עם שלשה בני’: יונה,  ישעי, ישראל

יהושע ברוך וששה בנותי’: בלימא, אסתר, פעריל

זיסל,  חנה,  מידל. וג’ חתניה ושש נכדותיה

יזכרם אלקי לטובה עם שאר נשמת הקדושים הי”ד

ת נ צ ב ה

Zur Einleitung sind Zitate aus den biblischen Büchern Chawakuk und Echa zu lesen „אבן מקיר תזעק“ „“der Stein schreit aus der Mauer“ (the stone will cry out from the wall) und „על אלה אני בוכיה עיני עיני יורדה מים“, „deshalb weine ich, und mein Auge, mein Auge tropft Wasser“ (this is why I weep and my eyes drop water):

In diesem vollen Grabplatz der Heiligen ist begraben der berühmte Gaon Zadik und Chassid der ehrsame Rabbiner Menachem Josef ha-Levi Heimlich seligen Angedenkens aus Karad, der von allen Rabbi Mendel Karader genannt wurde, der Autor des Buches Minchat Josef und dreier Bücher und Lehrer in der heiligen Gemeinde von Mischkalz im Staate Ungarn. Ermordet zur Heiligung des Namen Gottes im Jahre 5704. Sohn des chassidischen Rabbiners des hochverehrten Herrn Rabbi Nachum ha-Levi, Frieden seiner Seele, der Name seiner Mutter Sarel, Frieden ihrer Seele, seine Gemahlin die gerechte Frau Bela, Friede ihrer Seele, die verbrannt wurde in Auschwitz mit ihren drei Söhnen Jona, Jischai und Israel Joschua Baruch und ihren sechs Töchtern Blime, Ester, Feril, Sisl, Chana und Medl und ihren sechs Enkelkindern. Gedenke Gott ihnen zum Guten mit dem Rest der Heiligen.

Demgemäß wurden Rabbi Mendels Frau Bela zusammen mit ihren neun Kindern und sechs Enkeln in Auschwitz ermordet, während er abseits von ihnen bei Kaufbeuren getötet und im Massengrab von Steinholz begraben wurde.

Eine modernere Plastiktafel in englischer Sprache befindet sich unterhalb der Gedenkinschrift. Auf ihr steht zu lesen:

„RABBI MENACHEM HEIMLICH, zt“l of Mishkolc, Memorial Day, 9 Days in Teves (26. Dec. 1944)“

was eigentlich heißen soll „Day 9 in Teves“. Erinnert werden soll damit an seinen Todestag den 9. Tewet nach jüdischem Kalender (Jahrzejt). Zudem befand sich hinter der allgemeinen Gedenktafel eine Blechbox zum Gedenken an den Rabbi, die einen Teil der Inschrift der Gedenktafel wiederholt:

הגה”ק רבי מנחם יוסף

בן הרה”צ רבי נחום הלוי

זצוק”ל הי”ד

הנקרא בפי כל ונודע בשמו הטוב

רבי מנדעל קאראדער

ממישקאלץ

Die Blechbox und die Plastiktafel belegen, dass das Andenken an den frommen und beliebten Rabbi auch in jüngerer Zeit nicht vergessen wurde und dass zumindest ab und an wohl einzelne Pilger nach Kaufbeuren und Steinholz kommen um am Grabplatz des chassidischen Gelehrten zu beten.

Gleich neben der Widmungstafeln für den Rabbi befindet sich eine weitere für Rafael Zelwer, im Juni 1995 von seiner Schwester Sara Zelwer Orbach aus Tel Aviv gestiftete Messingtafel:

לזכור אחי

רפאל בן ישעייהו ומלכה זלוור הי”ד

נולד ב 1921 בקאליש פולין

היה בגטו לודזץ חובא לאושוויץ ומשם לדכאו

Kaufbeuren הועבר למחנה העבודה

ונםפה ב 24.11.1944 – ח’ כסלו תש”ה

נשא מספר אסיר 110242

ונקבר בקבר אחים בבית עלמין זה

ת נ צ ב ה

Rafael Zelwer

geb. 1921

umgekommen am 24.11.1944

Häftlingsnummer 110242

Zusammen mit noch 471 jüdischen KZ-Opfern

In diesem Friedhof bestattet

 

Rafael Zelwer (Selwer) stammt demnach aus der polnischen Stadt Kalisz (קאליש, Kalisch), mit heute etwa 100.000 Einwohnern (Städtepartnerschaft mit Erfurt, bzw. Preston in England). Beim Einmarsch der Deutschen lebten 90.000 Menschen in der Stadt, darunter 30.000 Juden. Obwohl die Deutschen die Stadt kampflos einnehmen konnten, lebten nach dem Krieg nur noch 40.000 Menschen in der Stadt, darunter keine Juden mehr. Der Rest wurde durch Zwangsarbeit in Konzentrationslagern ermordet. In der israelischen Stadt Holon erinnert ein Denkmal an die Ermordeten der jüdischen Gemeinde Kalisch.

(wikipedia)

* * *

Auf dem Gelände des Friedhof stehen nun noch vier einzelne Grabsteine, die in verschiedene Richtungen ausgerichtet sind und wohl kaum tatsächliche Grabplätze anzeigen dürften.

Eine abgebrochene Säule, die seit dem Tod von Wolfgang Amadeus Mozart (gest. 1791) auch unter Juden, vor allem in Süddeutschland und Österreich gelegentlich als Grabmal anzutreffen ist und einen Tod in jungen Jahren ausdrücken soll, … findet  sich hier und ist der Inschrift gemäß

Sender Hodys

1901-1944

gewidmet. Unterhalb der Daten ist auf punktierten (!) Hebräisch zitiert:

אל מלא רחמים שוכן במרומים

Das „El male rachamim“ (Gott voll Barmherzigkeit der in den Höhen wohnt, God full of mercy who dwells in the heights) wird traditionell zu Begräbnissen oder Trauern gebetet oder gesungen (seit einiger Zeit leider auch etwas zu theatralisch von Opernsängern).

Am Sockel des Grabstein steht zu lesen: „Zum Andenken gewidmet von Sohn Paul und Brüder Heniek und Hesiek.“

Eine Todesanzeige der New York Times vom 10. November 2002 meldet den Tod des Sohnes Paul Hodys (1930-2002):

“HODYS, Paul N. Loving husband of Helen; devoted father of daughter Renee and husband John and son Allen and wife Debbie; adoring grandfather of Ella and Cole; and deeply caring cousin and friend.

Born in Lodz, Poland. Survived the Holocaust. Brought compassion, generosity and humor to all who knew him. Died on Friday, November 8, 2002. Services to be held on Sunday November 10, 2002 at 11:30 AM at Parkside Chapel, 98-60 Queens Blvd, Rego Park, NY. Contributions in his honor may be made to the Cole Hodys Research Fund, 100 Haven Ave, Ste 29D, NY, NY 10032 or Friends of AKIM USA, 114 E 32nd St, Ste 800, NY, NY 10016.

HODYS-Paul. The Board of Directors of the Friends of AKIM USA mourn the passing of our Secretary and our right-hand Paul Hodys. Philip R. Baird, President Joe Schorr, Treasurer”.

Mit derselben hebräischen (gleichfalls punktierten) Widmung אל מלא רחמים שוכן במרומים einher geht ein Grabstein des Ehepaars Schochet:

Ruhestätte für

Familie Schochet

Zelig Schochet

1889 – 1944

Ruchomo Schochet

geb. Tabris

1899 – 1944

In der Datenbank von Yad Vashem ist ein Zelig Schochet namentlich verzeichnet, der 1886 im ukranischen Slavuta als Sohn von Josef und Sara geboren wurde und zu Beginn des Krieges in Gorodok gelebt hatte. Dort wurde er jedoch nach Angaben seiner Tochter Chana aus dem Jahr 1968 bereits 1942 getötet, weshalb er wohl nicht der 1944 bei Kaufbeuren gestorbene gleichnamige Mann gewesen sein kann.

Desweiteren befinden sich noch zwei weitere hebräische Grabsteine auf dem kleinen Friedhof, deren Inschriften ein anderes Mal vorgestellt werden, da der Artikel zu unserem Kurzausflug vor die Tore Kaufbeurens schon wieder viel zu lang geworden ist.

* * *

* * *

Next to Kaufbeuren in the Allgäu district of south western Bavaria is Mauerstetten – its part Steinholz where during the war the Germans hat an Arbeitslager for Jewish prisoners who came via Auschwitz and Dachau concentration camp from Hungary and Poland to the camp Riederloh 1 and 2. They were forced to work for the Dynamit Nobel works under inhuman and brutal conditions so that out of approx. 1300 of the kidnapped 472 died. At the south end of Steinholz next to a modern retirement home is a small Jewish cemetery were these 472 are buried in a mass grave.  Among the buried also is Chassidic rabbi Mendel Karader of Mishkolc who also is known as Rabbi Menachem Josef ben Nachum ha-Levi Heimlich (1889-1944) and Alexander Hodys (1930-2002).

//

//