Jüdischer Friedhof Kriegshaber Hoover Str.

October 19, 2007

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Ein kurzer geschichtlicher Überblick über den jüdischen Friedhof in Kriegshaber 

Der Friedhof bei Kriegshaber wurde als gemeinschaftliches Begräbnisfeld der jüdischen Fagasch – Gemeinden von Steppach, Pfersee und Kriegshaber benutzt, die über lange Zeiten auf vorderösterreichischem Gebiet eigenständige Gemeinden mit Synagogen, Bädern, Rabbinern und Lehrern besaßen. Zeitweilig gehörte auch Schlipsheim und Fischach dem losen Verband an. Im Laufe des 17. bis 19. Jahrhunderts wurden am Friedhof zahlreiche hochrangige und bedeutende Rabbiner und Thoragelehrte und eine hohe Zahl von Angehörigen der berühmten und angesehenen Familie der Ulmo bestattet, die häufiger entsprechende Ämter bekleideten.  

Wann genau der Begräbnisplatz angelegt wurde, ist unklar. Erstmals historisch fassbar wird der Friedhof südlich von Kriegshaber im Jahre 1627, als sich Augsburger Geistliche des Domkapitels am 21. Tischri 5388, angeregt durch die ihnen untergebenen Stadtberger Ortsvorsteher schriftlich beim Oberamt der vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau über stattfindende jüdische Begräbnisse beschweren. Ihr Protest bleibt trotz einer angeblichen „Seuchengefahr“ wirkungslos. Am 13. Sivan 5455, also am 27. Mai 1695 erteilten die Burgauer den Juden eine weitere Genehmigung für den Ausbau des Friedhofs um „15 Schuh“, offensichtlich in östliche Richtung. 1722 kommt es zu einer nochmaligen Erweiterung und zur Errichtung eines Wächterhauses. Letzteres war wegen anhaltender Übergriffe auf das Gelände und Schändungen zwingend erforderlich geworden. Abermals kommt es zu Protesten christlicher Vertreter Augsburgs bei den Burgauern, die dieses Mal einen handfesten Verlauf nehmen. Das im August 1722 errichtete Wärterhaus wird im Oktober von militärisch bewaffneten Eindringlingen zerstört. Die Burgauer reagierten auf die Verletzung ihres Hoheitsgebietes scharf, drohten empfindlich hohe Geldstrafen und entsprechende militärische Maßnahmen an. Unter dem Schutz burgauischer Soldaten wurde der Neubau des Friedhofshauses am Tag vor dem Neumond des Monats Aw 5484 (1724) fertig gestellt. Weitere Erweiterungen des Friedhofs erfolgten etwa um 1765 und die bislang letzte um das Jahr 1802.  

1825 schließlich wurde eine steinerne Ummauerung des Kriegshaber Friedhofs in Auftrag gegeben, für deren Ausführung der Vorsitzende der Pferseer Gemeinde Bernhard Ullmann am 21. Mai 1826, gemäß den Angaben von Louis Lamm (1912) die Summe von 186 Gulden und 38 Kreuzer bezahlte. Diese Mauer wurde, gemäß der Inschrift am Friedhofswärterhaus (deren heutiger Text nicht in allen Punkten der Vorkriegsvariante entspricht) im Jahr 1871 nochmals erneuert. 

In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Eingangstor und Teile der Mauer eingerissen, offenbar um besseren Zugang für den Abtransport von Steinen zu haben. Gegenüber dem noch 1927 archivarisch und photographisch erfassten Zustand kam es zu ganz erheblichen Zerstörungen, die in der Nachkriegszeit nur sporadisch und auf oft fragwürdige Weise kaschiert wurden. Ein Beispiel dafür ist das vor dem Eingang im Sommer 1946 errichtete Denkmal, das aus „herumliegenden“ und „nicht mehr gebrauchfähigen“ Trümmern seltsam passgenau – kein Stein zu viel, keiner zu wenig – zusammengefügt wurde. Wie bis heute (auch in Fachpublikationen, etwa Schwierz 1991) kolportiert wird, soll dies durch vor Ort stationierte US-Soldaten zur Erinnerung an die “Opfer des Holocaust” geschehen sein, wozu am Werk freilich jeder Hinweis fehlt. Tatsächlich aber war es das Gebilde schwäbischer Steinmetze und Bildhauer. Das Denkmal selbst freilich besteht aus Grabsteinen von Menschen, die z.T. lange vor dem Holocaust gestorben waren, falls nicht noch ganz andere Steine beigemischt wurden, um es vervollständigen zu können.

ואתה לך לקץ ותנוח ותעמד לגרלך לקץ הימין

[דניאל יב, יג]

du geh bis zum ende

 und ruhe

und stehe

für dein los

 

 

zum ende der tage

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Daniel 12.13)

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Friedhof Haunstetter Straße

October 19, 2007

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Rambam – über den Umgang mit anderen Menschen

October 19, 2007

Unser erster Text [in eigener Übersetzung aus dem Hebräischen, deshalb © ] aus Rambams Mischne Thora präsentiert das 6. Kapitel aus der Unterabteilung Hilchot Deot die eine Einführung für gutes Benehmen im Sinne der jüdischen Lehre darstellen. Zur Verdeutlichung der genaue verwandten Begriffe wurden an ggf. unklaren Stellen das entsprechende Wort aus dem hebräischen Originaltext, wie auch die entsprechenden zitierten Bibelstellen beigefügt.

 

 

l. Es liegt in der Natur des Menschen kontinuierlich von Gefährten (re‘a) und Kameraden (chawer) beeinflusst zu werden und sich nach der Verhaltensweisen der Leute seines Landes zu benehmen. Deshalb muss er sich mit Rechtschaffenen (zadikim) zusammentun und andauernd bei Weisen (chachamim) leben, damit er von ihren Taten lernt. Im Gegenzug sollte er sich fernhalten von den Selbstsüchtigen die in die Irre gehen, damit er nicht verleitet wird zu ihrem Tun. Das ist es was (König) Salomon ausdrückt: “Geh mit den Weisen und du wirst weise werden, doch wer sich mit Narren verbindet wird leiden.“ (Sprüche 1.20) und: “Glücklich ist der Mensch, der nicht dem Ratschlag des Bösen folgt“ (Psalm 1.1)


Lebt man in einen Land (medina) ist, in welchem die Verhaltensnormen übel sind und die Bevölkerung keinen geraden Weg geht, sollte man an einen Ort (makom) gehen, an dem die Leute Rechtschaffene sind und den guten Wegen folgen. Sollten nun aber alle Länder (medinot) mit denen man vertraut ist und von denen man Berichte hört, dass sie (auch dort) auf unguten Wegen wandeln — wie in unserer Zeit — oder wenn man nicht in ein Land (medina) gehen kann, in dem die Verhaltensmuster gute sind, sei aus militärischen oder aus gesundheitlichen Gründen, so lebt er besser allein in Abgeschiedenheit, wie es heißt (Echa 3,28): “Er soll alleine wohnen und still sein.“ Und wenn (dort) Frevler und Übeltäter sind, und wenn einem dieser Umstand nicht ermöglicht in dem Land (medina) zu wohnen, außer dass man sich unter sie mischt und sich nach ihrer unheilvollen Weise verhält, so ist es besser sich eine Höhle oder Felsspalte zu suchen oder in einer Einöde zu hausen, als selbst auf dem Weg des Frevels zu gehen. “Wer will mir in der Wüste ein Hotel für Gäste geben? (Jeremia 9,11)


2. Es ist eine bejahende Mitzwa (Gebot) sich den Weisen und ihren Schülern beizugesellen (‚anzuhaften’), um von ihren Taten zu lernen, wie es heißt (5. Moses 10, 20): “an IHM wirst du anhängen (‚anhaften’).“ Aber wie ist es einem Menschen möglich, sich der Schechina (Gegenwart Gottes) anzuhängen? Die Weisen (chachamim) erläuterten in der Erklärung (perusch) dieses Gebotes: Hafte dich an die Weisen und ihre Schüler.“ Deshalb sollte man versucht sein, die Tochter eines Gelehrten (talmid-chacham, wörtlich “Schüler eines Weisen“) zu heiraten, mit den Gelehrten zu essen und zu trinken, für sie Handel zu treiben und sich mit ihnen auf alle Arten von Verbindungen einzulassen, wie es heißt (5. Moses 11,22) “um ihm anzuhangen.“ Und so geboten uns unsere Weisen: Sitze im Staub ihrer Füße und trinke durstig ihre Worte.“


3. Es ist eine Mitzwa für alle, jeden Einzelnen in Israel zu lieben, denn es heißt liebe deinen Gefährten wie dich selbst (3. Moses l9.18). Deshalb sollte man Lob aussprechen und sollte sich um ihren Wohlstand (mammon) gleichermaßen sorgen, wie man sich um seinen eigenen und das eigene Ansehen sorgt. Wer immer Anerkennung gewinnt durch die Erniedrigung seines Kameraden (chawer) hat keinen Anteil an der künftigen Welt (ha‘olam ha‘ba).


4. Wer einen Konvertiten (ger) liebt, der gekommen ist, unter die Schechina (Gegenwart Gottes) einzutreten, erfüllt zwei Mitzwot (Gebote): Zum einem, weil auch er (der Konvertit) ein Gefährte ist, und zum anderen, da er ein Konvertit ist und die Thora ausdrücklich betont: liebe die Konvertiten (gerim).“ (5. Moses 10.19) Das Gebot Konvertiten zu lieben, gleicht dem Gebot Gott selbst lieben, denn es heißt auch: liebe den Ewigen deinen Gott(5. Moses 11,1). Der Heilige-gelobt-sei-er (ha‘kadosch-baruch-hu) selbst, liebt die Konvertiten, da es wörtlich so gesagt wird und er liebt den Konvertiten(5. Moses 10,18)

5. Wer immer in seinem Herzen einen aus Israel hasst, übertritt ein verneinendes Gebot, wie es heißt: Hasse nicht deinen Bruder in deinem Herzen.“ (3. Moses 19,17) Man wird zwar nicht bestraft wenn man dieses Verbot verletzt, weil keine Tat inbegriffen ist, jedoch warnt die Thora uns vor dem Hass in unseren Herzen. Wer aber nun seinen Kameraden schlägt oder ihn beleidigt, was ihm natürlich nicht erlaubt ist, verletzt dadurch nicht (zusätzlich) das Verbot “du sollst nicht hassen“.


6. Wenn jemand einem anderen schadet, soll letzterer nicht still halten und ihn verachten, wie es Verächtliche tun: “Und Awschalom redete nicht mit Amnon, weder zum Guten noch zum Schlechten, denn Awschalom hasste Amnon.“ (2. Samuel 13.22) Er ist viel mehr geboten, die Angelegenheit bekannt zu machen und ihn zu befragen: “Warum hast du mir dieses und jenes angetan? Warum hast du mir in der gewissen Angelegenheit zuwidergehandelt?“ So sagt es die Thora: (3. Moses 19.17): “Halte deinem Kollegen (amit) die Vorwürfe vorUnd wenn dieser ihn fragt ihm zu vergeben, so muss er ihm vergeben. Und der Vergebende sei nicht erbarmungslos, wie es heißt: “Und es betete Abraham zu Gott.“ (1. Moses 20,17)


7. Beobachtet man seinen Kameraden (chawer) bei einem Vergehen oder merkt dass er keinen guten Weg einschlägt, so gibt es das Gebot, zu versuchen, sein Verhalten zu verbessern und ihn zu informieren, dass er an sich durch seine verächtlichen Taten auch an sich selbst sündigt, da es eben heißt: Halte deinem Kollegen die Vorwürfe vor“. Macht man seinem Kameraden Vorwürfe in Angelegenheiten die beide betreffen oder in solchen die ihn und Gott angehen, so muss man ihm entgegenhalten, was zwischen sie und uns getreten ist. Man redet mit ihm in aller Ruhe und in freundlichem Ton und klärt ihn darüber auf, dass man es nur zu seinem Guten sagt, um es ihm möglich zu machen, in die kommende Welt zu kommen. Akzeptiert er die Mahnung akzeptiert, ist es besser, wenn aber nicht, soll man ihn ein zweites Mal zurechtweisen und ein drittes Mal. Es ist immer so, dass man ein Mensch zurechtweisen muss, bis der Übeltäter ihn schlägt oder ihm sagt: “ich höre nicht zu“. Und jeder, der es in seiner Hand hat und dem es möglich war zu widersprechen, aber nicht widersprochen hat, ist verantwortlich für das Vergehen, denn es war ihm möglich zuvor zu widersprechen.


8. Wer seinen Kameraden ermahnt, soll ihn dabei nicht schroff oder herablassend ansprechen bis dieser verlegen wird, da es heißt: lade nicht Sünde auf dich wegen ihm.“ (3. Moses 19.17) Die Weisen drückten es so aus: “Vermagst du ihn so zu ermahnen bis sich die Farbe seines Gesichts verändert?“ Die Lehre besagt: „Lade nicht Sünde auf dich wegen ihm.“ Daraus ergibt sich, dass es verboten ist, jemanden in Verlegenheit zu bringen. Entsprechend verhält es sich dann auch in der Menge, d.h. in der Öffentlichkeit. Selbst dann wenn einer der seinen Kameraden in Verlegenheit bringt, dafür auch nicht bestraft werden sollte, ist es doch ein beträchtliches Vergehen. In den Worten unserer Weisen: “Wer das Angesicht seines Kameraden erbleichen lässt, hat keinen Anteil an der kommenden Welt.“ Aus diesem Grunde muss man beachten, seinen Kameraden nicht in der Öffentlichkeit in Verlegenheit zu bringen, gleich ob dieser nun ein kleines oder großes Ansehen genießt. Man ruft ihn auch nicht bei einem Namen, dessen er sich schämt und erzählt keine Sache vor ihm, deren er sich schämt. In welchen Situationen ist das zu berücksichtigen? In allen, die zwischen einem Menschen und seinen Kameraden eintreten können. Betrifft es jedoch Angelegenheiten des Himmels (schamajim), so kann der Frevler in der Öffentlichkeit beschämt werden, insofern er (nach vorhergehenden Ermahnungen) nicht aus seiner Heimlichkeit (seter = Versteck) umkehrt und seine Delikte dürfen publik gemacht werden. Er darf sodann Schmähung, Spott und Entehrung ausgesetzt werden bis er bereut, wie es auch die Verfahrensweise aller Propheten in Israel war.


9. Wird man von seinem Kameraden geschädigt, will ihn aber nicht ermahnen und zu der Sache nichts sagen, weil der Übeltäter ein außerordentlicher Dummkopf (hedjot = Idiot, Ungebildeter) ist oder eine Psychose (Gemütskrankheit) auf ihm liegt und man ihm (deshalb) in seinem Herzen vergibt, ihn nicht hasst und ihn nicht verachtet – dann ist dies tatsächlich nach dem Glauben (daat) der Frömmigkeit (chassidut). Die Thora ist nicht besonders hart (pedantisch), außer mit denen die hassen.


1O. Man soll sich vorsehen um Witwen und Waisen, weil ihr Gemüt (nefesch) sehr unausgeglichen und ihr Geist (ru‘ach) schwermütig sind, selbst dann wenn sie Besitz (mammon) haben. Auch einer Königswitwe und den Waisen müssen wir uns in dieser Art annehmen, da es allgemein: Misshandle nicht Witwen und Waisen.“ (2. Moses 22.21) Wie verhalten wir uns ihnen gegenüber? Man spricht mit ihnen nur freundlich und man verhält sich ihnen gegenüber nur ehrvoll. Man belastet sie nicht mit schwerer körperlicher Arbeit und ihr Inneres nicht mit schwierigen Problemen. Man zeige ihren Geldangelegenheiten mehr Aufmerksamkeit als den eigenen. Jeder, der sie belästigt oder erzürnt, sie verletzt, sie unterdrückt oder ihnen finanziellen Schaden verursacht, übertritt das Gebot. Dies gilt natürlich auch dann, wenn man sie schlägt oder verflucht. Und auch wo nicht alles davon unter direkte Strafen gestellt sein sollte, befällt jene, die sich so missverhalten, was in der Thora geschrieben steht: Ich werde meinen Zorn ausbreiten und ich werde euch mit dem Schwert töten.“ (2. Moses 22.23)
Ihnen, den Witwen und Waisen ist ein Bund (brit) zugesagt und Gott, der sprach und die Welt erschuf, versichert, dass solange wie sie ausschreien, weil man sie bedrückt, ihnen geantwortet wird, wie es heißt: Denn wenn sie eine Klage nach mir ausschreien, werde ich hörend ihren Schrei erhören.“ (2. Moses 22.22): Wann gilt es all dies zu berücksichtigen? Dann, wenn sie jemand zu seinem eigenem Vorteil unterdrückt. Einem Gelehrten ist es jedoch gestattet Druck auf sie auszuüben, um sie die Thora zu lehren oder für ein Handwerk (urnanut, auch: Kunst) anzuhalten oder um sie auf einen geraden Weg zu führen – dies ist selbstverständlich sehr wohl erlaubt. Jedenfalls soll er sie dabei nicht wie andere behandeln, sondern eine Unterschied machen und sie mit Rücksicht, großer Barmherzigkeit und Respekt behandeln, da es heißt (Sprüche 22.22): denn der Ewige kämpft ihren Streit.“ (Sprüche 22.22): Dies gilt zum einem für die verwaist sind von ihrem Vater und zum anderen für die, die verwaist sind von ihrer Mutter. Und bis wann sind Waisen in dieser Weise zu behandeln? So lange bis sie keine erwachsene Person zur Unterstützung, Anleitung und Versorgung brauchen, für sich selbst sorgen und für alle ihre Bedürfnisse in einer Art, wie alle anderen Erwachsenen, sorgen und handeln können.


Lehren des Judentums

October 19, 2007

Unter dieser Rubrik sollen künftig in unregelmäßigen Abständen Texte und Persönlichkeiten zur oder aus der jüdischen Religionslehre vorgestellt werden, die der Allgemeinheit weniger geläufig oder völlig unbekannt oder aber in Vergessenheit geraten sind, aber unser Interesse finden und zur Diskussion anregen. Nicht grundlos stellen wir dabei Rambam, im nichtjüdischen Europa als Maimonides bekannt, an die erste Stelle, der als bedeutendster Kommentator der jüdischen Religionstexte des Mittelalters gilt und dessen Rationalismus nicht nur weite Teile des heutigen Judentums prägt, sondern dessen Schriften auch weit über das Judentum hinaus wirkten.  

Der Name Rambam ist ein Akronym, welches den Namen Rabbi Mosche Ben Maimon verkürzt, was in der jüdischen Tradition eine geläufige Praxis ist. Der nicht minder bekannte Talmudexeget Raschi etwa verkürzt so etwa Rabbi Schlomo Ben Jizchak. Rambam oder Maimon lebte von 1135 bis 1204 und wurde im spanischen Cordoba geboren. Als er 13 Jahre alt war, wurde seine Heimatstadt von den muslimischen Almohaden erobert, worauf hin seine Familie unter den nun einsetzenden Repressalien gegen Juden die Stadt verließ. Nach Jahren des Umherwanderns und weiterer Unterdrückung durch die Almohaden ließ sich Rambams Familie schließlich um 1160 im marokkanischen Fez nieder. Da auch dort die Almohaden Fuß fassten und Juden zwangen, zum Islam überzutreten, emigrierten sie 1165 nach Akko, später nach Jerusalem und Alexandria. Im Jahr 1185 finden wir Rambam als einer der Ärzte des Wesirs des Sultan Saladin, womit sich sein Ruhm als Arzt begründete. U.a. suchte auch Richard Löwenherz seinen Ratschlag. Neben seiner ausfüllenden Tätigkeit als Arzt und medizinischer Berater und Lehrer widmete sich Rambam noch dem Studium klassischer griechischer Schriften, die von jüdischen Übersetzern aus dem Griechischen ins Arabische übertragen wurden und wurde zum Autor zahlreicher medizinischer, philosophischer, linguistischer, religiöser und exegetischer Abhandlungen, Studien und Schriften. Seinen Schwerpunkte legte er dabei nichts desto trotz aber auf die weit verzweigte jüdische Religionslehre, die er systematisch erfasste und ordnete. Sein bedeutsamstes Werk diesbezüglich ist die „Mischna Thora“ („Wiederholung der Weisung“), die um das Jahr 1180 abschloss. Dabei handelt es sich um einen ersten systematisch aufgebauten jüdischen Gesetzeskodex, der in seiner Sachordnung ungefähr auf dem Aufbau des Talmuds beruht. Es ist zugleich auch das einzige seiner Werke, das er in hebräischer Sprache verfasste, während er alle anderen Bücher in arabischer Sprache verfasste. So auch sein, zwischen 1176 und 1190 verfasstes,  allgemein als Hauptwerk betrachtetes „dalalat al-ha’irin“ (was sich je nachdem als Führer oder Lotse Herumirrender oder Unschlüssiger übersetzen lässt. Der hebräische Titel מורה נבוכים more newuchim“ des Werks heißt deutsch etwa „Lehrer der Verlegenen“. Der Titel geläufiger deutscher Übersetzungen des Buches lautet meist aber „Führer der Unschlüssigen“.  Das überwiegend religionsphilosophische Werk fand bereits im 13. Jahrhundert auch in außerjüdischen Kreisen Verbreitung in ganz Europa und wurde, trotz anfänglicher Verbotsversuche, zu einer der zentralen Schriften in der religiösen und philosophischen Debatte der damaligen Welt. Allen voran Thomas von Aquin (1225-1274), Hauptvertreter der mittelalterlichen kirchlichen Scholastik, von der katholischen Kirche als Heiliger verehrt, setzte sich in seiner eigenen Gottes- und Schöpfungslehre umfangreich mit Rambams „Führer“ auseinander und wurde dabei wie u.a. auch der deutsche Mystiker Meister Eckart maßgeblich beeinflusst. In späterer Zeit wirkte der Einfluss auch auf Philosophen wie Baruch Spinoza und in der Neuzeit gab das vom Rationalismus geprägte Werk Rambams schließlich auch etwa Moses Mendelsohn Anstoß, ein modernes Judentum im Geist der Aufklärung (hebräisch: haskala) begründen. Daneben verfasste Rambam noch zehn medizinische Abhandlungen in arabischer Sprache, darunter über Asthma, über Hämorrhoiden, über den Geschlechtsverkehr,  über Gifte und ihre Gegenmittel und einen Schrift namens schar asma’ al-uckar eine umfangreichen Index aus Synonymen, in der die Namen von über zweitausend Heilmitteln und Wirkstoffen nach ihren hebräischen, arabischen, griechischen, persischen, spanischen und berberischen Bezeichnungen angeordnet sind, oder aber auch einen Kommentar zu den Aphorismen des Hippokrates und eine Sammlung von Auszügen aus den griechischen Schriften Galens. Rambam starb am 13. Dezember 1204 in Fustat, im historischen Altstadtkern der heutigen Metropole und ägyptischen Hauptstadt Kairo. Seine letzte Ruhestätte befindet sich – auf eigenen Wunsch – jedoch in Tiberias im galiläischen Israel, wo sein Grab heute in würdigem Rahmen präsentiert wird, während seine Geburtsstadt Cordoba ihm eine Statue widmete.


השלש עשרה מידות

October 19, 2007

א. מקל וחמר
ב. מגזרה שוה
ג. מבנין אב מכתוב אחד ומבנין אב משני כתובים
ד. מכלל ופרט
ה. מפרט וכלל
ו. כלל ופרט וכלל אי אתה דן אלא כעין הפרט
ז. מכלל שהוא צריך לפרט ומפרט שהוא צריך לכלל
ח. כל דבר שהיה בכלל ויצא מן הכלל ללמד לא ללמד על עצמו יצא אלא ללמד על הכלל כלו יצא
ט. כל דבר שהיה בכלל ויצא לטעון טוען אחד שהוא כענינו יצא להקל ולא להחמיר
י. כל דבר שהיה בכלל ויצא לטעון טעון אחד שלא כעינינו יצא להקל ולהחמיר
יא. כל דבר שהיה בכלל ויצא לדון בדבר החדש אי יכול להחזירו לכללו עד שיחזירנו הכתוב לכללו בפרוש
יב. דבר הלמד מעינינו ודבר הלמד מסופו
יג. כן שני כתובים המכחישים זה את זה עד ש’בוא הכתוב השלישי ויכריע ביניהם

(ברייתא דר ישמאל ספרא פתיחה)


Eine unsterbliche Botschaft

October 16, 2007

 

 

 

Mietek Pemper

 

 

 

 

Man könnte Mietek Pemper für vieles bewundern, ist er doch keineswegs ein rüstiger Rentner, sondern ein ebenso viel beschäftigter Geschäftsmann wie umsichtiger Autofahrer und kann im Alter von 87 Jahren auf ein langes, erfülltes Leben zurückblicken. Nicht minder voll ist allerdings auch sein Terminkalender, der ihn nebenbei bei zahlreichen Reisen von der einen Ehrung zum nächsten Vortrag führt. Vor wenigen Tagen erst wurde er in der israelischen Botschaft in Berlin mit der Carnegie-Medaille als „Held der Zivilisation“ ausgezeichnet, zusammen mit Oskar Schindler, seinem bereits 1974 verstorbenen Lebensretter. Dass er mit ihm nun auf eine Stufe gestellt wird, behagt Mietek Pemper nicht so recht, müsse zwischen ihm und Schindler doch ein Abstand bleiben, wie er betont. Es ist keine vorgespielte Bescheidenheit, wie man sie bei Preisempfängern oft vernimmt, die ein Lob zurückweisen, um zweimal gelobt zu werden, sondern Ausdruck seines Charakters, maßgeblich verantwortlich für jene ergreifende, dramatische Geschichte, die sein Leben prägte und Stoff für Steven Spielbergs mit mehreren Oscars prämierten Film „Schindlers Liste“ bot, für den Mietek Pemper dem Erfolgsregisseur als maßgeblicher Beteiligter, als Augenzeuge und beratend zur Seite stand. 1200 Namen standen ursprünglich auf der nunmehr zu Weltruhm gelangten Liste, doch rechnet man deren Nachkommen mit ein, so sind es heute bereits mehr als 6000 Menschen die dem Retter Schindler ihr Leben verdanken und mit ihnen werden es mehr werden. Viele Gründe für Pemper, um sich für die Erinnerung an den Retter einzusetzen, zu dessen 100. Geburtstag 2008 eine Briefmarke erscheinen wird. Pemper selbst hatte sich dafür stark gemacht, zunächst beim Bürgermeister Augsburgs, wo er seit 1958 lebt. Dort wurde er in diesem Jahr mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt ausgezeichnet, eine Auszeichnung die ihm 2001 bereits die Universität Augsburg zuerkannte, weil er wie es in der Laudatio hieß „maßgeblich dazu beitrug, dass aus der Auslöschung der deutschjüdischen Gemeinschaft durch den nationalsozialistischen Rassenwahn die Hoffnung auf eine schließliche deutsch – jüdischen Versöhnung erwuchs“. Diese Hoffnung verkörpert Mietek Pemper in der Tat wie kaum ein anderer und so ist er unermüdlich in seinem Bemühen, als Zeitzeuge einer finsteren Epoche uns Ahnungslosen Rede und Antwort zu stehen, und Auskunft darüber zu geben, wie inmitten einer geistigen Hochkultur ein Absturz in die Barbarei möglich war und wie er Unerträgliches ertrug.  

 

Der 1920 in Krakau gebürtige Mieczysław Pemper wuchs in einem eher konservativen jüdischen Elterhaus auf. Zwar war seine Familie nicht orthodox ausgerichtet, jedoch spielten regelmäßige Synagogenbesuche, wie auch Kontroversen über den samstäglichen Schulbesuch eine Rolle. Wie vielen anderen entging auch den Pempers nicht die bedrohlichen Entwicklungen im damaligen Europa und im deutschen Nachbarland. Wenig Zeit verging jedoch zwischen seinem Abitur und der Aufnahme seines Studiums der Rechtswissenschaften und Wirtschaftslehre bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in Polen, die den Zweiten Weltkrieg auslösten. Doch ein wieder aufflackernder Hass auf Juden war auch schon zuvor in Polen virulent und führte etwa dazu, dass noch 1938 an der Universität für jüdische Studenten separate Bänke eingerichtet wurden. Als dies zunächst von den Juden ignoriert wurde, wurden ihnen negative Zensuren für das Fehlverhalten erteilt, worauf sie den Unterricht stehend verfolgten. Mit dem deutschen Einmarsch in Polen wurden jedoch die polnischen Hochschulen für alle, auch für Nicht-Juden geschlossen.  

 

Nunmehr sollte Mietek Pemper, dessen Familie nun im Krakauer Ghetto Nachbarn der Familie Roman Polanskis waren, im Rahmen der Zwangsarbeitsverpflichtung im Büro der jüdischen Gemeinde arbeitete, zunächst vor allem davon profitieren, dass er eine deutschsprachige Großmutter in Breslau hatte und seine Sprachkenntnisse auch in der Schule in Intensivkursen weiter vertieft hatte und unter den deutschen Besatzern zum Übersetzer wurde. Der Umstand, dass er dabei die Sprache oftmals weit besser noch beherrschte und dass auch sein Polnisch anders als bei vielen polnischen Juden ohne jiddischen Akzent auskam, prädestinierte ihn wohl für seinen weiteren Weg, der ihn als Gefangenen bereits früher erkennen ließ, in welche Richtung sich alles entwickeln würde, als andere noch nicht einmal begriffen hatten, dass sie nunmehr Gefangene waren. Sein akademischer Sachverstand wie auch sein exzellentes Gedächtnis, dass ihn auch heute noch nicht ihn Stich gelassen hat und es ihm ermöglicht, im Gespräch wortgetreue Dialoge wiederzugeben, ermöglichte es ihm in einem Umfeld zu überleben, in dem ein einzelnes Menschenleben nichts mehr Wert war. Dies kristallisierte sich umso mehr heraus, als Pemper 1943 schließlich Sekretär von Amon Göth, dem zwölf Jahre älteren Leiter des KZ Plaszów bei Krakau wurde. Der Wiener Göth sammelte „Erfahrungen“ in Vernichtungslagern wie Belzec, Sobibor und Treblinka, ehe er Ende 1942 die Liquidierung des Ghettos von Krakow durchführte und im Februar 1943 die Kommandantur über das Lager Plaszòw übernahm. Seinen Spitznamen Schlächter von Plaszow bekam Göth, der ca. 1,92 Meter groß und 120 kg schwer war, für seine “Vorliebe”, morgens mit einem Präzessionsgewehr auf Häftlinge zu schießen oder sie von seinen beiden Hunden, Dogge “Rolf” und dem Schäfer “Alf” zerfleischen zu lassen. Wenigstens 500 Menschen brachte er eigenhändig um. Jedes Mal nachdem Göth einen Menschen ermordetet hatte, forderte er zusätzlich noch die Karteikarte des Ermordeten an, um schließlich auch dessen Verwandte töten zu lassen, da er keine „unzufriedenen Leute” in „seinem“ Lager haben wollte. Für den schmächtigen, wesentlichen kleineren Mietek Pemper war der tagtägliche Umgang mit Göth folglich ein Tanz auf dem Vulkan, denn jede Kleinigkeit oder Laune hätte für den „Sekretär“, Stenograph und Übersetzer jederzeit tödlich enden können – und nicht nur für ihn. Welche Selbstdisziplin und Konzentration es dabei erforderte von früh bis spät unter unmittelbarer Todesangst und beständiger Lebensgefahr in den Diensten eines gewissenlosen, kaltblütigen Mörders fehlerlos und sorgsam zu arbeiten, kann man kaum nachvollziehen, doch Mietek Pemper vollbrachte dieses „Kunststück“ und sammelte in seiner Tätigkeit, die ihn mit vielen geheimen Dokumenten in Kontakt brachte, wertvolle, lebensrettende Informationen und manches mal gelang es ihm sogar, den intellektuell weit unterlegenen Göth zu beeinflussen und so beispielsweise die in den meisten anderen Konzentrationslagern übliche Tätowierungen mit rein technischen Argumenten auszureden. „Göth lebt wie ein Pascha, während unsere Soldaten im Osten sterben“, zitiert Pemper dessen SS-Untergebene. Diese zeigten ihn schließlich auch wegen persönlicher Bereichung und Unterschlagung von „Reichseigentum“ an, wozu alles gerechnet wurde, was das Regime selbst Juden und anderen unter der Besatzung geraubt hatte. Göth wurde daraufhin am 13. September 1944 in Wien von der SS verhaftet, jedoch kam es bis zum Kriegsende nicht mehr zum Prozess. Als Pemper nun unter die Obhut des Industriellen Oskar Schindlers kam, war es als ob er nach einem Teufel einem Engel diente. Ein Engel im klassischen Sinne war Schindler freilich nicht. Der wie Göth 1908 geborene sudetendeutsche Fabrikantensohn war angeblich noch vor der deutschen Besetzung und Zerschlagung der Tschechoslowakei Agent für den Geheimdienst unter Wilhelm Canaris und wurde, enttarnt für den Verrat tschechischer Eisenbahngeheimnisse wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Lediglich der deutsche Einmarsch rettete ironischer Weise den späteren Lebensretter das Leben. Die Uniformen für den von den Nazis inszenierten Überfall Polens auf den deutschen Sender Gleiwitz, den das Nazi-Regime der Weltöffentlichkeit als Grund für den Angriff auf Polen anführte, hat nach den Ergebnissen des US-amerikanischen Holocaust-Forschers David Crowe niemand anderes als Oskar Schindler besorgt. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen begab sich Schindler sodann auch in der Absicht, geschäftlich davon profitieren zu können, nach Krakau und übernahm im Oktober 1939 eine Emailwarenfabrik, die zuvor einem Juden gehört hatte. Die kleine Fabrik in Zablowic nahe Krakau, die nunmehr Küchengeräte für die Wehrmacht herstellte, wuchs rasant und beschäftigte Ende 1942 bereits etwa 800 Gefangene – rund die Hälfte von ihnen stammte aus dem Krakauer Ghetto. Schindler, ein Lebemann und Glücksspieler, genoss das Leben in vollen Zügen, war dem Alkohol zugeneigt und hatte zahlreiche Affären, wobei Pempers Einschätzung gemäß die Initiative meist von den Frauen ausging. Was ihn nun aber von den zahlreichen anderen Kriegsgewinnlern unterschied, war vor allem die menschliche Behandlung seiner Arbeiter. Nach und nach wandelte sich seine ursprüngliche, schnöde Absicht, sich zu bereichern, zu dem ebenso bemerkenswerten wie gefährlichen Anliegen, so vielen Juden wie möglich das Leben zu retten. 

 

Im März 1943 wurde das Krakauer Ghetto geräumt und die verbliebenen Juden in das Arbeitslager Plaszow gebracht. Er überzeugte seinen Saufkumpan Göth, ihm die Einrichtung eines privaten Unterlagers für seine jüdischen Arbeiter bei seiner Fabrik zu erlauben, wo er ihnen auf dem Schwarzmarkt erworbene Lebensmittel zu den Ernährungsrationen bot. Als es nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad zu einem Wechsel in der Politik der Nationalsozialisten kam, war dabei die Einstufung seiner Fabrik als „kriegswichtige Produktion“ ausschlaggebend, die ihm von der deutschen Militärverwaltung des besetzten Polens eingeräumt worden war. Dabei profitierte Schindler auch maßgeblich von Pempers reichhaltigem Insiderwissen. Aufstellungen über alle technischen Anlagen wurden vorgenommen und aufgelistet, für welche Fabrikation sie eingesetzt und welche als „kriegswichtig“ gelten konnte. Schindler trickste nun, fälschte Papiere und gab sogar Kinder oder Akademiker als qualifizierte Metallarbeiter aus, was ihn oftmals unter den Verdacht brachte, seine jüdischen Häftlinge zu begünstigen und in Konflikt mit der Gestapo brachte. Mit dem immer weiterreichenden Vorstoß der Roten Armee und der damit einhergehenden „Liquidierung“ zahlreicher Lager wurde die ohnehin unfassbare Situation immer bedrohlicher, da nunmehr der Weg vieler direkt in die industrielle Vernichtung Auschwitz’ führte. Schindler und seinen Helfern gelang es aber nach und nach immer noch mehr Juden auf seine Liste zu bekommen und sie oft unter dramatischsten Umständen zu retten – unter anderem gelang es, in Auschwitz die Freilassung von Frauen auszuhandeln, indem der Gestapo 7 Mark pro Tag und Kopf versprochen wurden, der einzige dokumentierte Fall, in der eine größere Gruppe das Vernichtungslager verlassen konnte, solange es in Betrieb war. Bis zuletzt rechtfertigten Schindler und seine Frau Emilie die Wichtigkeit ihrer Juden und des Betriebs für den deutschen „Endsieg“, an dem zu Beginn des Jahres 1945 allenfalls noch Wahnsinnige glauben konnten.  

 

Während Schindler in den letzten Kriegstagen sich nach Deutschland durchschlug, kehrte Mietek Pemper nun nach Krakau zurück, wo er davon erfuhr, dass auch seine Mutter unter glücklichen und ungewöhnlichen Umständen überlebte, als nämlich SS-Führer Heinrich Himmler, ohne Wissen Hitlers seinen persönlichen Masseur, den in Estland geborenen Felix Kersten, der häufig nach Schweden reiste, beauftragte, dort Kontakte zu einem Vertreter des Jüdischen Weltkongresses anzubahnen. Als Gegenleistung für die Freilassung jüdischer KZ-Häftlinge sollte der Kongress die US-Regierung dazu bewegen, Deutschland ihrerseits gewisse Konzessionen zu machen, die den ersten Schritt zu einem erhofften Waffenstillstand an der Westfront darstellen sollten, überzeugt, dass Briten und Amerikaner eine sowjetische Vorherrschaft in Europa nicht hinnehmen und früher oder später eine Übereinkunft mit Deutschland suchen würden, um den weiteren Vormarsch der Roten Armee in Europa zu stoppen. Im Februar 1945 traf sich Kersten in Stockholm mit einem hochrangigen Delegierten des Jüdischen Weltkongresses, Hillel Storch, der ihm zu Händen Himmlers eine Liste mit Forderungen übergab. Dazu gehörte als wichtigster Punkt die Freilassung zumindest eines Teils der noch in KZs inhaftierten Juden.

 

 
In der Nachkriegszeit vollendete Pemper sodann sein Studium in Krakau als Magister in Ökonomie und war zuvor noch ab dem Sommer 1945 Dolmetscher und Zeuge bei den Kriegsverbrecher-Prozessen in Polen, u.a. auch als Hauptzeuge im Prozess gegen Amon Göth, der nun wegen seiner Verantwortung für die Ermordung von mehr als 8.000 Menschen allein im Lager Plaszow, weiterer 2.000 Menschen bei der Liquidierung des Ghettos in Krakau-Podgórze am 13. und 14. März 1943 sowie bei Hunderten von Morden bei der Auflösung der Ghettos in Szebnie und Tarnów angeklagt wurde. Die Amerikaner hatten Göth an die Polen ausgeliefert, weil sie befanden, dass sich sein „Wirken“ fast ausschließlich auf das polnische Territorium beschränkte. Beim Verlesen der Zeugenliste in der Anklageschrift hatte er nach dem Zeugnis des Chefanklägers Dr. Jan Sehn wörtlich ausgerufen: „Was? So viele Juden? Und uns hat man immer gesagt, da wird kein Schwanz übrig bleiben“. Göth gab an „nur Befehle“ befolgt zu haben, doch Pemper sagte als zwölfter Prozesszeuge aus, dass Göth ganz offensichtlich auch ohne Befehl Menschen getötet hat, auch weil es schlicht unmöglich war, dass er sich für jeden einzelnen Fall der Tötung die Genehmigung seiner vorgesetzten Behörde hätte holen können. Göth, dessen Verteidigung damit in sich zusammen brach, wurde vom Gericht in Krakau zum Tode verurteilt und gehängt. Die Nachricht von seinem Todesurteil wurde in der ganzen Stadt plakatiert und auch seitens der polnischen Bevölkerung mit großer Beachtung aufgenommen.  
 Mietek Pemper blieb bis zum Tod seiner kranken Mutter, die er pflegte, in Polen und übersiedelte hernach 1958 nach Deutschland, wohin er seinem Bruder folgte. Während dieser jedoch nach Hamburg verzog, blieb Pemper letztlich dann doch in Augsburg, wo er am Fuße des Judenbergs unweit des früheren mittelalterlichen jüdischen Viertels bis heute in seinem Büro als Unternehmensberater und Immobilenhändler tätig ist. Auch mit Oskar Schindler hatte er wieder zu tun. Schindler, von dem Pemper sagt „er war ein außergewöhnlicher Mensch aber nur für außergewöhnliche Zeiten“, lebte zunächst fünf Jahre in Regensburg, ehe er sich in Argentinien erfolglos als Tierzüchter und Fellhändler versuchte und schließlich nach seiner Rückkehr 1961 bis zu seinem Tod in Frankfurt am Main und abwechselnd in Jerusalem wohnte. Pemper bemühte sich damals auch darum, seinem Beschützer und Retter, der in den letzten Kriegsjahren sein gesamtes finanzielles Vermögen aufbrauchte, um seine Arbeiter vor dem sicheren Tod in Sicherheit zu bringen, finanzielle Entschädigung für seinen Fabrikbesitz zu erzielen. Doch in der frühen Nachkriegszeit konnte man manches Mal den Eindruck gewinnen, als wäre dies leichter gewesen, wenn man nicht 1000 Juden gerettet, sondern getötet hätte. Über die heute so berühmte Geschichte sprach Pemper in den ersten Jahrzehnten kaum und schon gar nicht öffentlich. Auch als er im April 1993 auf Einladung von Spielberg bei den Dreharbeiten in Krakau war, fragte er sich, wie der Film besonders in Deutschland wohl ankommen würde und rechnete damit, dass er ebenso ignoriert würde wie das Buch des Australiers Thomas Keneally, auf dem Spielbergs Film basiert. Hier irrte sich Pemper, der im Film mit seinem Freund Itzak Stern zu einer Person vereint wurde, nur einmal kurz wird beim Verlesen einiger Namen der Liste zur Einblendung einzelner Darsteller auch kurz der Name Mietek Pemper erwähnt. Damit beginnt natürlich auch die Frage nach der Authentizität des Films und den Schwierigkeiten komplexe Sachverhalte unter oft völlig chaotischen mitunter aber auch absurd pedantischen Bedingungen zu vermitteln. Schon um die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht zu überfordern war es nach Spielbergs Auffassung erforderlich sich auf wenige Protagonisten zu konzentrieren. Aus Gründen der Dramaturgie hatte er auch die Entstehung der Liste stark vereinfacht dargestellt. Im Film diktiert sie Schindler sie einfach. Aber 1000 Namen mit Geburtsdatum, Beruf usw. auswendig aufzusagen, wäre nicht möglich gewesen. Tatsächlich wurde daran jedoch in der Lagerkommandantur viele Tage lang bearbeitet. Andererseits aber sparte der Film natürlich auch reale Szenen aus, wie etwa die Zerfleischung von Menschen durch Hunde, die einem breiten Publikum nicht zu vermitteln wären. Pemper selbst wurde auch von einem dieser Hunde am Ellenbogen gebissen und er zeigt während des Gesprächs seine noch heute sichtbare Wunde. Damals musste er weiter in Göths Schreibstube arbeiten. Film und Wirklichkeit haben also durchaus eine unterschiedliche Färbung, doch wer außer den Zeitzeugen weiß es noch? Anders als rein dokumentarischen Werken, gelang es Spielbergs Film aber eben auch ein Publikum von inzwischen 200 Millionen Menschen zu erreichen und eine Breitenwirkung zu erzielen, die sonst nicht möglich wäre. 

 

 

Mietek Pemper, der Mann der in seinem langen Leben vielen Mächtigen und Ohnmächtigen, machtbesessenen und – missbrauchenden Menschen begegnet und trotzdem vor allem er selbst geblieben ist, ist es heute vor allem ein Anliegen, dass man versteht, wie diese Ereignisse damals möglich waren und so nutzt neben seinem Buch das er geschrieben hat, bei häufig strapazierten Stimmbändern seine Kraft, um in Vorträgen zu erzählen von seiner Geschichte, von Schindler und von jener Zeit, die für uns jungen Generationen oft in Metaphern und Begriffen hängen bleibt. Zwar ist er unverheiratet und kinderlos geblieben, doch vielleicht kann man in einem bestimmten Sinne die Nachkommen der „Schindler-Juden“ auch als seine Kinder ansehen, jedoch ist Pemper wie auch immer keineswegs ein Opfer oder Gefangener seiner Erinnerungen, sondern ist trotz seines fast biblischen Alters geistig vital, vielseitig interessiert und belesen und man kann sich kaum ein Thema denken, bei dem er nicht informiert mitreden und etwas Kluges mit feinsinnigem Humor anzumerken versteht, häufig natürlich in Form von Geschichten und Anekdoten, die er im Laufe seines Lebens aufgesogen hat. Das kann sich auf Napoleon beziehen oder auf Goethe, etymologische Erklärungen über den slawischen Ursprung des Namens Porsche oder aber Betrachtungen über das mittelalterliche Augsburg, immer wieder auch lateinische Zitate, die er noch aus seiner Schulzeit kennt oder aus Werken der Weltliteratur, die er im Original gelesen hat … und wenn sein Gedächtnis ihn ausnahmsweise doch einmal etwas im Stich lässt, so steht auf, geht zu einem Bücherregal und weiß zumindest ganz genau, wo er nachschlagen muss. So ist er natürlich auch informiert über die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und macht sich auch manche Sorge über die Zukunft der jüdischen gemeinden in Deutschland. Er weiß von der Bedrohung die mitunter auch von radikalen Islamisten für Juden ausgehen, bringt seine Sorgen dazu aber nicht ohne Gegenbeispiel zum Ausdruck. Als er kürzlich in München einen Vortrag vor Schülern hielt, stand am Ende eine Gruppe geschlossen auf und ging Richtung Ausgang. Dort standen sie dann eine Weile abseits und warteten, sprachen mit dem Lehrer. Dieser kam später zu Mietek Pemper, der das Verhalten zunächst nicht einschätzen konnte, und erzählte ihm, dass diese Schüler Muslime waren und ihn baten, Pemper für seinen Vortrag zu danken. Deutschen Schülern schärft Pemper immer wieder ein, dass das Nazi-Regime nicht nur jüdische Menschenleben kostete und stellt immer wieder fest, dass nur wenige von ihnen auch nur ahnen, dass auch Millionen Deutsche im Krieg ums Leben kamen, sondern oft nur Erfolgsgeschichten über Blitzkriege verinnerlicht haben. Diese Unbedarftheit beunruhigt ihn. Der Historiker Ian Kershaw sagte eins, dass der Weg nach Auschwitz mit Gleichgültigkeit gepflastert war („… was paved with indifference“). Die Antwort des kleinen, bescheidenen Mannes darauf besteht darin zu reden und zu vermitteln, auch wenn es erkennbar ist, dass sein Kraftaufwand dafür enorm ist. Doch scheinbar genügen ihm kleine Momente der inneren Ruhe, um aus der Erschöpfung mit einer lustigen Anekdote oder einem Witz das Gespräch immer wieder aufzunehmen. Einzig die Frage danach wie sehr Spielbergs Film sein Leben verändert hat, veranlasst ihn zu einem längeren Schweigen. Eine dumme Frage vielleicht, aber er kontert sie nach einigem Überlegen … natürlich mit einem Witz.  

 

          Yehuda Schenef und Jan Stern

(Juli 2007)

 

(als Artikel erschienen im “eurojournal pro mangement” 02/2007)