Juden in Wallerstein


Wallerstein ist ein ca. 3.5 km nördlich der ehemaligen Freien Reichstadt Nördlingen gelegener Ort mit heute etwa 3500 Einwohnern, dessen früheste erhaltene urkundliche Erwähnung in das Jahr 1238 zurückreicht und im Besitz des Hauses Oettingen und schließlich Sitz des Fürstentums Oettingen-Wallerstein war, ehe Wallerstein 1806 zu Bayern kam. Das Siegel Ludwigs Graf von Oettingen aus dem Jahr 1339 ist markanter weise von einem sechszackigen David-Stern umgeben.

http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Oettinge-Siegel.png&filetimestamp=20080201211554

Ab etwa der selben Zeit sind Juden in Wallerstein nachweisbar. Zu den älteren Belegen zählen auch hier die nicht näher spezifizierten Verfolgungen der Jahren 1298 und 1348. Da es sich aber insgesamt um einen nur kleine Siedlung handelte, können auch in besseren Zeiten entsprechend auch nicht viele Juden dort gelebt haben.

Im 16. Jahrhundert freilich wirkte hier Mosche ben Abraham Ha-Levi Heller  (1520-1580) משה הלוי הלר – der Rabbiner und Richter und zeitweilig auch Reichsrabbiner war. Sein in Lublin geborener Sohn Abraham ben Mosche Ha-Levi Fraenkel Wallerstein war mit Rachel Loeb der Tochter von Jehuda Bezalel Loeb, dem Maharal von Prag verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn und Enkel von Mosche Heller war Rabbi Jom Tow Lipman Heller (יום-טוב ליפמן הלר) 1579 in Wallerstein geboren, bekannt für seinen ebenso umfang- wie geistreichen, ca. um 1615 vollendeten Kommentar zur Mischna „התוספות יום-טוב“ : http://hebrewbooks.org/14284.

Jom Tow gilt zurecht als einer der großen Talmudisten seiner Zeit und war unter anderem Oberrabbiner in Wien und Prag. 1629 wurde er unter dem Vorwurf, das Christentum beleidigt zu haben, verhaftet. Unter der Bedingung, dass er von seinem Amt in Prag zurücktrat und gegen die Zahlung eines erheblichen Lösegeldes in Höhe von 12.000 Gulden wurde er jedoch freigelassen.

Jom Tow Lipmans Darstellung des Jerusalemer Heiligtums nach der “Vision” des Profeten Jecheskiel (http://www.loc.gov/)

Im 17. Und 18. Jahrhundert lebten rund 200 bis 300 Juden (20 bis 40 Familien) in Wallerstein im später abgebrochenen Bereich „Judenhof“. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte das Königlich-Bayerische Bezirksrabbinat Wallerstein noch regionale Bedeutung, während die Anzahl der Juden auch hier kontinuierlich zurückging von ca. 300 zu Beginn auf knappe 30 zu Ende des 19. Jahrhunderts. Zu den einflussreichen Gelehrten Wallersteins zählen auch Pinchas bar Moses ha-Kohen Katzenellenbogen und Zwi Hirsch ben Baruch Kahana Rappaport. Unklar freilich ist, ob es in Wallerstein auch eine Jeschiwa gab, was freilich angesichts der prominenten Namen unter den Rabbinern des kleinen Ortes zu vermuten ist.

1933 lebten nur noch etwa ein Dutzend Juden in Wallerstein, das bereits über keine eigene Gemeinde mehr verfügte und seit 1928 Nördlingen angegliedert war. Wenig später freilich verschwanden auch noch diese wenigen Juden aus dem Ort, in dem heute nur noch wenig an die ebenso beachtliche wie lange jüdische Geschichte erinnert und in dem es leider keine Juden – aber auch keine restaurierte Synagoge – gibt, die an die alte Tradition anknüpfen könnte.

Der jüdische Friedhof von Wallerstein soll auf das Jahr 1510 zurückgehen – was sicher im Zusammenhang mit den Juden in Nördlingen stehen wird, die zu Beginn des Jahres 1507 die Reichsstadt als festen Wohnort aufgeben mussten.  Der etwa 700 m vom östlichen Ortsrand entfernte Friedhof liegt abseits inmitten von landwirtschaftlich bearbeiteten Feldern und war im dichten Morgennebel nur mit Hilfe von ortskundigen Traktorfahrern und einem vorauseilenden Wallersteiner Feldhasen zu finden.

Von den einst 900 Grabsteinen des Friedhofs sind heute noch etwa 300 mehr oder weniger gut erhalten. Die tatsächliche Anzahl von Gräbern muss bei der langen Geschichte aber wohl beträchtlich höher gewesen sein, jedoch sind fast nur Grabsteine ab dem 19. Jahrhundert erhalten. Am meisten beachtet sind die stattlichen sog. „Rabbiner-Gräber“, eine Gruppe von fünf hohen Grabsteinen, von denen zwei den Rabbinern David Weisskopf und Marx Kohn, die drei anderen jedoch ihren  Witwen und einer Tochter Kohns gewidmet sind.

Ebenfalls hier bestattet ist der in Hainsfarth geborene unter dem Toponym Ries geborene Michael ben Menachem Reese, der in den USA ausgewandert mit Immobiliengeschäften zu Ansehen und Reichtum kam und insbesondere durch das 1880 aus Mitteln seines Nachlass (Reese starb 1877 bei einem Besuch in der alten Rieser Heimat am Friedhof) finanziert wurde. Einige Jahre zuvor, 1871 war das Hospital der Hebrew Relief Association in Chicago bei einem Großbrand zerstört worden. Das nun geschaffene neue Krankenhaus stand allen Konfessionen und Nationalitäten. Das Hospital erwarb sich in der Folgezeit einigen Ruf, u.a. verfügte es als erstes über eine Inkubator Station für Frühgeborene.

Weitere Informationen zur Geschichte des Hospitals: http://forgottenchicago.com/features/chicago-architecture/michael-reese-hospital/

Vergleichsweise monumental fiel auch das Grabmal für Reese am Friedhof von Wallerstein aus. Den Vorstellungen des bescheiden lebenden und sehr wohltätigen Verstorbenen dürfte dies aber nicht entsprochen haben.

Weitere Infos, Biographien, Namens- und Grablisten finden sich im „Harburg Project“ von Rolf Hofmann: http://www.alemannia-judaica.de/harburgproject.htm

The Jewish history of Wallerstein is rich and has the names of such considerable scholars as  Moshe ben Abraham Ha-Levi Heller  and his grandson Yom Tov, famous author of the Tosafot Yom Tov commentary on Mishna. At the Jewish cemetery of Wallerstein, established about 1510 and half a mile east of the village on farmland and under foggy conditions best locatable with the help of farmers or brown hare, there still are some 300 headstones left, most remarkable the grave markers of two 19th century Rabbis along with three of their female relatives, commonly regarded as “Rabbinergraeber”. There also is the big monument of Michael Reese from San Francisco (born in Hainsfarth) whose name once was famous for the Michael Reese Hospital in Chicago, Illinois, which was build in 1880 and knocked down in order to establish the Olympic village for Chicago’s 2016 bid – the host however will be Rio de Janeiro – with a now uncertain future.

3 Responses to Juden in Wallerstein

  1. Alan Ehrlich says:

    Hello,

    Thank you for this website and the very interesting research you publish here!

    Notwithstanding, I have a small doubt concerning one point in the present article:

    “Sein in Lublin geborener Sohn Abraham ben Mosche Ha-Levi Fraenkel Wallerstein war mit Rachel Loeb der Tochter von Jehuda Bezalel Loeb, dem Maharal von Prag verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn und Enkel von Mosche Heller war Rabbi Jom Tow Lipman Heller (יום-טוב ליפמן הלר) 1579 in Wallerstein geboren.”

    Is there possibly a misunderstanding here? Weren’t, instead, Abraham ben Mosche Ha-Levi Fraenkel Wallerstein °° Rachel Loeb not the parents but instead the aunt and uncle of Jom Tow Lipman Heller (b. 1579)? Most sources I’ve seen do suggest that his father was Nathan ben Mosche Ha-Levi Fraenkel Wallerstein… brother of the above-mentioned Abraham.

    Friendly regards,
    Alan

  2. ronen says:

    it is amazing how many remarkable Jews were from that Swabia region in Bavarain Country

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