Das NS Dokumentationszentrum in München

April 13, 2016

NS Dokumentationszentrum Münchenהמרכז לתיעוד ההיסטוריה של הנאציזם במינכן

Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte. Dieser Merksatz ist ebenso simpel wie grundlegend. Ein recht gutes Beispiel dafür ist auch das im letzten Jahr nach langen Diskussionen und Planungen eröffnete Museum zur Münchner Nazi-Geschichte in der Brienner Straße 34 (früher 45). Der Neubau fußt auf der früheren Parteizentrale der Nationalsozialisten, dem von ihnen selbst sog. „Braunen Haus“.  Eine Perspektive die zwar vielen Zeitgenossen genügt, unseren Blick auf die Unwegsamkeit der Geschichte aber nicht verbaut.

Obelisk Karolinenplatz München NS Dokuzentrum

Wdimung Obelisk Karolinenplatz München

Die Brienner Straße in der Maxvorstadt, benannt nach der Schlacht bei Brienne le Château vom 1. Februar 1814 verläuft vorbei an Karolinenplatz und Königsplatz und ist noch heute von seinen klassizistischen Monumentalbauten beherrscht. Am augenfälligsten ist gewiss der aus vielen Richtungen schon von weitem sichtbare, weil fast dreißig Meter hohe dunkle Obelisk, den König Ludwig I. 1833 errichten ließ.  Zum Andenken an die „dreißigtausend Bayern die im russischen Krieg den Tod fanden“, denn wie es in einer der Inschriften heißt:  „Auch sie starben für des Vaterlandes Befreyung“. Offenbar davon inspiriert bauten die Nazi 1935 vor ihrer Parteizentrale zwei als „Ehrentempel“ titulierte Leichenhallen, in welchem sie die Überreste von 16 exhumierten „Helden“ beisetzten, die zwölf Jahre zuvor beim missglückten „Hitler-Putsch“ ums Leben kamen. Aus der Sicht der nun herrschenden Nazis starben auch jene Vorkämpfer für die „Befreiung des Vaterlandes“. 1833 – 1933. Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte.

Brienner Str München NS Dokumentationszentrum Torההיסטוריה היהודית הנשכחת של הבית לרחוב

Das „Braune Haus“ selbst hat mehrere davon. Dass aber ausgerechnet dieses Gebäude keine Eigenleistung der Nazi ist, die für doch für ihre „Bauwut“ bekannt waren, wissen wenige. Das herrschaftliche Palais wurde nämlich bereits 1828 errichtet, von dem aus Frankreich stammenden, stadtbekannten königlich-bayerischen Baurat Jean Baptist Métivier (1781-1853). Zwei Jahre zuvor hatte er die von ihm im Auftrag der Münchner Juden entworfene prächtige Synagoge in der Westenriederstraße fertiggestellt. Anstatt selbst darin zu wohnen überließ Métivier das Palais nun aber dem Tabakfabrikanten Carl Freiherr von Lotzbeck (1786-1873). Der hatte 1811 in Augsburg die insolvente Schüle’sche Kattunfabrik übernommen und 1819 bei der St. Anna-Kirche eine neues, noch größeres Werk errichtet, die „Lotzbeck’sche Toback Fabrik“, später „Lotzbeck & Compagnie“, die von seinem Schwiegersohn Ludwig Sander (1790-1877) geleitet wurde, dessen weitere Maschinenfabrik als Vorläufer der späteren MAN gilt. Heute befindet sich der Augsburger Stadtmarkt auf dem Gelände der früheren Tabakfabrik.

NS Dokumentationszentrum München und der Nationalsozialismus

1876 wurde das auch als Lotzbeck-Palais bekannt gewordene Gebäude an den englischen Textilfabrikanten Richard Barlow verkauft. 1911 erbte dessen Sohn Dr. phil. Willy E. Barlow (1869-1928) das Haus. Während des ersten Weltkriegs hatte er freilich Deutschland verlassen und nach 1919 das Haus gewerblich vermietet. Hauptmieter war nun Otto Neubauer, der im Erdgeschoss des Hauses die von seinem Vater Moritz gegründete Möbelfabrikation M. Neubauer betrieb (mit Werkstatt und Laden), das zuvor seinen Sitz in der Löwengrube 13 hatte, desweiteren die Bayerische Aluminium AG. Zu den privaten Mietern gehörte seit Mitte der 1920er auch Wilhelm Engelhardt, Stadtbauverwalter der Stadt München.

München Braunes Haus Info NS Dokumentationszentrumבירת התנועה של הנאצים

1928 starb Willy Barlow, der in Münchner Adressbüchern als „Rentner“ bezeichnet ist, in Ansbach. Seine Witwe kam zurück nach München, um das mittlerweile als „Barlow-Palais“ bezeichnete Haus zu veräußern. Die Stadt München war daran interessiert, es zu erwerben, um dort eine kommunale Musikschule einzurichten. Doch wegen knapper Haushaltmittel wollte sich die Stadt den prestigeträchtigen Erwerb nicht leisten. Die Tatsache, dass seit Ende 1929 bereits acht Mitglieder der NSDAP dem Münchner Stadtrat abgehörten, spielte für den weiteren Verlauf durchaus eine Rolle. Unter ihnen war auch der aus Braunschweig stammende Sohn eines Baptistenpredigers Karl Fiehler (1895-1969), der damals Obersekretär in der Münchner Stadtverwaltung war. Schon 1920 war er Mitglied der NSDAP geworden und am Putschversuch von 1923 beteiligt, wofür er zu einer 15monatigen Haftstrafe in Landsberg verurteilt wurde. 1933 bis 1945 war er Münchner Oberbürgermeister. Auf Fiehler geht wahrscheinlich sogar das Schlagwort von München als „Hauptstadt der Bewegung“ zurück. Dass die NSDAP-Stadträte mit dem Kauf des teuren Palais zu hatten, liegt auf der Hand, ist aber deshalb in den Details auch nicht weiter relevant, steht doch fest, dass Palais an die NSDAP verkauft wurde. Dass die kaum zehn Jahre alte Partei die Finanzierung des üppigen Kaufpreises von über achthunderttausend Goldmark stemmen konnte, soll an Krediten und Bürgschaften der Großindustriellen Thyssen und Flick gelegen haben. Das hätte damals schon zu denken geben sollen. Die bisherigen Mieter mussten nun, 1930, die Brienner Straße 45 umgehend räumen. Das Palais wurde umgebaut und 1931 von Hitler und seinen Schergen lauthals als „Braunes Haus“ propagiert. Den Vormieter der Nazis, Otto Neubauer, den Inhaber der bis dahin im Palais beherbergten Möbelfabrik ließ man später verhaften, weil er Jude war, und bereits im August 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausens ermorden. An ihn könnte vor dem Haus einer jener Stolpersteine erinnern, die anderswo überall zu sehen sind. In München nicht.

 Arisierung in München Wertheimer Optik Linder Neuhauserstr 53 Ettstr sog. “Arisierung” in München, Optik Wertheimer (NS Dokuzentrum)

München Brienner Str 45 im Adressbuch 1926 Barlow Neubauer MöbelfabrikAuszug aus dem Münchner Adressbuch von 1926

Weniger Jahre später laute der Eintrag für das selbe Haus:

München Brienner Str 45 im Adressbuch 1935 als Braunes HausFür den “Verein” hatte damals unterschrieben “Adolf Hitler, Kunstmaler”

Die jüdische Vorgeschichte des „Braunen Hauses“ ist heute vergessen und wird im heutigen Museum (wo das “Schicksal” der Juden in München durchaus thematisiert wird)  nicht weiter groß thematisiert, auch nicht, dass die meisten Privathäuser der Nachbarschaft ebenfalls jüdisches Eigentum waren, wie eben die beiden direkten Nachbarhäuser, von denen heute nur eines noch steht. Haus 43 gehörte bis zur „Enteignung“ durch die Nazi, dem aus Wittelshofen bei Ansbach stammenden Julius Freundlich (1853-1937), der mit seinem Bruder Moritz eine erfolgreiche Holzgroßhandlung betrieb, für die er als  königlicher Kommerzienrat ausgezeichnet wurde. Auf der anderen Seite war Haus 47, das dem königlichen Hofantiquar Jacques Rosenthal gehörte. Er selbst wohnte im dritten Stock seines Hauses, direkt über der Wohnung seines Sohnes Erwin, der Kunsthistoriker war. Im Parterre befand sich das Buch- und Kunstantiquariat der Rosenthals, während im ersten Stock der Reichsfinanzrat Dr. Klemens Busch wohnte. Ganz oben, im vierten Stock war das Atelier des Kunstmaler Ludwig Butz. Das Haus Brienner Straße 51 gehörte den Lämmles, die im Erdgeschoss ebenfalls ein Antiquitätengeschäft betrieben, Haus 48 auf der anderen Straßenseite gehörte bis Mitte der 1930er dem gleichfalls jüdischen Industriellen Franz Hesselberger (aus der fränkischen, auch in Augsburg präsenten Hopfen-Familie) und bot auch dem Kunsthändler Heilbronner Räumlichkeiten. Haus 52 war im Besitz der aus Augsburg zugezogenen Familie Wortsmann, die dort ein weiteres Möbelgeschäfts betrieben und einen zweiten Laden für das Damenmodegeschäft der Rothschilds ermöglichten. Die Liste ist erheblich erweiterbar, aber es dürfte klar geworden sein, dass die Münchner Nazihochburg bis dahin eine jüdische Domäne war, in der Kunst und Antiquitäten vorherrschten. Dass es Hitler, den “Kunstmaler” gerade hier hin zog, scheint kein Zufall, auch wenn sein Kunstverständnis und das seiner Genossen offenkundig ein anderes war.

Haus der Deutschen Kunst München Ausstellung 1937 homoerotische Skulptureneigenartige Nazi-Kunst (München, Haus der Deutschen Kunst, 1937)

Das „Braune Haus“ wurde 1945 zerstört, die beiden „Tempel“ zwei Jahre später von Amerikanern gesprengt, ob die jahrelang verehrten Nazigräber erneut exhumiert wurden oder heute noch bestehen, ist den Angaben vor Ort nicht zu entnehmen, lediglich, dass die Fundamente der „Tempel“ noch vorhanden sind. Bei der zeitgenössischen, „historischen“ Betrachtung, die heute insbesondere auf den Kontrast zwischen klassischer und nazistischer Inszenierung abzielt – im Eckhaus an der Arcisstraße, von Hitler als „Führerbau“ verwendet, gibt es mittlerweile übrigens die Ende der 1920er gewollte Kunstschule – spielt die jüdische Vergangenheit der noblen Nachbarschaft keine Rolle.

München NS Dokumentationszentrum Ehrentempel Sockel ÜberrestÜberrest eines der “Ehrentempel” – Fundamente beim NS Dokuzentrum

NS Dokumentationszentrum Treppebewusste Anspielung auf die Nazi-Ästhetik ..?

Nach langen Jahren strittiger Debatten darüber, wie und ob man mit dem „Erbe“ und der „Geschichte“ umgehen wollte, entstand das im Sommer 2015 eröffnete (eingeweihte?) neue „NS-Dokumentationszentrum“, mit der „Dauerausstellung: München und der Nationalsozialismus“ und wechselnden Sonderausstellungen, aktuell gerade „erfasst, verfolgt, vernichtet – Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“. Im Gebäude inbegriffen sind ein Lernforum, ein Auditorium mit Cafe und ein schmaler Buchladen, eine weitere Filiale der  „Literaturhandlung“ (die man von jüdischen Museen in München, Fürth, Augsburg, usw., oder früher noch von der Fürstenstraße her kennt). Instruktionen sind auch in Blindenschrift vorhanden (sogar mehrsprachig), es gibt Audioguides und mehrsprachige Türbeschriftungen, ab und an sogar auch auf Hebräisch (הו, כמה יפה).

NS Dokumentationszentrum München Fenster

Der Stil des Museum genügt selbstverständlich den Ansprüchen und Prämissen der modernen Museumspädagogik und setzt dabei auf karge, sachliche Distanz und Raumwirkung, verbunden mit Beleuchtungs- und Medieneffekten. Ob gewollt oder nicht, entspricht dies durchaus der Ästhetik der Nationalsozialisten, wie man in der Ausstellung anhand diverser Ausstellungsobjekte auch wiederum unschwer nachvollziehen kann, etwa in der Ausstellung „Deutscher Kunst“ in München im Jahre 1937. Offenbar sollen sie dann aber doch schon eher imposant und monströs wirken und nicht unbedingt kleingeistig und spießig, diese Nazis. Ob das den “historischen Kern” wirklich trifft und ob man damit nicht eher dem Propagandaeffekt aufsitzt und weiter tradiert, lässt sich fragen, aber nicht objektiv beantworten.

NS Dokumentationszentrum Luftkrieg AusstellungstafelDurchaus gelungen sind Darstellungen wie diese, die vor dem Hintergrund einer zerbombten deutschen Straßenszene (ob sie tatsächlich München zeigt, kann man nur erahnen) den Kontext zu vorhergehenden Freudennachrichten über deutsche Bombardements im Ausland einblendet, wodurch auch dem dümmsten Betrachter der Zusammenhang ersichtlich werden müsste.

American Soldier carry away Hauptstadt der Bewegung Munich MünchenOn the spot of the former “Brown House”, the headquarter of Hitler’s Munich based Nazi Party last year opened a museum which depicts (not only) the local Nazi history, but misses somehow to point out that the building proper as well as most of the other private houses in the Brienner Str. had a Jewish past, not far from the “American House” at Karolinenplatz, where now are restorations works underway as well.

America House Munich restoration workshistory always has a previous history


Hitler in Landsberg

December 31, 2015

Dass Hitler in Landsberg im Gefängnis saß, ist allgemein bekannt. Etwas unklarer ist es schon, wenn damals aufgenommene Bilder seine Haftentlassung”vor der Festung Landsberg” zeigen wollen. Namentlich ist damit die heutige Justizvollzugsanstalt (wo heute angeblich u.a. Uli Hoeness ist) gemeint, doch die Bilder zeigen nicht das Gefängnis, sondern das um 1425 gebaute, keineswegs unbekannte Landsberger Bayertor.  Warum es zu dieser Verwechslung (?) kam und immer wieder kommt, ist unklar, liegen die beiden Bauten nicht nur zeitlich und stilistisch etwas auseiander, sondern sind auch räumlich je nach Laufweg 1.5 – 2 km voneinander getrennt. Wie vieles was die Nazi betrifft, wird es nicht weiter relevant sein, aber mit einem Packen Hitler-Bilder in der tasche in Landsberg fällt es eben auf, wenn damalige Text-Unterschrift nicht zur heutigen Realität passen.

Hitler in Landsberg am BayerntorDas Hitler-Bild ist zweifelsfrei am Bayertor entstanden und nicht vor dem Gefängnis wie allgemein behauptet. Man beachte, dass Hitler auf dem Bild eine Hose trägt, während er in der anderen Einstellung nur eine Art Strumpfhose trägt. Vielleicht sind die Bilder, die “Hitlers Entlassung aus der Haft” thematisieren sollen, an unterschiedlichen Tagen entstanden.

Hitler Landsberg BayerntorAndere Pose, andere Hose, Adolf Langstrupf

Bayertor Landsbergfamous Bayertor gate in Landsberg

Justizvollzugsanstalt Landsberg prisoneigentlich nicht verwechselbar: JVA Landsberg

It is widely known that Hitler was inprisoned in Landsberg. There also are pictures showing him “leaving the prison”. However they actually show him not in front of the prison, which stills exists in is still in use, but in front of the most famous medieval gate, the Bayerntor (Bavaria or Bavarian gate – which also had some importance for medieval Jews), which not only is different in style but alos about a mile away. Why most commentators mix that up is as unclear as the fact that there also are different “Hitler in front of the prison (resp. the medieval gate)” – pictures, in one occasion Hitler wears some sort of pantihose.

Most likely nothing important anyway, but if you have a stack of old Hitler pictures with you walking in Landsberg …


What “BDS” actually means

July 10, 2015

“BDS” the so called Israel-boycott “movement”, run by duplicitous people who ask not to boycott any other country in the world. Wonder why they just want to single out the Jewish state? Here comes the rather unpleasant explanation:

BDS explained

BDS explained: blind, dense & sickening


Eine jüdische Episode am Gut Bannacker im Süden von Augsburg

April 27, 2015

Am südwestlichen Ende Augsburgs nahe Bobingen befindet sich der 1972 eingemeindete Stadtteil Bergheim und mit ihm auch der bei vielen Augsburgern wenig bekannte Weiler Bannacker. Dieser ist benannt nach einem Gutshof, der bis 1930 im Besitz der Familie Fugger-Babenhausen war, von 1930 bis zur „Arisierung“ aber den jüdischen Konvertiten Weininger gehörte und seit wenigen Jahren nunmehr als Veranstaltungsort für Konzerte im Rahmen des „Mozart@Augsburg“ Festivals wachsende Beachtung findet. Zeit also, um die zwar kurze, so aber doch durchaus illustre „jüdische“ Episode am südlichsten Punkt von Augsburg etwas nähere zu beleuchten, zu deren Facetten mit Privatflugzeugen eintreffende Weltstars ebenso gehörten, wie auch verängstigte jüdische Jugendliche, die im temporären zionistischen Schulungslager auf die Schnelle landwirtschaftliche Fähigkeiten erwerben mussten, um in Israel eine vage Zukunft vor Augen zu haben.

Bannacker Augsburg Bannackerstr Oberschönenfelderstr

Das Herrenhaus wurde von dem Johann Gottlieb von Süßkind  (1767-1849) errichtet, der aus dem etwa 20 km südöstlich von Stuttgart gelegenen Nürtingen stammte. Der lutherische Bankier war in Augsburg zunächst für die gleichfalls christlichen Bankiers der Familie Halder (nach welcher die Augsburger Halder-Straße benannt ist in welcher sich die Synagoge befindet) tätig und war während der Napoleonischen Kriege durch Wechsel- und Spekulationsgeschäfte zu exorbitanten Reichtum gekommen und galt als „reichster Mann Schwabens“. Süßkind wurde 1821 vom bayerischen König Maximilian I. in den Freiherren-Stand erhoben und erwarb in den Folgejahren zahlreiche Landgüter, darunter das Schloss  Haunsheim bei Lauingen, das fränkische Barockschloss Dennenlohe bei Ansbach und das der Schloss der Fugger im schwäbischen Dietenheim. Den Weiler Bannacker, in dem sich zuvor nur wenige Gehöfte und eine kleine Kapelle befanden, ließ er zum Landschloss mit Herren-haus und Stallungen ausbauen. Seine Erben verkauften den Besitz jedoch an die Familie Fugger-Babenhausen, die den Gutshof  Bannacker 1930 an Richard Weininger veräußerten.

mehr: Die Weiningers – eine jüdische Episode am Gut Bannacker im Süden von Augsburg

Bannacker Augsburg

The Weininger Days in Bannacker – from celebrities to Zionists at the South end of Augsburg

In the southernmost end of Augsburg is the hamlet Bannacker (lit. “banned field”). Almost two hundred years ago the Christian banker Johann Süßkind built a large manor house with some stables, the estate Bannacker. By 1860, the heirs sold the property to the Fugger Babenhausen family. The Fugger however in 1930 sold it to the entrepreneur Richard Weininger from Berlin, a converted Jew, whose older brother, the philosopher Otto Weininger in 1903 at the age of 23 had committed suicide in Vienna after publishing a number of highly controversial and fierce misogynist and anti-Semitic books that were bestsellers and made him a person of sensational international fame.

Richard Weininger and his wife established the Bannacker estate as meeting place for the international high society, where musicians, actors, politicians, aristocrats, industrialists and other celebrities organized private golf and polo tournaments, to which the VIPs arrived with their  luxurious limousines or even with their own sport aircrafts at the existing private Bannacker airport.

However, given the racial fanaticism of the Nazis, the celebration days were counted on Bannacker because although Hitler had great respect for Otto Weininger, “the Protestant baptized Jew who committed suicide out of decency”, the local Nazis, of course did not oversee the “detail”, that his brother Richard Weininger, who himself at the age was baptized as well, had Jewish parents in Vienna.

In the Olympic year of 1936 the Weininger couple, up to now German patriots, allowed the temporary placement of a camp for youth Zionist pioneers in a house of their estate, where the youngsters were rather improvised were (re-)educated for garden- or farm work, maybe useful in Eretz Israel. Many of the Zionist youngsters however did not arrive the Holy Land, but the Concentration camps of the Nazi. After the games the policy of the Nazis intensified again and so now also the Bannacker property was “aryanized” and thus the short Jewish episode in the very South of Augsburg came to an end.

Today, after several decades and years of slumber, with the organization of classical Mozart concerts some kind of social life returns to Bannacker, although of course at least so far it cannot keep up with the international splendor of the Weininger Days at the estate.


Schwäbisches Museum: von Ruhm und Ehre und “Ordnung in der Judenfrage”

July 21, 2013

Im idyllischen schwäbischen Bauernhof-Museum Illerbeuren gibt es auch ein kleines Museum, welches anhand einiger weniger Ausstellungsstücke die Vergangenheit der Region vom Ersten Weltkrieg bis zur Zeit des sog. “Wirtschaftswunders” der 1950er Jahre passieren lässt. Dazu gehört beispielsweise ein Plakat welches über die “Kriegsgebote des Kartoffelbauers” informiert, u.a. “Halte die Kartoffel unkrautfrei…”

Eine gerahmte Urkunde mit Passbild informiert, dass Xaver Gruber aus Kronburg, geboren am 17.4.1898 von 1916 bis 1918 “Mitkämpfer im Ringen um des Reiches Bestand und des deutschen Volkes Ehre und Ruhm” war. Eine alte schwarz-gelbe Werbetafel plädiert: “Das Geld des Dorfes dem Dorfe! – Spart bei Eurem Darlehenskassenverein“. Es gibt auch ein paar Gegenstäde zu sehen: Auf einem Schrank ein Grammophon z. B., daneben auf einem weißen Deckchen ein Krug und eine Art Mandoline … ein paar ältere Trachten der Kronburger Tanzgruppe (1948 ..?), eine Eisdielen-Einrichtung mit Musikbox, mit Motorroller und dergleichen. Etwas hiervon, etwas davon, im Sinne von “nett”.

Hitler mit Kind in Illerbeuren MuseumKinderfreundlicher Hitler im schwäbischen Illerbeuren

Die Nazizeit wird auch nicht verschwiegen, aber in eher einfältig unschuldiger Weise präsentiert. In einer Vitrine sind mit einen herzlichen, fürsorglichen mit Kind dargestellten Hitler  (wohl) originale Propaganda-Plakate angeordnet die  heroisch für “Harte Zeiten, Harte Pflichten, Harte Herzen” werben, aber aber auch Karrieretipps  geben: “Vom Hitlerjungen zum Offizier des Heeres, Dein Weg!”

Hitlerjugend Wehrmacht Plakat Bauernhofmuseum Illerbeuren

Darunter liegt am Boden der Vitrine nun ein rotes Büchlein mit dem Titel “Ordnung in der Judenfrage“, als dessen austrofaschistische Verfasser  “Emmerich Cermak”  (gest. 1965) und “Oskar Karbach” ausgewiesen sind.

Was nun hat das Bauernhofmuseum im Juli 2013 mit einer “Judenfrage”  zu tun?

Waren die Initiatoren oder ihre Eltern in der Hitlerjugend und haben Karriere in der Wehrmacht gemacht? Haben Sie im Allgäu die “Judenfrage” geordnet? Erklärungen über Kontext und Motive fehlen.

Ordnung in der Judenfrage Czermak Karbach Illerbeuren Museum

Direkt gegenüber befindet sich jedoch eine weitere Vitrine … mit einer (vermutlich) originalen Bronzebüste von … genau: Adolf Hitler. Dahinter (!) haben die Macher ein Schwarzweiß-Photo vergrößert und für die Büste als Rückwand platziert, auf welchem nun allen Ernstes KZ-Häftlinge zu sehen sind, offenbar in einer Baracke. Auch hierfür fehlt eine Erklärung.

Ein Plädoyer dafür, dass unter den Häusern, Hütten und Schuppen die auf dem Gelände des Bauernhof-Museums zu sehen sind auch eine KZ-Baracke nicht fehlen sollte, da durch die vielen KZ-Außenlager überall es zur Geschichte der Region gehört?

So ist im Rahmen der Gesamtkonzeption der Kontext unverständlich. Wird es demnächst, analog zu Rindern und Schafen ein Gehege mit Hitler-Jungen geben ..?

Für Aufmärsche mit Musik jeden Morgen um 5 Uhr 45 ..?

Hitler-Büse Kz-Häftlinge Illerbeueren MuseumArrangement im Museum: KZ-Gefangene mit Hitler-Büste

???????????????????????????????“Nazi-Schrein” in Illerbeuren


Ferdinand Wertheimer (1817-1883)

January 6, 2012

Ferdinand Wertheimer was a member of the Upper Austrian Landtag in Linz, he also was landlord in Ranshofen and honorary citizen of three places Ried, Ranshofen and Braunau in the Inn-Viertel (famous region south-east of the Inn river in Austria), since he connected the small towns as railroad pioneer to the modern world. The later mentioned place Braunau / Inn at the Austrian-German border actually was the birth place of Adolf Hitler, who in 1889 also was baptized in a church which then was in possession of the Jewish Wertheimer family. Ferdinand Wertheimer also initiated the railroad connection between Braunau and Munich, obviously used by the young Hitler.

Ferdinand (Joshua) Wertheimer was the grandson of Bernhard  Ulmann (Ber Ulmo) of Pfersee and an offspring of famous rabbi and court agent Samson Wertheimer and his son Wolf Shimon Wertheimer who as Ferdinand is buried at the Jewish cemetery of Pfersee/Kriegshaber. However he was raised by his stepmom Babette, the sister of Isidor Obermayer. Fedinand studied chemistry and was influenced by famous Prof. Liebig, he also was a succesful cattle breeder, beneficient to parentless children as well as a patron of arts, fire fighter, as town councilman and member of the local parliament he was a liberal politician as well as a traditional (Greeks put it “orthodox”) Jew … and many more. His grandson Egon Ranshofen-Wertheimer (a Roman Catholic) was part of the short-lived Bavarian Soviet Republic, but also worked for the Geneva based League of Nations and after the war for the United Nations in New York. As columnist he was a fierce opponent of the Nazi Regime in Germany, led by Hitler who has stolen his birth house in Ranshofen Braunau.

His memory however is almost entirely faded, so we put him as first part of a new series of articles on portraits of Augsburg Jews.

Der Pionier Ferdinand Wertheimer  (11 pages short biography in German)

Ferdinand Wertheimer ist am jüdischen Friedhof von Pfersee/Kriegshaber bestattet. Sein Grabmal, wie das seiner, oft fälschlich für seine leibliche Mutter gehaltenen Stiefmutter, wurde von den Nationalsozialisten gründlich zerstört, möglicherweise auf “höheren Befehl”. Ferdinand Joschua Wertheimer war nämlich nicht nur Gutsbesitzer in Ranshofen (seit dem “Anschluss” 1938 ein Teil von Braunau), sondern hatte als Eisenbahn-Pionier auch die Orte Ried und Braunau an die Moderne angeschlossen, wofür er nicht nur in Ried und Ranshofen, sondern auch in Braunau mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet wurde.  Er besorgte auch die womöglich verhängnisvolle Bahnlinie Braunau-München, die der spätere Diktator bekanntlich benutzte.  Adolf Hitler wurde zusätzlich zu all diesem in der Kapelle katholisch getauft, die von Ferdinand Wertheimer mit dem ehemaligen, 1811 aufgehobenen Chorherrenstift erworben wurde. Es ist kaum vorstellbar, dass Hitler nichts über den Ehrenbürger seiner Geburtsstadt und Eigentümer seiner Taufkappelle gewusst haben sollte.

Ferdinand Wertheimer ist anders als sein katholischer Enkel Egon, nach dem in Braunau 2007 ein Preis benannt wurde, weitgehend vergessen, ganz zu Unrecht, weshalb wir ihn, der liberaler Politiker, Feuerwehrmann, orthodoxer Jude, Chemiker, Rinderzüchter, Journalist, Mäzen, Theaterintendant und manches andere war, zum ersten Teil einer neuen, in loser Folge erscheinenden Folge von Portraits  Augsburger, österreichisch- oder bayerisch-schwäbischer Juden der letzten tausend Jahre nehmen wollen.


Von Martin Luther und seinen Lügen

July 27, 2010

Zugegeben, der Titel liest sich für manche wohl etwas ungewohnt, kehrt er doch eine Schrift aus dem Jahr 1543 namens „Von den Juden und ihren Lügen“ von Martin Luther (1483-1546) um. Luther war der Begründer der nach ihm benannten Kirche, der Lutherischen Kirche, deren “Weltbund” (Lutheran World Federation = LWF) seit kurzem von dem Palästinenser Munib Younan geleitet wird, der den Staat Israel mit der südafrikanischen “Apartheid” gleichsetzt und Israels Politik als „Sünde gegen Gott“ bezeichnet. Dass nun Younan in Stuttgart zum Vorsitzender der Lutheraner gewählt wurde, ist sicher kein Zufall, wenn man die Ansichten des Urdeutschen Martinus Luther zu “den Juden” besieht.

Kurz gefasst war Martin Luther ein fanatischer Judenhasser, der sie, „die Juden“ mit ihm, „dem Teufel“ gleichsetzte. Er unterstellte Juden pauschal Räuber und Betrüger zu sein. Dass er sich dabei nicht gegen ein, zwei Leute richtete, mit denen jeder mal schlechte Erfahrungen machen kann, oder vielleicht selbst nur einen schlechten Tag hatte oder zwei, geht aus seinen dann doch sehr zahlreichen Verleumdungen gegen Juden hervor, die er über Jahre und Jahrzehnte hinweg immer wieder publizierte. Er diffamierte Juden tatsächlich wo er konnte, und zwar pauschal, wie gesagt. So schrieb er bereits 1526 „1400 Jahre sind die Juden unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen.“ Unter Berufung auf Luther hatten politische Antisemiten (die als sog. ein Thema – Partei jahrelang im Reichstag saßen) im späten 19. Jahrhundert daraus den Slogan „Die Juden sind unser Unglück“ verkürzt gebastelt, der auch zum Motto von Julius Streichers Verleumdungspostille „Stürmer“ wurde. Ihr Vorbild Luther nannte Juden unentwegt „Teufel“ und sagte, dass er sie „am liebsten eigenmächtig umbrächte.“

Luther Augsburg St. Gallus 21 Oktober 1518

Martin Luther Tafel bei St. Gallus in Augsburg: … einst selbst auf der Flucht

In seiner „Lügen“-Schrift forderte er schrill dazu auf, Synagogen und Schulen zu verbrennen, jüdische Häuser zu zerstören und die Juden „wie die Zigeuner“ in Ställen wohnen zu lassen. Ferner wollte er den Juden den Talmud und ihre Gebetbücher “wegnehmen”, ihren Rabbinern das Lehren verbieten, Juden generell freies Geleit untersagen, ihren jedes Bargeld und Schmuck nehmen, und sie schließlich zur Zwangsarbeit verdammen.

Wenn moderne Historiker darin das Nazi-Regime vorweg erkennen, ist das wohl keine sonderliche Gehirnleistung, erforderte aber bei den betroffenen Anhängern des Verleumders bis in die letzten Jahre einige Anstrengung und Überwindung. Wie will man auch damit umgehen, wenn der eigene Prediger der Rechtschaffenheit “plötzlich” als “Wegbereiter des Holocaust” porträtiert (und öffentlich diskutiert!) wird. Nichts das daran irgendetwas Neues wäre, man hatte sich doch früher ganz ausdrücklich dazu bekannt, mit Unmengen von Stolz und lautem Geschrei und nicht nur die wesentlichsten Nazi-Führer haben sich dabei auf Luther berufen, so auch Hitler, Goebbels und Streicher, sondern Lutheraner landauf, landab.

In einer weiteren Schrift stellte Luther 1544 fest, dass es nicht seine Absicht ist, Juden zu bekehren, sondern den „Deutschen Historien“ aufzuzeigen, „was ein Jude sey“ und dass die Warnung vor ihnen „vor dem Teufel selbst zu warnen“ ist: „nicht um die Juden zu bekehren, welches eben so nützlich ist als den Teuffel zu bekehren.“

Luther des Teufels Dudelsack von Erhard Schön 1536… und als “Dudelsack des Teufels” (1536) verspottet: Luther-Kopf

Viele Luther-Apologeten versuchen seine Äußerungen unvermeidlich schönzureden, hängt ihr sonstiges Weltbild doch nicht unwesentlich von ihm und seinen Lehren ab. Eine dieser Sinnestäuschung besteht in der Behauptung, dass der frühe Luther den Juden durchaus “wohlgesonnen” gewesen sei, dann aber enttäuscht darüber war, dass sie sich vom ihm nicht zum wahren Christentum bekehren ließen. Auch sei er, trotz seiner zahlreichen, pauschalisierten, Juden verteufelnden Ansichten “im Grunde kein Rassist” gewesen, da er sich in seinen Schriften ja sogar auf einen angeblichen konvertierten Juden berufen habe. Gemeint ist Antonius Margaritha, der ein Sohn des letzten mittelalterlichen Regensburger Rabbiners gewesen sein will und 1522 zum Christentum übergetreten war, um ein Enthüllungsbuch mit dem Titel „Der gantze jüdisch Glaub“ zu verfassen. Das Werk wurde 1530 in Augsburg gedruckt, jedoch gelangte der Autor dort auch in Haft, da der jüdische Gelehrte Rabbi Josel von Rosheim (den Luther sich übrigens weigerte zu treffen!) den Fälscher anzeigte und öffentlich nachwies, dass er zahlreiche erfundene und verfälschte Aussagen als jüdische in sein Werk setzte, um die Juden zu verleumden. Schon damals als Fälschung entlarvt, spricht nichts wirklich dafür, dass es sich tatsächlich um einen Juden handelte, der zum Christentum übertrat, vieles deutet aber darauf hin, dass er mit diversen Wendungen ansatzweise vertraut war, und wohl ein christlicher Diener der Regensburger Juden war oder wahrscheinlicher um einen Pfaffen aus der neidischen Nachbarschaft.

Wie dem auch sei, weil Luther diesen Autor zitierte, konnte er wohl kein Rassist und Antisemit sein. Ganz so als würde ein Antisemit “niemals” Verleumdungen über Juden zitieren, die von sog. “Kronzeugen” stammten? Ganz so als ob Antisemiten an sich rechtschaffene Leute wären, die nur lautere Methoden nutzten.

Es ist im Grunde sehr erbärmlich, solche Argumente zu benötigen.  Aber das liegt nur daran, dass man derzeit Hass auf Juden als Schande sehen muss. Aber der Nahe Osten bietet aktuell und in Zukunft offenbar den Ausweg aus dem Dilemma. Und so ist es unter der neuen palästinensischen Schirmherrschaft der Lutheraner auch kein Wunder, dass sich zumindest schon auf Arabisch und Englisch Antisemiten wieder auf Luther und seine Lügen über die Juden berufen. Wie die Lage einzuschätzen ist, ergibt sich daraus sicher eine neue eigene Dynamik unter den frommen Lutheranern und Israel als postuliertes Feindbild.

Yehuda Shenef 2009 Gelber Ring yellow ring AugsburgGelber Ring von Augsburg 1434


Die verwehrten Anfänge

September 15, 2008

 

How was it possible that Nazis in Germany  were able to seize power 75 years ago – seemingly without enormous efforts and what were the circumstances in Augsburg? Taboo breaching questions for decades an exhibition is trying to answer now, without digging to deep into the past.

 

Die am 14.09.2008 eröffnete Ausstellung „Machtergreifung“ in Augsburg. Anfänge der NS-Diktatur 1933 – 1937 und der dazu erschienene Katalogband versuchen Erklärungen dafür zu finden, wie und warum sich der Nationalsozialismus in der Stadtgesellschaft Augsburgs vor 75 Jahren so rasch etablieren konnte. Im Katalog vermerkt Prof. Dr. Andreas Wirsching, dass sich die NS-Diktatur in Augsburg „ohne großen Widerstand durchsetzteohne dass zuvor eine besonders breite nationalsozialistische Parteibasis bestanden“ habe.

Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte des Nationalsozialismus stand „lange Zeit nicht so im Fokus, wie man es bei einer Stadt in der Größe Augsburgs voraussetzen müsste“, konstatierte so auch Dr. Michael Cramer-Fürtig vom Augsburger Stadtarchiv. Zuvor bemängelte bereits Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl in seinem Grußwort im Goldenen Saal des Rathauses, dass es in den sechs Jahrzehnten seit dem Ende der Naziherrschaft, in Augsburg „fast ein Tabu“ gab, sich mit deren lokaler Verstrickung und Ausprägung näher zu befassen und „es offenbar auch eines Generationswechsels bedurfte“, um die kritische Aufarbeitung zu ermöglichen. Beigetragen dazu habe sicherlich „eine personelle Kontinuität“ in vielen Institutionen und Behörden, die eine frühere Auseinandersetzung verhindert habe. Das klingt ungewohnt kritisch, ja mitunter selbstkritisch, andererseits aber auch eher wie eine (vielleicht ungewollte) Begründung für einen Machterhalt alter Seilschaften nach der Kapitulation des Nazi-Regimes, als nach einer Erklärung für den Aufstieg der Nationalsozialisten, dem eigentlichen Thema der Ausstellung. In diesem Kontext stellte Beate Merk, Bayerns Justizministerin fest, dass es gerade auch Richter waren die den Nazis gegenüber erstaunliche Nachsicht übten und sie mit Freisprüchen und milden Urteilen  belegte, während Gegner der Nazis oft verunglimpft und verspottet worden seien. Diese Auffassung lässt sich zwar ohne weiteres anhand zahlreicher Beispiele belegen, jedoch erklärt sich daraus nicht, wie und warum die damaligen Richter so eingestellt waren und welche Voraussetzungen dafür vorlagen. Merk zufolge zeige dies aber, dass „die Institution einer Demokratie alleine nicht ausreicht, um vor politischen Extremisten zu schützen, wenn die Gewaltenteilung nicht funktioniert und die Justiz versagt“. Sachlich ist auch dies richtig, aber welche Lehre sollen wir heute daraus ziehen, wenn in Deutschland anders als etwa in den USA Richter nach wie vor nicht demokratisch gewählt, sondern ernannt werden ..?

Der nächste Redner, Prof. Pyta aus Stuttgart, Autor einer Hindenburg-Biographie, verwies darauf, dass Hitler nicht an die Macht gekommen wäre,  wäre es nach den Bayern und Süddeutschen gegangen – eine Aussage, die vor bayerisch-schwäbischen Publikum gut ankommen musste und zahlreiches bestätigendes Nicken in den Reihen der Zuhörer auslöste. Erstaunlich eigentlich, 75 Jahre danach und ohne Anwesenheit eines damals bereits erwachsenen Zeitzeugen. Zugleich ist es natürlich auch zutreffend, dass „die Würfel in Berlin gefallen sind“, wie Pyta es formulierte. Und hier führte er die Spur auf den Reichspräsidenten Hindenburg, der keineswegs ein seniler alter Mann gewesen sei, sondern genau gewusst habe, was er tat. Hindenburg habe realisiert, dass die Mehrheit der Bevölkerung antidemokratischen Kräften folgte und sei selbst alles andere als ein Freund einer liberal-demokratischen Demokratie gewesen. Hitler schien ihm deshalb als Instrument zur Beseitigung dieses Konstrukts durchaus willkommen, insofern sich dieser selbst beherrschen ließe. In der Tat gehörten Hitlers Kabinett zunächst ja auch nur zwei weitere Minister der NSDAP an.

Obwohl allseits betont wurde, dass das „große Geschehen“  gerade durch die lokalen Bezüge „dem Publikum“ greifbarer und verständlicher gemacht werde, wollten die Beiträge der Redner nicht so ganz zum Ausstellungstitel passen. Und so tat man sich sichtlich schwer damit, Augsburger Besonderheiten herauszuarbeiten und zu verdeutlichen, welche Gefüge vor Ort bestanden.

Wer waren jene, die rasche und Jahre anhaltende Karrieren machten, wer half dabei und wer passte sich an? Wer profitierte im Einzelnen von den sog. „Arisierungen“ und von der Verdrängung jüdischer Bürger in der Stadt? Welche Personen waren es in Augsburg, die Regimegegner denunzierten oder verhafteten, mit „Boykott“-Tafeln vor den Geschäften standen oder für das Reichssippenamt genealogische Studien betrieben oder jüdische Friedhöfe in der Stadt schändeten oder in der sog. „Reichskristallnacht“ früh morgens um halb vier die Synagoge anzündeten und Thorarollen zerfetzten?

Es ist richtig, dass der „30. Januar 1933“ nicht einfach vom Himmel fiel, aber auch die Geschehnisse danach können nicht als „Selbstläufer“ aufgefasst werden und so bleibt die Frage nach „Hitlers willigen Helfern“ (Goldhagen) weitgehend unbeantwortet und unter der anders verstandenen Formel „Wehret den Anfängen“ bleibt „das Tabu“ im Grunde bestehen.

 

Die Ausstellung (im Unteren Fletz des Augsburger Rathauses) selbst bietet, wie Dr. Cramer-Fürtig betonte, nur rund hundert von mehreren hundert verfügbaren Exponaten, der Katalog immerhin die doppelte Menge. Sie boten – gruppiert um teilweise mit Stacheldraht gekrönten Bauzäunen – einen eigentümlichen Kontrast zu den zahlreichen geladenen Gästen, die mit Sektgläsern bewaffnet neben Bildern von Hitler, Naziaufmärschen ,  Photographien der zerbombten Augsburger Innenstadt oder politischen Propagandaplakaten einander zuprosteten und mit sich selbst und der Kontaktpflege beschäftigt waren. Zur nüchternen Betrachtung bleibt freilich noch bis zum 16. November Zeit und im Rahmen begleitender Ausstellungen und Vorträge Gelegenheit.

 

 

 

Katalog zur Ausstellung:

Michael Cramer-Fürtig, Bernhard Gotto (Hg.), Machtergreifung in Augsburg. Anfänge der NS-Diktatur 1933–1937 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Augsburg, Bd. 4), Augsburg 2008.

ca. 420 Seiten mit mehr als 300 Abbildungen, Klappenbroschur, 19,80 Euro, Wißner-Verlag Augsburg, ISBN: 978-3-89639-654-9.