Burgau revisited


Burgau und die nach ihm benannte Markgrafschaft im heutigen bayerischen Schwaben war von etwa von 1300 bis 1800 für ein halbes Jahrtausend österreichisches Gebiet. Wenngleich nicht immer ein zusammenhängendes Territorium und zeitweilig eher eine Art Fleckenteppich, war es doch ein politisch und kulturell zusammenhängendes und funktionierendes Teil der österreichischen Monarchie.

Der Name Burgau wird wohl treffend als Burg-Au gedeutet, denn um die Mitte des 12. Jahrhunderts werden in Augsburg erstmals „Herren von Burgau“ erwähnt. Im Jahre 1212 werden deren Nachkommen zu Markgrafen ernannt und in der Folge orientierten sich die Burgauer wohl bereits an den Habsburgern, die bald versuchten die schwäbischen Gebiete für ihr Reich zu sichern.

Als 1324 zur erfolglosen Belagerung durch Soldaten des Wittelsbacher Kaisers Ludwig Bayer. 1418 verhinderten Augsburg und Ulm einen Verkauf der Gebiete an Bayern, da man in den Reichsstädten um die eigene Unabhängigkeit fürchtete und deshalb – später auch unter dem Einfluss der Fugger – eher den Vorderösterreichern zugeneigt war.

Mit dem 30jährigen Krieg endete die Herrschaft in Burgau, dessen letzter Markgraf Karl 1618 verstarb. Als Sohn Erzherzog Ferdinands von Österreich und der nicht standesgemäßen Augsburger Kaufmannstochter Philippine Welser (1527-1580) war Karl nicht voll erbberechtigt. Der Markgraf und seine Frau waren bei ihren Untertanen nur mäßig beliebt, da sie ihre beargwöhnte Verbindung mit religiösem Eifer kompensieren wollten. 1516 führte dies zu einem Bierverbot in Burgau und im Jahr darauf zur Ausweisung der Juden (unter den auch Brauer waren). 1518 starb er sodann und wurde hernach in Günzburg bestattet, wo er ziemlich verschwenderisch mit seiner Frau gelebt hatte. Die Markgrafschaft wurde sodann von den Habsburgern in Tirol regiert und von ihnen in Günzburg ein Landvogt eingesetzt. Um 1805 gingen die Gebiete der vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau an Bayern. Heute hat Burgau etwa 9000 Einwohner, wovon 7000 am Ort selbst leben, der natürlich über die mittelalterliche Stadt hinausreicht. Seit einigen Jahren ist die Bevölkerungszahl rückläufig.

Altes Rathaus von Burgau

Die jüdische Geschichte in Burgau ist in erster Linie mit Schimon ben Elieser Ulmo (1506-1585) verknüpft, der in Günzburg geboren wurde, in Burgau aufwuchs, dort Rabbiner und Leiter eines talmudischen Lehrhauses war und nach seinem Tod auch begraben wurde. Er war ein großer namhafter Gelehrter, kaiserlicher Hoffaktor, ein großer Mäzen und Autor gelehriger Bücher in taitscher Sprache. Sein Vorfahr Falk Lemlin (1390-1465) hatte 1438 Augsburg verlassen müssen und ging nach Ulm. Der Lehrer seiner Kindheit in Burgau war Rabbi Jona, der Sohn von Jakob ben Jehuda Weil, der letzte überregional bedeutsame Gelehrte  Augsburgs, der die Stadt 1438 als einer der ersten verließ und schließlich nach Erfurt ging. Auf seinen Schriften fussen die heutigen Verodnungen der Schechita.

 

Ausschnitt aus Simon Ulmo’s taitscher Erklärung hebräischer und aramäischer Redensarten aus Mischna und Talmud

 

Aus dem Jahr 1470 ist in einer Urkunde in Graz Salomon von Burgau mit weiteren Juden von Ulm wegen Geldleihen an einen christlichen Kleriker erwähnt, wobei es sich wohl um einen Verwandten Simons handelt. 1587 verfügt die Markgrafschaft, dass Juden den Christen rechtlich gleichgestellt seien. 1593 erhält Lemle von Burgau (ein Sohn von Simon) von Freiherr Ferdinand von Grafeneck das Schloss und Dorf Hasenweiler bei Ravensburg, da dieser eine Schuld über 3500 Gulden nicht bezahlen konnte. Es folgten jedoch über Jahre andauernde Rechtstreitigkeiten, ehe Dorf und Schloss für 16.000 Gulden an das Kloster Weingarten verkauft und Lemle ausbezahlt wurde.

Ende Dezember 1596 klagten christliche Bewohner in Burgau über die Burgauer Juden, da diese wegen ihrer Feiertage keine Rücksicht auf die christlichen Feiertage nehmen würden und zudem offenbar auch verlangten, dass ihre christlichen Bediensteten an diesen Tagen für sie arbeiteten. Dies wurde am Ort wohl als Verspottung der „wahren“ christlichen Religion durch die „verdammten“ Juden aufgefasst. Als Rabbiner in jener Zeit ist in den Raittungen (Rechnungen) von Burgau „Leo Jude, Lehrmeister“ notiert. Gemeint ist Jehuda Schmuel (1538-1604), Sohn des Simon Ulmo-Günzburg, der mit Frau und Sohn verschiedentlich genannt wird, 1599 etwa „Leo Jud, Lehrmaister und sein Sohn Itzig Jud der Jung Lehrmaister und Schulklopfer“. 1602 heißt es statt „Leo“ (sowohl Lew als auch Leo dienten häufiger als Umschreibungen des Namens Juda) nun „Leb, Itzig Jude, Lehrmaister und sein Mueter“. Itzig kennen wir aus hebräischen Quellen als Itzchak ben Jehuda Schmuel Ulmo (1570-1618) . Seine Frau wird in der Liste ab 1619 folgerichtig als „Itzig Jüdin, Lehrmaisters Witib“, also als Witwe des Lehrmeisters Isaak verzeichnet.

Im Jahr 1617 veranlassten Markgraf Karl und seine fromme Frau Philippine aus dem Haus der Augsburger Patrizier Welser, das im Jahr 1614 seinen „Falliment“ erklärte, d.h. pleite war , die „Ausschaffung“ der Juden aus Burgau. Ob es wirklich zum Weggang der Juden führte ist unklar. Möglicherweise verließen die Burgauer Juden, die gerade den frühen Tod ihres Rabbiners zu beklagen hatten, den Ort unterhalb der Burg tatsächlich kurzfristig, um vielleicht in Scheppach oder Günzburg Unterschlupf zu finden. Spätestens nach dem Tod des letzten Markgrafen kehrten sie jedoch wieder zurück, weshalb wir ab 1619 sodann auch die Witwe des Rabbiners als Steuerzahlerin finden. Von 1622 bis 1631 wirkte sodann David, der Sohn des Isaak als Rabbiner, dessen Bruder Abraham siedelte sich in Pfersee an. Eine Rechnung aus selber Zeit über verlangte Abgaben für Stadtwächter aber auch für Kriegskosten an die Burgauer Juden in Höhe von stattlichen 200 Gulden. 1611 belief sich die jährliche Höhe der jüdischen „Sitzgelder“ auf rund 185 Gulden. Die Wächter wurden offenbar auch zur Abwehr der Infektion benötigt, an der viele Einwohner erkrankt waren und starben. Die Pest wird häufig als Argument gebraucht, um die Ausweisung der Juden aus Burgau zu begründen, doch wurde diese bereits 1617 angeordnet und bleib offensichtlich folgenlos. Als 1631 aber bereits schwedische Truppen immer tiefer nach Deutschland vordringen klagen nun die Juden in Burgau in Augsburg gegen den Burgauer Stadtprediger Kaspar, da dieser einigen Aufruhr erhebt, vor der Synagoge und dem Lehrhaus randaliert und Verleumdungen verbreitet oder auswärtigen jüdischen Händlern nachgeht und gegen sie mitunter handgreiflich wird. Einen Juden aus Steppach, wo wie in Pfersee Söhne und Enkel der Ulmo vor Jahrzehnten ausgesiedelt waren, habe er so mit einem Stecken angegriffen, usw. Mit dem weiteren Vormarsch der Schweden hatten Burgau wie auch der Dorfprediger im Folgejahr jedoch ganz andere Sorgen. Auch die jüdische Geschichte in Burgau endet mit den weitgehenden Zerstörung des Ortes.

Doch aus dem Jahr 1653 ist in Burgau der Jude Josef notiert, der gegen Wilhelm Konrad Schenck von Stauffenberg klagt, da dieser offenbar seine Schulden nicht bezahlen konnte. Da er als Josef von Burgau bezeichnet wird, ist anzunehmen, dass er tatsächlich am Ort lebte. 1665 wird über die Wiederansiedlung von Juden in Burgau verhandelt. Die Rede ist „wie von alters her“ von acht oder neun Familien. Christliche Prediger vor Ort sind anderer Ansicht und sprechen davon, dass sie „solches Ungeziefer“ nicht wieder haben wollten. Offenbar wurde dem Begehren zumindest einiger Juden trotzdem nachgegeben, da sich im Dezember 1668 der aus Pfersee stammende Jude Hertzog  in Burgau meldet und darauf hinweist, dass vor dem großen Krieg (wohl 1631) sein Großvater die Judenschule „auf eigene Kosten und zur Ehre Gottes und ihm zu Nutze und Heil habe erbauen lassen“, weshalb er nun darum bat, dass man ihn nun doch bitte nicht abweisen möge deswegen. Es ist zu vermuten, dass es sich bei jenem Hertzog (oder Hitzig) um Isaak, den Sohn des letzten Rabbiners David Ulmo handelte. Ob es ihm gelang das Gebäude in der heutigen Stadtstraße, dass den Krieg wohl wenigstens teilweise überstanden haben muss, wieder erlangte ist nicht bekannt, muss aber bezweifelt werden, da es in der Folgezeit nur noch spärliche einzelnen Nachrichten über Juden in Burgau gibt. Dabei handelt es sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lediglich um Bestimmungen für auswärtige jüdische Händler, die an jenen Tagen und Stunden am Markt sein dürfen.

Die vielleicht größte Anzahl von Burgau folgte dann aber wohl erst rund 275 Jahre nach dem Ersuchen von Isak Ulmo aus Steppach, als nämlich von 1944 bis 1945 für die Dauer etwa eines Jahres in Burgau ein Arbeitslager errichtet wurde, in welchem jüdische Zwangsarbeiter, die aus Osteuropa verschleppt wurden (während im Gegenzug schwäbische Juden nach Polen deportierte) für Messerschmidt im sog. „Kuno Werk“ im Scheppacher Forst Düsenjets montieren sollten. Insgesamt etwa 1100 Gefangene wurden dort unter schlechtesten Bedingungen zur Zwangsarbeit genötigt. Über die Anzahl der Toten gibt es keine Zahlen, jedoch wurde in einem Pressebericht anlässlich der Errichtung eines Gedenksteins vor einem Jahr, die Zahl von 18 namentlich bekannten Toten erwähnt. Diese sind in der Inschrift nicht aufgeführt, stattdessen ein deutsches Zitat aus dem Buch Hiob:

Wenn ich daran denke, erschrecke ich und mein Zittern ergreift meinen Leib

Und darunter: „Zum Gedenken an die Verfolgten der NS-Herrschaft. Ihr Leiden und Sterben sei uns Mahnung zu Toleranz und Menschlichkeit. Dieser Stein erinnert an diejenigen, die im Burgauer KZ-Außenlager gelitten haben.“

Dass es sich bei den Gefangenen um Juden handelte, war den Verfassern so wenig Notiz wert, wie auch sonst in Burgau eigentlich nichts mehr an die lange über zweihundertjährige jüdische Geschichte erinnert.

Am 23. April 1945 bombardierten US-Flieger siebzig startklare Messerschmitt Jets und das Werk entlang der heutigen Karlsbader Str. im Süden der Stadt. Im Norden hingegen befindet sich der jüdische Friedhof von Burgau, nördlich der Eichenstraße. Grabsteine sind keine mehr erhalten und der Platz selbst längst nicht mehr ummauert. Die Flächen werden landwirtschaftlich genutzt.

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Burgau today is a small town with some 9000 inhabitants but it has a rich history with a number of quite interesting Jewish aspects. For the period of a half millennium Burgau was capital and eponymous for the Austrian forelands of Margravate Burgau which reached from Ulm to Augsburg.

Simon ben Elieser Ulmo Günzburg (1506-1585) one of the most important scholars of his times lived in Burgau where he was a rabbi and head of a prominent yeshiva. His Jewish-German collections of sayings of course were inspired by the language of the region. Until 1631 there was a Jewish community in Burgau, which also had an own cemetery. The year after the Thirty years War (1618-1648) afflicted the town and region. In the following decades and century there are only scarce notes on Jews in the town. About 1668 Isaac from Pfersee, offspring of the former Burgau builder of the new synagogue for a last time tried to return to the heritage, but obviously failed. Christian preachers had warned against “such vermins”.

275 years alter however, when Burgau had some 3000 inhabitants in the south of the town there was the Burgau satellite concentration camp “Kuno Werke” with some 1100 Jewish prisoners abducted in Hungary and Poland, who were forced to assemble Messerschmitt jet fighters. The number of victims is not known, but last April a monument with a quote from the Book of Job was erected in order to commemorate this part of the past. However nothing reminds of the history of the almost three centuries long Jewish community of Burgau. The old Jewish cemetery north of Burgau’s Eichenstr. has no markers left and no fence or wall. It just is an arable field, dugged up for generations.

The (hand)writing on the pavement cobble says that “Burgau is older than Munich“, whatever this information does amount to. Actually Burgau is first mentioned in an Augsburg deed in 1147, Munich in 1158 (“Augsburger Schied”)

כבש הזהב של בורגאו

2 Responses to Burgau revisited

  1. Friedrich Widmann says:

    One jewish family from Burgau went to UK (Maerdy, RH, Glamorgan (? )in 1938. Descendants ar still living there.

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