Die Augsburger Juden der Nachkriegszeit

April 19, 2013

Augsburg Synagoge Westseite

Zukunft im Land der ‚Täter‘?“ – Jüdische Gegenwart zwischen ‚Wiedergutmachung‘ und ‚Wirtschaftswunder“ 1950-1969“ lautet die Mittwoch Abend im Jüdischen Kulturmuseum Schwaben-Augsburg eröffnete Ausstellung (Unter der Schirmherrschaft der nicht anwesenden Münchner Gemeindevorsitzenden Charlotte Knobloch), als zweiter Teil der Serie „Leben in Augsburg nach der Katastrophe“, die sich der Nachkriegsgeschichte der jüdischen Gemeinde widmet.

Jüdisches Kulturmuseum Augsburg Schwaben Ausstellung Zukunft im Land der Täter April 2013

Dr. Schönhagen

Theo GandenheimerBürgermeister a.D. Theo Gandenheimer

Dr. Benigna Schönhagen (geb. 1952), Leiterin des Museums und mit der IKG Gastgeberin der Veranstaltung eröffnete die Veranstaltung und zitierte die oft genannten „gepackten Koffer“ und verwies auf Hella Goldfein, die sich in München als Familientherapeutin auch mit Traumatisierungserfahrungen beschäftigt und als Tochter der (in Augsburg bestatteten) Holocaustüberlebenden Meir und Ester Fischl hier aufwuchs. Der ehemalige Augsburger Bürgermeister und langjährige Stadtrat Theo Gandenheimer (geb. 1934) nannte das Ausstellungsthema einen „bislang völlig unbekannten Teil der Geschichte Augsburgs“ und sprach vom „bewundernswerten Mut der Juden sich nach alledem wieder bei uns niederzulassen“. Die 1952 in Dachau geborene Christine Kamm, seit 1990 für die „Grünen“ im Augsburger Stadtrat und seit 2003 im bayrischen Landtag, sagte, die Geschichte der Überlebenden des Holocausts sei „im kollektiven Gedächtnis verloren gegangen“. Die Mitbegründerin des „Vereins der Freunde und Förderer des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg-Schwaben e.V.“  erwähnte ihren Parteikollegen Jerzy Montag (wohl weil dieser neben einer katholischen Mutter einen jüdischen Vater hatte) , berief sich ebenfalls auf die Münchner Diplom-Psychologin und zitierte deren Aussage darüber, dass „die Gedanken der Kinder das Schweigen der Eltern ausfüllte“.

Dr. Andrea Sinn (geb. 1981) sprach als Kuratorin der Ausstellung. Schon als Mitarbeiterin am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität in München beschäftigte sie sich mit Juden, die in der Nachkriegszeit (wieder) in Deutschland lebten. „Nach der Befreiung“, so sagte sie, sei es „für die meisten jüdischen Menschen unvorstellbar“ gewesen nach Deutschland zurückzukehren, weshalb viele „nach Palästina, bzw. Israel“ gingen. Zunächst hätten die Juden in Deutschland keinen Kontakt zu den „Nichtjuden“ gehabt, wohl habe es aber geschäftliche Kontakte gegeben. Zur Zeit des Wirtschaftswunders hätten so auch einige der Juden selbst wirtschaftliche Erfolge erzielen können. Ein Beispiel dafür nannte schließlich auch der Vorsitzende des Stiftungsrates des Museums Dr. Georg Haindl (geb. 1956) und Sohn des Papierfabrikanten Georg Karl Maria Haindl (1914-1970), der wikipedia gemäß dem auf die Kreuzfahrer zurückgehenden „Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem“ (Ordo Equestris Sancti Sepulcri Hierosolymitani) angehörte. Haindl verwies auf Gustav Einstein, der im Besitz der Unterbaarer Schlossbrauerei war, von den Nazis enteignet wurde und in der Nachkriegszeit wieder zu seinem Besitz kam. Der heutige Besitzer der Brauerei habe für die Veranstaltung so auch einiges Bier gespendet, womit sodann auch bereits zum Büffet übergeleitet wurde …

christine kamm grüneChristine Kamm, Grüne Augsburg

Dr Andrea Sinn Kuratorin Jüdisches Kulturmuseum AugsburgDr. Andrea Sinn, Jewish Museum Augsburg

Dr Georg Haindl Stiftungsrat Jüdisches Kulturmuseum AugsburgDr. Georg Haindl (III.) Augsburg

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Der Titel der Ausstellung, wurde bereits von den Festrednern in Frage gestellt – damit aber noch nicht in Abrede. Die in manchen Passagen weinerlich anmutenden Stimmen mancher Redner zeugen davon, dass trotz aller Beschwörung einer „Normalität“, sich diese (wenigstens in diesem Rahmen) nicht einstellen will und die Gemüter bis auf weiteres beunruhigt bleiben. Man wählt die Worte ganz behutsam, immer darauf bedacht, keinen Argwohn zu wecken. Obwohl auch gerade Museen mittels ihrer limitierten (nicht selten auch nur zufällig erhaltenen) Dokumente, Modelle und Schnappschüsse fraglos nicht die Alltagswirklichkeit (von in diesem Fall: zwei Jahrzehnten) darstellen können, stapeln sich doch vorsorgliche Entschuldigungen und werden auch bewusst angesprochen, etwa, dass die Ausstellung „keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben“ wolle. Etwas anderes zu erwarten, wäre ziemlich albern, weshalb die Beteuerung wie so oft unsicher wirkt, bewusstseinsgespalten und aufgesteckt.

Formulierungen wie „Tätervolk“, „Land der Täter“ „… der Opfer“, „.. der Taten“ und dergleichen sind seit Jahren, bald schon wieder Jahrzehnten gebräuchlich und kontrovers und noch nach jeder Diskussion sind sich die meisten Diskutanten in etwa darüber einig, dass man nicht pauschalisieren dürfe, solle, könne. Ans Banale grenzende Einsichten dieser Art vorauszusetzen erscheint dann aber offenbar zu anspruchsvoll und vielleicht hat man sich auch deshalb auf Begriffe wie „Erinnerungsarbeit“ verständigt. Dass Fachkreise ihr eigenes Vokabular (er)schaffen, um ihre Wirklichkeit zu beschreiben, ist eine nicht minder geläufige Beobachtung der Linguistik.

Ansonsten dominiert “sowieso” (wie die Schwaben sagen) ganz allgemein der psychologische Zugang zum Thema. Und wo man, bei Bedarf eine Straße einfach überqueren könnte, konstruiert man kunstvolle Wendeltreppen, die verschiedene Perspektiven auf die Straße bieten und ermöglich sie von oben “objektiv” zu betrachten. Wie gut also, dass sich gerade die „zweite Generation“ Therapien zugänglich machen lässt. Θεραπεία heißt eigentlich „Dienen“ und so sind Kunsttherapien und dergleichen gewiss auch (zweck)dienlich.

Von der „Heimkehr der Unerwünschten – eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945“ sprach bereits das auch schon wieder vor über zwei Jahren erschiene Buch des 1974 geborenen Olivier Guez, das bei einem Preis von 64 Euro offensichtlich nicht zu viele Leser haben sollte, aber vielleicht in Augsburg doch welche fand und somit wohl auch Anregung geben konnte. „Rückkehr unerwünscht“ titelte aber bereits 1978 ein Buch von Joseph E. Drexel (1896-1976). Details.

Als „Unerwünschte“ wurden Juden in Augsburg nun nicht vorgestellt, stattdessen schilderte man einen Konflikt zwischen der recht kleinen Gruppe zurückgekehrter Augsburger Juden und Verschleppten aus Osteuropa. Diese hätten zwei Gemeinden gebildet und erst nach jahrelangen Auseinandersetzungen zueinander und zur heutigen Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg gefunden. Selbstverständlich wurden auch die erwartbaren Schwierigkeiten mit den schätzungsweise insgesamt etwa 117 mal erwähnten „Nichtjuden“ nicht verschwiegen (aber auch nicht präzisiert, obwohl es da einiges sehr Aufschlussreiches zu berichten gäbe ..!).  Begriffstypisch entspricht dies Nichtrauchern oder Nichtschwimmern, quantitativ ist die auch in Augsburg fast unüberschaubare Gruppe weitgehend deckungsgleich mit der der „Nichtbuddhisten“. Auch hier ist die „Begrifflichkeit“ wieder mit Bedacht gewählt, denn das „Nicht-…“ soll hier nicht ausgrenzen, wie ein „Un-„ (Mensch, Tier, Vermögen, …). Unerwünscht wäre allenfalls “das Judentum” also (sog. “Orthodoxes” solches), eine Gefahr, die aber wohl nicht besteht. Was soll man denn auch einwenden wollen gegen “gebildete Leute” , die Mozart, deutsche Kultur und Sauerkraut mögen oder den FC Bayern München?

Unterbaar Schlossbrauerei Einstein Bier Emblem 1955

Der aus Buttenwiesen stammende Gustav Einstein (1882-1960) war von 1925-1933 im Besitz des Schlosses und der Brauerei in Unterbaar (heute mit Oberbaar zu Baar zusammengefasst, bei Thierhaupten, irgendwo zwischen Meitingen und Pöttmes, 30 km nordöstlich von Augsburg). Erworben hatte er es von den aus Freiburg stammenden Gebrüdern Himmelsbach, die mit Holzverarbeitung ein Vermögen machten, sich dann aber im Wortsinn verspekulierten und Pleite waren. Der “arisierte” Betrieb wurde von Hans Emsländer übernommen, der die Brauerei 1955 wieder an Einstein zurückgeben musste. Einstein starb im November 1960. Seine Erben verkauften Brauerei und Schloss 1963 … Der heutige Eigentüm von Trockau besitzt den Betrieb bereits in zweiter Generation:

www.schlossbrauerei-unterbaar.de

Der Blickwinkel der Ausstellung ist – die Redner hatten es längst verinnerlicht oder wenigstens erkannt – trotzdem einer aufdie Juden“ (und zwar weitgehend im Sinne bloßer Abkömmlinge einer “problematisierten” Abstammung), die nun letztendlich selbst zum Ausstellungsobjekt geworden sind. In gewisser Weise ist damit mein noch in den 1990ern gesagter Satz, dass man als Jude in Augsburgmit einem Bein in der Vitrine …“ stehe, fast Wirklichkeit (im Sinne der durch einen Museums-Besuch gemachte “Erfahrung”) geworden.

Tatsächlich wird es aber noch einen dritten (bis 1985) und einen vierten (bis zur Gegenwart) Teil der Ausstellungskonzeption geben.

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Die Ausstellung ist noch bis 15. September 2013 zu sehen. Dazu erschienen und im Museum für 14 Euro erhältlich ist ein deutsch-englischer “Katalog” (ISBN 978-3-9812246-3-4

(Photos: Margit Hummel)