“Unsere jüdische Dichtung in diesen Tagen”

January 6, 2016

Und jeden Morgen …

Und jeden Morgen schnürst du deine Schuh,
Gehst still dem Tagwerk zu.

Und Regen rauscht an deine Fensterscheiben,
Du bist froh und weißt,
Vom Gestern wird nichts bleiben
Und nicht vom Morgen, das dir entgegen kreist.

Und Stund um Stund geht die Uhr,
Die Monde wechseln stumm in Gottes Namen;
Vielleicht wächst Neues einst aus deinem Samen,
Vielleicht lässt keiner deiner Schritte eine Spur.

Ein kleiner Wind lässt dich erschauern,
ein wenig Regen lässt dich taglang trauern
und jeden Abend bist du arbeitsmüd;

Nachtfalter sind dir Einsamen Genossen
Und eh du denkst ist alles dies verflossen
Wie ein von irgendwo gesungenes Lied …

Oh sei gelassen im Gewölk und hab Geduld,
Fühl deine Gnade tiefer noch als deine Schuld,
Wie alle, die wie du berufen sind

Zu horchen auf den grauen Schicksalswind,
zu wachen, wenn aus dumpf befangenem Schlaf
Die anderen stöhnen, weil ein Traum sie traf.

 

* * *

Jacob Picard (1883-1967), Schriftsteller und Dichter, bekannt geworden für seine bewegenden Erzählungen zu schwäbischen Juden seiner Heimat, der Bodensee-Region, die über Jahrhunderte hinweg enge (familiäre) Verbindungen zu den Juden im Raum Augsburg hatten.

Das Gedicht „Und jeden Morgen“ wurde vor genau achtzig Jahren in der Neujahrsausgabe der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung vom 1. Januar 1936 auf Seite 5 abgedruckt im Rahmen eines von Jakob Picard selbstverfassten Artikels über „Unsere jüdische Dichtung in diesen Tagen“.

* * *

Jacob Picard 1883-1967(badener zeitung)

Nach bald drei Jahren Hitler-Regierung in Deutschland, wenige Wochen nach der Verkündung der sog. „Nürnberger Gesetze“ spürt man das drohende Unheil aus den Worten des Dichters, auch wenn noch Beobachtungen und Leitsätze im Blickpunkt stehen, die wir  in unserer Zeit ebenso auch auf uns selbst beziehen könnten (vielleicht auch sollten):

Worum geht es in unserer allgemeinen Situation? Es geht darum, eine Gefahr zu beseitigen, die sehr drängend ist, nämlich die, dass unser künstlerisches Schaffen durch die Zeitverhältnisse aus stofflichen und persönlichen Gründen an Niveau verliere und banalisiert werde, weil einerseits die Schaffenden fehlen, die den rechten Maßstab vertragen, und weil oft die persönliche Umgebung derer, die sich berufen halten, sie nur darum bejaht, weil sie Ihresgleichen sind und überhaupt etwas von sich geben. Auf diese Gefahr hinzuweisen, heißt schon, sie zu bannen.“

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Aber es braucht auch keineswegs einer tragischen Zeit, wie wir sie jetzt durchleben, nun zwangsläufig als ein Dichter geboren zu werden, der sie gestaltet und gerade ihren Menschen Erhebung und Trost geben kann; Gnade und Schicksal wäre es. In einer ereignislosen, gelassenen Zeit könnte einer ebenso gut, nein, viel eher kommen, der die große Tragik der Jahrhunderte gestaltet, weil durch die Ferne Verklärung des Geschehens uns wird, und Kunst auch dieses bedeutet: während andererseits in Zeiten, da das Grauen über die Erde geht, schon die Distanzlosigkeit des Erlebnisses den Zeitgenossen hemmt, es zu gestalten.“

Lo tirzach don t kill töte nicht Nürnberg Straße der Menschenrechte HebräischBiblisches Gebot “Töte nicht” in Nürnberg, Straße der Menschenrechte

Warum sollte es nicht auch unter uns …, vom engeren oder weiteren Bekanntenkreis liebenswürdig gepflegten Kitsch geben, der bekämpft werden muss! Und selbst durch die schwerste Judengesetzgebung wird einer nicht zum Dichter, wenn er es nicht zuvor gewesen ist.

Wir können zum Schicksal den Dichter nicht fordern, der uns nottut, sondern müssen geduldig warten, dass die Vorsehung uns einen schickt, der das kündet, was wir fühlen, der unser Mund sei, zugleich mit unserer Klage und Aussprache unser Trost.“

lindauer tor wangenLindauer Tor in Wangen / Allgäu


Über die Juden in Schwaben

June 20, 2014

Eine Hypothese nach sollen die Schwaben Abkömmlinge von einem der verlorenen Stämme der Israeliten sein heißt es bei Weitnauer:

Nach dieser Theorie wären die mit ahasverischer Unruhe begabten Schwaben also nichts anderes als jener verlorene zwölfte Stamm der Kinder Israel..!”

Doch gelte diese These „inzwischen“ als überholt. Dagegen (dass Schwaben Juden wären) spreche nämlich die Tatsache:

„… daß im Jahre 1860 der bayrische Landgerichtsarzt Dr. Bernhard Zör von Immenstadt in einen Fragebogen des Königlich-bayrischen Staatministeriums für Unterricht und Kultus, das im Rahmen einer Landeserhebung u.a. die Zahl der in den bayrischen Gerichtsbezirken ansässigen Juden wissen wollte, folgendes schrieb: „Juden gibt es im schwäbischen Allgäu keine, da sie sich wegen der geschäftlichen Tüchtigkeit der Eingeborenen nicht zu ernähren wissen.“ “

(zitiert nach: Alfred Weitnauer – Die Baiern und die Schwaben, Kempten 1972, S. 11)

Bad Wörishofen Händler Stadt BauernhausHändler am Stadt Bauernhaus in Bad Wörishofen (Unterallgäu)

Die Geschäftstüchtigkeit der Schwaben soll also die Juden fern gehalten haben, die ja angeblich auch gerne aufs Geschäftemachen aus sein sollen. Ist es noch ein antisemitisches Klischee oder bloße Schwaben-Schelte, wie man sie heute auch bei Berlinern antrifft, die Württemberger mit Schwaben verwechseln?
Der aus Sonthofen stammende Landgerichts-Physikus Dr. Zör (1778-1855) war Autor einiger Arbeiten zur Heimatgeschichte Artikel zur lokalen Adelsforschung veröffentlicht und war bereits 1855 in Immenstadt verstorben. Dass Zör, der einigen auch als Begründer der lokalen Heimatforschung im Allgäu gilt, trotzdem 1860 längst tot, dennoch bereit war, Fragebögen auszufüllen und auskunft über “die Juden” zu geben, unterstreicht ohne Zweifel sein über den Tod hinaus reichendes Pflichtbewusstsein.
In Bezug auf „die Juden“ hätte er aber falsch gelegen, denn die gab es im Allgäu durchaus und zwar zum guten Auskommen aller. 1972, als Weitnauer seine Humoreske schrieb, war das freilich schon seit rund 30 Jahren nicht mehr so.


Schwäbisches Museum: von Ruhm und Ehre und “Ordnung in der Judenfrage”

July 21, 2013

Im idyllischen schwäbischen Bauernhof-Museum Illerbeuren gibt es auch ein kleines Museum, welches anhand einiger weniger Ausstellungsstücke die Vergangenheit der Region vom Ersten Weltkrieg bis zur Zeit des sog. “Wirtschaftswunders” der 1950er Jahre passieren lässt. Dazu gehört beispielsweise ein Plakat welches über die “Kriegsgebote des Kartoffelbauers” informiert, u.a. “Halte die Kartoffel unkrautfrei…”

Eine gerahmte Urkunde mit Passbild informiert, dass Xaver Gruber aus Kronburg, geboren am 17.4.1898 von 1916 bis 1918 “Mitkämpfer im Ringen um des Reiches Bestand und des deutschen Volkes Ehre und Ruhm” war. Eine alte schwarz-gelbe Werbetafel plädiert: “Das Geld des Dorfes dem Dorfe! – Spart bei Eurem Darlehenskassenverein“. Es gibt auch ein paar Gegenstäde zu sehen: Auf einem Schrank ein Grammophon z. B., daneben auf einem weißen Deckchen ein Krug und eine Art Mandoline … ein paar ältere Trachten der Kronburger Tanzgruppe (1948 ..?), eine Eisdielen-Einrichtung mit Musikbox, mit Motorroller und dergleichen. Etwas hiervon, etwas davon, im Sinne von “nett”.

Hitler mit Kind in Illerbeuren MuseumKinderfreundlicher Hitler im schwäbischen Illerbeuren

Die Nazizeit wird auch nicht verschwiegen, aber in eher einfältig unschuldiger Weise präsentiert. In einer Vitrine sind mit einen herzlichen, fürsorglichen mit Kind dargestellten Hitler  (wohl) originale Propaganda-Plakate angeordnet die  heroisch für “Harte Zeiten, Harte Pflichten, Harte Herzen” werben, aber aber auch Karrieretipps  geben: “Vom Hitlerjungen zum Offizier des Heeres, Dein Weg!”

Hitlerjugend Wehrmacht Plakat Bauernhofmuseum Illerbeuren

Darunter liegt am Boden der Vitrine nun ein rotes Büchlein mit dem Titel “Ordnung in der Judenfrage“, als dessen austrofaschistische Verfasser  “Emmerich Cermak”  (gest. 1965) und “Oskar Karbach” ausgewiesen sind.

Was nun hat das Bauernhofmuseum im Juli 2013 mit einer “Judenfrage”  zu tun?

Waren die Initiatoren oder ihre Eltern in der Hitlerjugend und haben Karriere in der Wehrmacht gemacht? Haben Sie im Allgäu die “Judenfrage” geordnet? Erklärungen über Kontext und Motive fehlen.

Ordnung in der Judenfrage Czermak Karbach Illerbeuren Museum

Direkt gegenüber befindet sich jedoch eine weitere Vitrine … mit einer (vermutlich) originalen Bronzebüste von … genau: Adolf Hitler. Dahinter (!) haben die Macher ein Schwarzweiß-Photo vergrößert und für die Büste als Rückwand platziert, auf welchem nun allen Ernstes KZ-Häftlinge zu sehen sind, offenbar in einer Baracke. Auch hierfür fehlt eine Erklärung.

Ein Plädoyer dafür, dass unter den Häusern, Hütten und Schuppen die auf dem Gelände des Bauernhof-Museums zu sehen sind auch eine KZ-Baracke nicht fehlen sollte, da durch die vielen KZ-Außenlager überall es zur Geschichte der Region gehört?

So ist im Rahmen der Gesamtkonzeption der Kontext unverständlich. Wird es demnächst, analog zu Rindern und Schafen ein Gehege mit Hitler-Jungen geben ..?

Für Aufmärsche mit Musik jeden Morgen um 5 Uhr 45 ..?

Hitler-Büse Kz-Häftlinge Illerbeueren MuseumArrangement im Museum: KZ-Gefangene mit Hitler-Büste

???????????????????????????????“Nazi-Schrein” in Illerbeuren


אם הבקר טוב גם בוקר טוב

July 19, 2013

אם הבקר טוב גם בוקר טוב

איללערבוירען

איללערבוירען

כך חשבו בוקרים יהודים בשוואביה

ב-19 מאה

If the cattle is well, its a good morning, that what Jewish cowboys in Swabia had in mind

Braunrind Illerbeuren

Swabian or Allgäuer (“allgoyer”) Braunrind or Braunvieh is the traditional brown livestock of Bavaria (Austria and Swiss). In 19th century many emigrants, among them many Jews (until 1870s at least three-fourths of the domestic cattle breed and trade was in Jewish hands)  brought braunvieh to the US where it was bred in higher numbers. When the Kingdom of Bavaria became part of Germany in 1870 cattle brute from the north cut out the “heimisch” breed.

When in Bavaria braunvieh was almost on the brink of extinction the cattle was reimported from the US and has been true-bred. At the farming museum (Bauernhofmuseum) of Illerbeuren near Memmingen a number of original Swabian braunvieh is ready to answer your questions (their common language by the way until today is sort of רער טאיטשע געייה – resp. taytsh lowing.

swabian brown cattle

Allgäuer Braunvieh Illerbeuren

Further information: Schwäbisches Bauernhofmuseum, Museumstr. 8, 87758 Kronburg-Illerbeuren

www.bauernhofmuseum.de 


Der jüdische Friedhof von Steinholz Mauerstetten bei Kaufbeuren

October 14, 2012

VIDEO unten!

Am Südende des Ortes Steinholz (Mauerstetten) bei Kaufbeuren (Neugablonz) befindet sich gegenüber des Altenheims „Haus im Lerchental“ an der Bürgermeister-Muhr-Straße, das „in ruhiger Wohnlage im Grünen mit Panoramablick auf unsere Allgäuer Berge“ verspricht am Waldrand ein kleiner sog. KZ-Friedhof.

Unweit davon wurde im Anfang 1944 ein Lager mit Holzbaracken, Stacheldraht und Wachtürmen errichtet, in welchem aus Polen und Ungarn verschleppte Juden, die aus dem Vernichtungslager Auschwitz hier her gebracht wurden, unter brutalen wie schäbigen Umständen Zwangsarbeit verrichten mussten.

Die Gedenktafel am Friedhof notiert in jüdischer (jiddischer) Sprache:

ברודער-קבר פון 472 יידישע קרבנות אומגקומען אין נאצי-ארבעטס-לאגער

דירערלאה קויפבויערן   –  כבוד זייער אנדענקען

Und fast gleichlautend in deutscher Sprache:

Bruder-Grab von 472 jüdischen Häftlingsopfern des nazischen Arbeitslagers Riederloh bei Kaufbeuren

Es ist klar, dass bei 472 Toten auf einer Fläche von knapp 290 m² nur etwa ein halber Quadratmeter Platz für eine Leiche einkalkuliert wurde und es sich um alles andere als um ein würdiges Begräbnis, sondern schlicht um ein Massengrab handelte. Trotzdem befinden sich auf dem Friedhof – in verschiedene Richtungen orientiert – vier Grabsteine und an der Mauer eingelassen zwei weitere Widmungstafeln. Sie sind konkreten Einzelpersonen gewidmet und stehen somit im Kontrast zu den namenlosen anderen Entführungs- und Mordopfern, unter denen sich Berichten gemäß auch zwei Jungen etwa im Alter von 10 Jahren befunden haben sollen.

Unter den Todesopfern befand sich auch der ausführlich gepriesene ungarische Rabbiner Menachem Josef ha-Levi Heimlich, der am ersten Tag des Pessach-Festes des Jahres 1889, dem 16. April in Kecskemét (קעמעטש, deutsch: Ketschkemet) geboren wurde, aber als Rabbiner aus Miskolc (מישקולץ, מישאלץ, deutsch: Mischkolz, heute nach Budapest und Debrecen die drittgrößte Stadt Ungarns im Nordosten des Landes) bzw. als Rabbi Mendel Karader bekannt wurde. Wie bereits seiner Gedenktafel am Friedhof in Steinholz-Kaufbeuren besagt, war er der Autor des Buches מנחת יוסף (Geschenk Josefs), sowie drei weiterer Schriften.

Zu seinem Aufenthalt in Auschwitz gibt es sogar eine halachische Rechtsentscheidung (Rabbi Zwi Hirsch Maislisch aus Vác (= Waitzen) Ungarn, Mekadsche Haschem, Teil 1, “Schaár Machmadim,” Abschnitt 5, S. 10)

Die Entscheidung behandelt den Umstand, dass auch die jüdischen Gefangenen sich im Lager Auschwitz “täglich” rasieren mussten. Rabbi Mendel nun weigerte sich an Tagen zu rasieren, an welchen das jüdische Religionsgesetz dies nicht gestattete, so auch an den Tagen an welchen (nach aschkenasischem Brauch) Slichot-Gebete gesprochen werden (nämlich in den zehn Tagen vor Neujahr) . Beim morgendlichen Appell am jüdischen Neujahrstag des Jahres 5705 (= 18. September 1944) waren nun aber seine Bartstoppeln wohl deutlich zu sehen. Der Nazi-Kommandeur bestimmte ihn deshalb fürs Krematorium, d.h. es wurde seine Ermordung angeordnet. Nun ergab sich für ihn also die akute Frage, ob es ihm, um dem Tod zu entgehen, erlaubt sei, sich am Neujahrfest zu rasieren, da nur so die Möglichkeit bestand, der Aufmerksamkeit der Mörder zu entgehen.

Rabbi Zvi Hirsch Maislisch (צבי הירש מייזליש), der den Nazi-Terror überlebte, und mit dem sich Rabbi Mendel beriet, fällte nun die Entscheidung, dass er sich ohne Zweifel rasieren dürfe, da es sich um einen Fall von „Pikuach Nefesch“

„כי היה זה מצב של פיקוח נפש“

handele, also um eine Frage der Lebensrettung. Zur weiteren Bekräftigung seiner Argumentation zitierte der Rabbiner, dass Josef am Neujahrstag aus dem Gefängnis befreit wurde und „sich rasierte und seine Kleidung wechselte“ (Genesis 41.14 בראשית).

Wir können davon ausgehen, dass der Rabbiner sich nun also am Morgen des Neujahrsfestes rasierte, um sein Leben zu retten. In den folgenden Wochen gelangte er aber mit über neunhundert weiteren Gefangenen des Lagers Auschwitz über Dachau ins bayerische Schwaben, bzw. nach Riederloh bei Kaufbeuren. Gemäß der Gedenktafel starb er hier bereits am 9. Tevet 5705 (26. Dezember 1944), also nur zwei Monate nach Neujahr und wenige Stunden vor Beginn des Fastentages des zehnten Tevet. Rabbi Heimlich wurde nur 56 Jahre alt.

Die immerhin19 Zeilen umfassende Inschrift zu seinem Gedenken und seine Familie lautet:

אבן מקיר תזעק ובמר תתן קולה

על אלה אני בוכיה עיני עיני יורדה מים

פה בחפירה מלאה קדושים זה על גבי זה

נטמן

הגאון הצדיק המפורסם האי חסיד האי עניו

הרב ר’ מנחם יוסף הלוי היימליך זצ”ל

מקאראד הנקרא בפי כל ר’ מענדל קאראדער

מחבר ספר מנחת יוסף ושלשה םפורים נפתחים

עמ”ס שבת ועניני שבת מורה הוראה בק”ק

מישקאלץ במדינת אונגרין. נהרג על קירוש השם

בשנת תש”ד לפ”ק

בן הרב החסיד מור”ר ר’ נחום הלוי ע”ה

שם אמו שרל ע”ה

זוגתו הצדיקת מרת בילא ע”ה נשרפה עקדה”ש

באושוויץ עם שלשה בני’: יונה,  ישעי, ישראל

יהושע ברוך וששה בנותי’: בלימא, אסתר, פעריל

זיסל,  חנה,  מידל. וג’ חתניה ושש נכדותיה

יזכרם אלקי לטובה עם שאר נשמת הקדושים הי”ד

ת נ צ ב ה

Zur Einleitung sind Zitate aus den biblischen Büchern Chawakuk und Echa zu lesen „אבן מקיר תזעק“ „“der Stein schreit aus der Mauer“ (the stone will cry out from the wall) und „על אלה אני בוכיה עיני עיני יורדה מים“, „deshalb weine ich, und mein Auge, mein Auge tropft Wasser“ (this is why I weep and my eyes drop water):

In diesem vollen Grabplatz der Heiligen ist begraben der berühmte Gaon Zadik und Chassid der ehrsame Rabbiner Menachem Josef ha-Levi Heimlich seligen Angedenkens aus Karad, der von allen Rabbi Mendel Karader genannt wurde, der Autor des Buches Minchat Josef und dreier Bücher und Lehrer in der heiligen Gemeinde von Mischkalz im Staate Ungarn. Ermordet zur Heiligung des Namen Gottes im Jahre 5704. Sohn des chassidischen Rabbiners des hochverehrten Herrn Rabbi Nachum ha-Levi, Frieden seiner Seele, der Name seiner Mutter Sarel, Frieden ihrer Seele, seine Gemahlin die gerechte Frau Bela, Friede ihrer Seele, die verbrannt wurde in Auschwitz mit ihren drei Söhnen Jona, Jischai und Israel Joschua Baruch und ihren sechs Töchtern Blime, Ester, Feril, Sisl, Chana und Medl und ihren sechs Enkelkindern. Gedenke Gott ihnen zum Guten mit dem Rest der Heiligen.

Demgemäß wurden Rabbi Mendels Frau Bela zusammen mit ihren neun Kindern und sechs Enkeln in Auschwitz ermordet, während er abseits von ihnen bei Kaufbeuren getötet und im Massengrab von Steinholz begraben wurde.

Eine modernere Plastiktafel in englischer Sprache befindet sich unterhalb der Gedenkinschrift. Auf ihr steht zu lesen:

„RABBI MENACHEM HEIMLICH, zt“l of Mishkolc, Memorial Day, 9 Days in Teves (26. Dec. 1944)“

was eigentlich heißen soll „Day 9 in Teves“. Erinnert werden soll damit an seinen Todestag den 9. Tewet nach jüdischem Kalender (Jahrzejt). Zudem befand sich hinter der allgemeinen Gedenktafel eine Blechbox zum Gedenken an den Rabbi, die einen Teil der Inschrift der Gedenktafel wiederholt:

הגה”ק רבי מנחם יוסף

בן הרה”צ רבי נחום הלוי

זצוק”ל הי”ד

הנקרא בפי כל ונודע בשמו הטוב

רבי מנדעל קאראדער

ממישקאלץ

Die Blechbox und die Plastiktafel belegen, dass das Andenken an den frommen und beliebten Rabbi auch in jüngerer Zeit nicht vergessen wurde und dass zumindest ab und an wohl einzelne Pilger nach Kaufbeuren und Steinholz kommen um am Grabplatz des chassidischen Gelehrten zu beten.

Gleich neben der Widmungstafeln für den Rabbi befindet sich eine weitere für Rafael Zelwer, im Juni 1995 von seiner Schwester Sara Zelwer Orbach aus Tel Aviv gestiftete Messingtafel:

לזכור אחי

רפאל בן ישעייהו ומלכה זלוור הי”ד

נולד ב 1921 בקאליש פולין

היה בגטו לודזץ חובא לאושוויץ ומשם לדכאו

Kaufbeuren הועבר למחנה העבודה

ונםפה ב 24.11.1944 – ח’ כסלו תש”ה

נשא מספר אסיר 110242

ונקבר בקבר אחים בבית עלמין זה

ת נ צ ב ה

Rafael Zelwer

geb. 1921

umgekommen am 24.11.1944

Häftlingsnummer 110242

Zusammen mit noch 471 jüdischen KZ-Opfern

In diesem Friedhof bestattet

 

Rafael Zelwer (Selwer) stammt demnach aus der polnischen Stadt Kalisz (קאליש, Kalisch), mit heute etwa 100.000 Einwohnern (Städtepartnerschaft mit Erfurt, bzw. Preston in England). Beim Einmarsch der Deutschen lebten 90.000 Menschen in der Stadt, darunter 30.000 Juden. Obwohl die Deutschen die Stadt kampflos einnehmen konnten, lebten nach dem Krieg nur noch 40.000 Menschen in der Stadt, darunter keine Juden mehr. Der Rest wurde durch Zwangsarbeit in Konzentrationslagern ermordet. In der israelischen Stadt Holon erinnert ein Denkmal an die Ermordeten der jüdischen Gemeinde Kalisch.

(wikipedia)

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Auf dem Gelände des Friedhof stehen nun noch vier einzelne Grabsteine, die in verschiedene Richtungen ausgerichtet sind und wohl kaum tatsächliche Grabplätze anzeigen dürften.

Eine abgebrochene Säule, die seit dem Tod von Wolfgang Amadeus Mozart (gest. 1791) auch unter Juden, vor allem in Süddeutschland und Österreich gelegentlich als Grabmal anzutreffen ist und einen Tod in jungen Jahren ausdrücken soll, … findet  sich hier und ist der Inschrift gemäß

Sender Hodys

1901-1944

gewidmet. Unterhalb der Daten ist auf punktierten (!) Hebräisch zitiert:

אל מלא רחמים שוכן במרומים

Das „El male rachamim“ (Gott voll Barmherzigkeit der in den Höhen wohnt, God full of mercy who dwells in the heights) wird traditionell zu Begräbnissen oder Trauern gebetet oder gesungen (seit einiger Zeit leider auch etwas zu theatralisch von Opernsängern).

Am Sockel des Grabstein steht zu lesen: „Zum Andenken gewidmet von Sohn Paul und Brüder Heniek und Hesiek.“

Eine Todesanzeige der New York Times vom 10. November 2002 meldet den Tod des Sohnes Paul Hodys (1930-2002):

“HODYS, Paul N. Loving husband of Helen; devoted father of daughter Renee and husband John and son Allen and wife Debbie; adoring grandfather of Ella and Cole; and deeply caring cousin and friend.

Born in Lodz, Poland. Survived the Holocaust. Brought compassion, generosity and humor to all who knew him. Died on Friday, November 8, 2002. Services to be held on Sunday November 10, 2002 at 11:30 AM at Parkside Chapel, 98-60 Queens Blvd, Rego Park, NY. Contributions in his honor may be made to the Cole Hodys Research Fund, 100 Haven Ave, Ste 29D, NY, NY 10032 or Friends of AKIM USA, 114 E 32nd St, Ste 800, NY, NY 10016.

HODYS-Paul. The Board of Directors of the Friends of AKIM USA mourn the passing of our Secretary and our right-hand Paul Hodys. Philip R. Baird, President Joe Schorr, Treasurer”.

Mit derselben hebräischen (gleichfalls punktierten) Widmung אל מלא רחמים שוכן במרומים einher geht ein Grabstein des Ehepaars Schochet:

Ruhestätte für

Familie Schochet

Zelig Schochet

1889 – 1944

Ruchomo Schochet

geb. Tabris

1899 – 1944

In der Datenbank von Yad Vashem ist ein Zelig Schochet namentlich verzeichnet, der 1886 im ukranischen Slavuta als Sohn von Josef und Sara geboren wurde und zu Beginn des Krieges in Gorodok gelebt hatte. Dort wurde er jedoch nach Angaben seiner Tochter Chana aus dem Jahr 1968 bereits 1942 getötet, weshalb er wohl nicht der 1944 bei Kaufbeuren gestorbene gleichnamige Mann gewesen sein kann.

Desweiteren befinden sich noch zwei weitere hebräische Grabsteine auf dem kleinen Friedhof, deren Inschriften ein anderes Mal vorgestellt werden, da der Artikel zu unserem Kurzausflug vor die Tore Kaufbeurens schon wieder viel zu lang geworden ist.

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Next to Kaufbeuren in the Allgäu district of south western Bavaria is Mauerstetten – its part Steinholz where during the war the Germans hat an Arbeitslager for Jewish prisoners who came via Auschwitz and Dachau concentration camp from Hungary and Poland to the camp Riederloh 1 and 2. They were forced to work for the Dynamit Nobel works under inhuman and brutal conditions so that out of approx. 1300 of the kidnapped 472 died. At the south end of Steinholz next to a modern retirement home is a small Jewish cemetery were these 472 are buried in a mass grave.  Among the buried also is Chassidic rabbi Mendel Karader of Mishkolc who also is known as Rabbi Menachem Josef ben Nachum ha-Levi Heimlich (1889-1944) and Alexander Hodys (1930-2002).

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