Die Judensau in Regensburg


März 2017: Ausführlicher beschrieben im Buch:

Yehuda Shenef

Humor, Wucher, Weltverschwörung: Die geläufigsten Vorurteile gegenüber Juden und was es mit diesen auf sich hat 

ISBN: 978-374-3181-205

Taschenbuch: 260 Seiten

13 Euro

 

 

Wer, zumindest mal von außen, alte christliche Großkirchen ansieht, merkt schnell, dass ihre Erbauer, anders als man vermuten könnte, längst nicht nur Fromme und Heilige abbildeten. Nicht selten finden sich auch Fratzen von eigenartigen Kreaturen als steinerne Zeugnisse der eigenen Vorstellungswelt. Zwar soll die Mehrzahl der menschlichen Figuren – freilich fiktiv – das Aussehen von Juden wie Jesus, Maria, Petrus, Paulus, usw. darstellen. Am Augsburger Dom beispielsweise ist – prominent – sogar die Beschneidung des Jesus durch einen tüchtigen jüdischen Mohel zu sehen.

Weniger gut schneiden in dieser steinernen Kunst freilich Juden ab, die nicht mit Jesus in Verbindung standen oder nach seinem Ableben gar ohne ihn auskommen konnten. Ein ab dem 13. Jahrhundert anzutreffendes bildliches Motiv zeigt Juden, wie sie an den Zitzen eines Schweins saugen. Eine solche Skulptur wird „Judensau“ genannt und soll an kirchlichen Bauten eine Schmähung von Juden ausdrücken. Grundlage dafür ist die Überlegung, dass das Schwein für Juden ganz besonders „unrein“ sei. Eine Variation des Themas wären Darstellungen von Juden, die bei einem „Judeneid“ auf einer Schweinehaut stehend dargestellt werden. Es sind etwa 30 jener „Judensäue“  חזירת יהודים bekannt, die sich augenfällig alle in Deutschland oder in benachbarten deutschsprachigen Gebieten befinden.

Ein leider bereits etwas verwittertes Exemplar ist an der Südfassade des Regensburger Doms zu sehen. Es zeigt auf einem Sockel stehend ein kleines Tier, dessen Kopf freilich eher nach einem Schaf aussieht. Daneben hockt ein bärtiger Mann und hält das linke Ohr des Schweins fest und von hinten sind zwei weitere menschliche Figuren zu sehen, die an die Zitzen der Sau fassen, wobei der rechten Figur der Kopf abhanden gekommen ist. Der mittleren der Figuren kann man noch den früher vorhanden Judenhut ansehen, der zur allgemeinen Kennzeichnung von Juden in christlichen Kunstwerken der Identifikation dient.

Wie nun auch immer, stimmen Proportionen nicht so ganz, erreicht ein ausgewachsenes gewöhnliches weibliches Hausschwein (von heutigen Turbozüchtungen mal abgesehen) kaum eine Schulterhöhe von mehr als 80 cm. Selbst wenn wir voraussetzen wollen, dass Menschen im Mittelalter per se kleiner waren, wären sie mit 160 cm immer noch doppelt so groß wie die Sau, die nun nicht durchs Dorf getrieben, sondern an dessen Hauptplatz in Stein gehauen wurde. Es handelte sich also entweder um besonders kleine Juden, die kaum größer als die Sau etwa nur 80 cm groß waren oder aber um ein sehr großes Schwein, das mehr als drei Meter groß war. Da beides wenig wahrscheinlich ist, kann man das kaum sicher beurteilen. Nach modernen Maßstäben könnte man diese Diskrepanz freilich auch als „künstlerische Freiheit“ werten, allerdings ist es in der Regel nicht empfehlenswert, gegenwärtige Normen auf mittelalterliche Vor- und Darstellungen zu projizieren. Dem widerspricht auch die Tatsache, dass es um die noch vorhandenen „Judensäue“ zahlreiche Kontroversen gibt, so wie im Jahre 2005 in Regensburg. Eine nun vorhandene Begleittafel erklärt: „Die Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich. Das Verhältnis vom Christentum und Judentum in unseren Tagen zeichnet sich durch Toleranz und gegenseitige Achtung aus.“ Eine Erklärung des Inhalts der „Spottfigur“ ist das nun auch nicht.

Aus zahlreichen anderen kirchlichen Skulpturen ist bekannt, dass eine zentrale Figur durchaus von kleineren anderen umgeben sein kann. Dies bedeutet sodann nicht zwangsläufig einen realen Größen-, sondern einen aufgezeigten Bedeutungsunterschied. So kann beispielsweise Jesus von seinen zwölf nur halb so groß dargestellten Schülern umgeben sein, ohne zu besagen, dass er wirklich doppelt so hoch gewachsen war wie sie. Wenn die Sau übergroß dargestellt ist und die sie umgebenden Juden dominiert, so hat diese folglich die zentrale Bedeutung in der Komposition.

Die Deutung der wie auch immer ungewöhnlichen Darstellung nimmt in der Regel Bezug zu einer jüdischen Abneigung gegen Schweine. Es stimmt natürlich, dass Schweine nicht koscher sind, da die Tora ihren Verzehr verbietet. Selbiges trifft freilich auf eine ganze Reihe anderer Tiere zu. So sind Kamele, Insekten oder Adler nicht koscher, Hasen sind es nicht, auch nicht Löwen, Hunde, Katzen, Elefanten, Delphine oder Pferde. Sie alle sind vom Verbot des Verzehrs betroffen sind dabei aberkeineswegs weniger „unrein“ als Schweine. Löwen beispielsweise sind bereits seit der Antike gebräuchliche Wappen für das jüdische Volk – man darf sie eben nicht essen. Es gab auch nie ein Problem für Juden auf Pferden zu reiten oder Hunde zu halten – man darf sie eben nicht essen. Orthodoxe Rabbiner sehen auch kein Problem, biologische Herzklappen aus Aortenklappen von Schweinen anzuwenden – man darf sie eben nicht essen. Wo ist das Problem?

Ein Missverständnis?

Das Schwein in der „Judensau“-Darstellung nimmt deshalb sicherlich nicht auf Gebräuche oder Wertvorstellungen des Judentums Bezug. Es reflektiert vielmehr den Stellenwert des Schweines im Christentum. Jesus im Evangelium bannt zwar noch „Dämonen“ in eine Herde von Schweinen und lässt diese in einen Abgrund stürzen. Eine allgemein geläufige deutsche Metapher spricht hingegen vom „Glückschwein“, vom Schwein als Glückssymbol. Die Herkunft stammt von Rittertunieren und bezeichnet das Schwein als Trostpreis für den Verlierer, der dann doch nicht leer ausgeht, sondern „Schwein gehabt“ hat. In etwa dieselbe Richtung geht das ideengeschichtlich damit verknüpfte, ab dem 18. Jahrhundert belegte „Sparschwein“. Das Schwein ist demnach ein Sinnbild für das kleine Glück oder das Glück des kleinen Mannes. In der Darstellungsweise christlicher Skulpturen können letzteres dann sogar auch Juden sein. Da die kleinen Juden nun am großen Schwein zupfen oder in anderen Darstellungen an den Zitzen der Sau nuckeln, ist die Aussage des Bildes offenkundig: die Juden nähren sich am Glück das sonst den kleinen Ferkeln zustünde. Offenbar nimmt das in weiten Teilen der deutschen Lande verbreitete Bild der Judensau auf die „nicht-jüdische“ Bevölkerung Bezug und will mitteilen, dass die Juden, sich auf ihre Kosten nähren.

An der Westseite des Doms befindet sich eine weitere, wesentlich besser erhaltene Skulptur die Juden thematisiert und die biblische Szene des Tanzes um das goldene Kalb verbildlicht. Das Kalb wird in diesem Fall von fünf Juden (markiert durch die entsprechenden Hüte) umstanden. Überraschenderweise sparte man hier mit Gold, das man im Dom selbst offenbar besser aufgehoben wähnte, weshalb es eher ein graues Kalb ist und die umstehenden Juden eher staunen als tanzen.

As in many other German cities the cathedral of Regensburg has a weathered sculpture which depicts a so called “Judensau” (Jews’ Sow). Most of the depictions have in common that there is a rather huge pig surrounded by rather small Jews who paw the sow or suck on its teats. Of course pork is not kosher, but regarding pigs there are no other prohibitions as for lions, eagles, cats, dogs, dolphins, horses, hares or insects which all are not kosher either. So what is the special meaning of a sow in the de-pig-tion of numerous sculptures in German lands?

“Lucky pig” (Glücksschwein) is a symbol of “good luck” since in late medieval times at contest a pig was granted for losers not get nothing but a little pig as small comfort, while the winner married the princes. In more recent times in a like manner small figures (piggy banks) had the use to safe little money for future opportunities. The sow therefore more likely is a symbol for the overall population, i.e. the little guy of the main street and the Jews are shown as snarfing their food (or “little luck”).  

 

 

März 2017: Ausführlicher beschrieben im Buch:

Yehuda Shenef

Humor, Wucher, Weltverschwörung: Die geläufigsten Vorurteile gegenüber Juden und was es mit diesen auf sich hat 

ISBN: 978-374-3181-205

Taschenbuch: 260 Seiten

13 Euro

8 Responses to Die Judensau in Regensburg

  1. […] „Judensäue“ sind eine hauptsächlich deutsche Eigenart (Beitrag zum Exemplar in Regensburg: https://jhva.wordpress.com/2011/09/06/die-judensau-in-regensburg ) . Sie stellen meist am sog. Judenhut zu erkennende Juden dar, die auf einem weiblich Schwein […]

  2. apiskybele says:

    Nun war immer schon klar, die Schweinereien sind draußen, also außerhalb der Kirche, bei den Heiden und bei den als unbelehrbar eingestuften Juden. Weil viele Christen bis vor gut 100 Jahren nicht schreiben und lesen konnten, musste man sie durch solche Darstellungen “ins Bild setzen”.
    Seitdem lernten auch die Christen lesen und mussten bitter erkennen, wieviele Schweinereien auch innerhalb der Kirche stattfinden.

  3. Andrea says:

    Und wer sollte die erklärenden Tafeln aufstellen? Müsste ja der Baumeister von damals sein, da wirs heute ja nicht wissen. 🙂

    Nuja, ich seh da weder ein Schwein noch Juden. 😉

    Der linke streichelt das Schaf beruhigend während die anderen beiden trinken oder melken.

    Und an ein Schaf denke ich von der ganzen Körperhaltung des Tiers her und den Proportionen. Auch hat ein Schwein niemals so lange Beine und so einen Hals…

    • yehuda says:

      Die Tafel müsste nicht aufgestellt werden, es gibt sie schon, nach offenbar heftigen Kontroversen 2005. Artikel dazu gibt es über Google jede Menge, aber das zu lesen ist recht öde. Merk es Dir also vor, wenn Du mal nicht einschlafen kannst.

      Abbildung der Tafel:

      Dass das Tierchen für mich eher wie ein Schaf aussieht, hab ich im Text ja schon geschrieben. Das war übrigens auch der Grund, warum ich die Skulptur überhaupt fotografiert hab. Das Thema „Judensau“ kannte ich natürlich, aber in der Vorbereitung auf den Ausflug hab ich mich auf die Plätze konzentriert, wo in der Stadt und im Umkreis verteilt mittelalterliche jüdische Grabsteine und Reste davon eingemauert oder ausgestellt sein sollen. Ich hatte nicht drüber nachgedacht, ob es so eine Skulptur dort auch in Regensburg gibt. Im Dom waren wir wegen einem der Grabsteine, der dort im Kreuzgang im Fußboden liegt. Draußen sah ich dann im Vorbeilaufen das „Schaf“ und hab es fotografiert, weil es nie schaden kann, ein Schaf zu fotografieren. Im Zoom sehe ich dann die Anordnung und dachte an die „Judensau“ – Darstellungen, die eben so ähnlich aufgemacht sind, winzige Männchen, die unter großen Schweinen herumkriechen, etc. Meine erste Assoziation war aber klar Schaf. Aber jetzt kommen sicher wieder Leute und sagen „künstlerische Freiheit“ … trotzdem ist es natürlich früher schon dokumentiert und eigentlich unumstritten, dass es eben diese Darstellung ist, die es ja an einigen anderen Orten gab:

      http://de.wikipedia.org/wiki/Judensau

      Ich hab damit, wie schon gesagt, kein Problem. Ich esse kein Schwein und ich esse auch keine Katzen, Hunde oder Pferde, keine Hasen, Hamster oder Leguane und hab das nie als Mangel aufgefasst. Eine Skulptur die Leute zeigt, die ein Schaf streicheln, wäre auf jeden Fall sympathisch. Vielleicht wäre das auch eine Idee für einen neuen Dom? 😉

      • Andrea says:

        Und was bitte sagt eine Tafel aus 2005 über die Motive der Bildhauer damals aus? Klar könnte es so sein, ich will auch garnicht bestreiten das es so ist, aber wer weiss das? _Ich_ sehe halt was anderes…

        Was ich sagen wollte ist, dass sich niemand, der nicht dabei war, darüber auslassen sollte was dort dargestellt wird. Es _könnte_ ziemlich daneben sein.

        Und auch ein wikipedia-Artikel ist kein Beleg. So schnell kannst garnicht schauen wie das umeditiert ist *g* Klar sehen die Umrisse der Bilder gleich aus. Aber solange keine Version des Bildes existiert, das mir ein Schweinderl mit Ringelschwanz und Juden mit Hut präsentiert ist das, wie von Dir schon gesagt, künstlerische Freiheit, oder auch Ansichtssache 😉

  4. yehuda says:

    Die allgemein übliche Interpretation ist dass es eine entwührdigende Verspottung, verspottende Entwürdigung, … der Juden darstellt. Die hat man lange Jahrhunderte für “ganz passend” gehalten und nur ein paar Jahrzehnte nach dem “Holocaust” finden manche Zeitgenossen solche Darstellungen nicht mehr zeitgemäß und fordern die Demontage oder erklärende Tafeln dazu, so wie eben in Regensburg, aber auch an einigen anderen Orten.

    Da “harm” Schaden heißt (vgl. engl. harm-ful) war es sicher nicht harmlos, da die Darstellung schon ganz sicher nicht den Zweck hatte, bei den Kirchgängern Sympathien für die Juden zu erwecken. Ich meine jedoch, dass niemanden die Darstellung so verstanden haben kann, dass Juden tatsächlich an Schweinen als Tiere “interesse” zeigten. Auch mitelalterlichen Regensburgern dürfte aufgefallen sein, dass sich bei Juden mit Schweinen kein Geld verdienen ließ. Auch war den christlichen Predigern, die solche Skulpturen veranlassten der Sachverhalt sehr wohl
    klar. Bleibt also fast nur übrig, dass das Schwein hier anstelle von kleinen Ferkeln von winzigen Zwerg-Juden ausgesaugt wird und es die allgemeine Bevölkerung darstellt. Die “Judensau” wäre demnach eigentlich eine “Christensau”, an der sich die Juden bereichern.

    Aber vielleicht hast Du eine andere Interpretation? Das fände ich sehr spannend 🙂

  5. Andrea says:

    Ich weiss, dass im Zuge der Vergangenheit oft interpretiert wird. Sehr gerne bei “offensichtlichen” Darstellungen.

    Nur möchte ich in den Raum werfen, das manche Dinge, die klar erscheinen, oft gaaaanz anders gemeint sind. Und, wenn man die Hintergründe kennen dürfte, man sich eines Lachens aufgrund der Harmlosigkeit nicht erwehren könnte.

    Andererseits ist manchmal die spontane Eingebung die Richtige.

    Entscheide wer will *g*

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