Gedenktage Augsburger Juden: 14. bis 17. März

March 14, 2023

am 14. März:

1728 Tod von Juda Auerbacher, Kriegshaber;

1837 Geburt von Getta Guggenheimer, n. Hess, gest. 1908;

1866 Geburt von Siegfried Bernheim, gest. 1937;

1871 Tod von Louis Löwenstein, geb. 1837;

1878 Geburt von Josef Kupfer, gest. 1936;

1912 Geburt von Friedrich Friedmann, gest. 2008;

1937 Tod von Saly Pflaunlacher, geb. 1864;

 

am 15. März:

1822 Tod von Ari Löb Wolf aus Schlipsheim;

1844 Tod von David Strauss, 56 Jahre alt;

1868 Tod von Julia Hanauer, 68 Jahre;

1870 Tod von Albert Weil, Kind;

1874 Tod von Heinrich Steinbock, geb. 1829;

1878 Tod von Mina Pickert, n. Gerstle, geb. 1813;

1898 Tod von David Schülein, geb. 1810;

1914 Tod von Gertrude Löb, n. Rheinheimer, geb. 1840;

 

am 16. März:

1755 Tod von Isaak ben Mendel, 79 Jahre alt aus Kriegshaber, Familienname unbekannt; …

1852 Tod von Heinrich Bachmann, 33 Jahre alt, „gemütskrank“ = Suizid;

1862 Tod von Leopold Weil, aus Pfersee, 74 Jahre alt;

1877 Tod von David Löffler, geb. 1817;

1881 Tod von Bertha Knapp, Kind;

1892 Tod von Bertha Schnell, n. Gutmann, geb. 1839;

1936 Geburt von Naum Frumkin, gest. 2002;

Augsburg Hesselberger Villa Augsburg Schaezlerstr

Villa der Hopfenhändler-Familie Hesselberger Ecke Schaezler- / Frölichstraße, 1938 “arisiert”, seitdem Polizeidienststelle.

am 17. März:

1830 Geburtstag von Moritz Höchstädter, gest. 1896;

1891 Geburtstag von Amalie Höchstädter in Augsburg, n. Bach, gest. 1982 in New York, bestattet in Augsburg;

1929 Geburtstag von Hugo Landauer, geb. 1867;

1892 Tod von Wilhelm Hesselberger, Hopfenhändler, gest. 1892;

1999 Tod von Dora Perlmutter, n. Neuburger, geb. 1912;

1848 Tod von Adelheit Löwenstein, aus Pfersee;

1823 Tod von Elia Skutsch, aus Kriegshaber;

1768 Tod von Miriam Ulmo, aus Pfersee, 87 Jahre alt, Frau von Simon Moses Ulmo;


Gedenktage Augsburger Juden: 17. und 18. Januar

January 16, 2023

am 17. Januar:

1701 Juda Moses Etthausen, aus Pfersee;

1748 Tod Baruch Israel Ginzburg, aus Kriegshaber;

1754 Tod von Marcus Mendl, 81 Jahre, aus Kriegshaber;

1816 Tod von Emma Reilinger, 46 Jahre alt, aus Schlipsheim;

1848 Geburt von Emma Bendel, n. Gunz, aus Fischach, gest. 1909;

1894 Tod von Leopold Hirschmann, geb. 1837;

1909 Tod von Max Goodman (Gutmann), geb. 1826;

1922 Tod von Roese Goldberg, n. Karfunkel, geb. 1849;

1849 Isaak Löb Kohn, aus Steppach, 77 J.;

 

am 18. Januar:

1738 Ze‘ev Baruch aus Wandsbek, 46 Jahre alt;

1838 Geburt von Ludwig Dann, gest. 1908;

1866 Tod von Jonas Steinhard 1866, gest. an Typhus;

1868 Geburt von Salomon Priester, gest. 1914;

1918 Tod von Rosa Schlossheimer, n. Berg, geb. 1854;

1930 Geburt von Boris Rapaport, gest. 2018;

1991 Tod von Hans Nathan Friedmann, geb. 1913;

2007 Tod von Khaim Shikhanovich, geb. 1915;


Die Geschichte der Juden in Emersacker

January 11, 2013

Emersacker Schloss

Castle of Emersacker

Emersacker ist ein kleiner Ort etwa 25 km nordwestlich von Augsburg gelegene Gemeinde mit etwa 1400 Einwohnern. Mit dem Flüsschen Laugna, dem Johannesbach und dem Weiherbach gibt es drei Wasserläufe.

Das Zentrum des Ortes an dem auch drei Wege zusammenlaufen ist durch das Burgschloss geprägt, dessen Anfänge auf das 12. Jahrhundert datiert werden.  Die Reste des ehemaligen Schlosses mit zwei kleinen Rundtürmen, werden von der Gemeinde als Rathaus genutzt  und stammen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Nach ihren Bauherren wird es allgemein „Fuggerschloss“ genannt. Andere, teilweise weniger gut gepflegte Teile des nicht mehr geschlossenen Ensembles beherbergen die freiwillige Feuerwehr (FFW) und die offenbar einzige (zudem nur abends geöffnete) Dorfgaststätte „Jonnys Kneipe mit Pfiff – Night Rider“ deren äußerer Fensteraushang auch schon etwas vergilbt ist. Die Bank und Sparkasse, der Bäcker und ein kleines Lebensmittelgeschäft haben nur bis Mittag geöffnet, wenn Schülerlotsen in den fast verkehrsfreien Straßen die kleinen Kinder aus der wenige Meter entfernten Schule sicher über die autofreie Straße bringen. Ansonsten besteht der Ort hauptsächlich aus privaten Wohnhäusern, worunter sich einige Neubauten befinden, die eigentümlichen Kontrast zum Zerfall wertvoller alter Bausubstanz stehen.

Emersacker Jonny's Kneipe mit Pfiff Night Rider

Emersacker Schloss Feuerwehr

Emersacker Castle from the outside: next to the pub is the volunteer fire department

Emersacker Rathaus im Schloss

Amtlichen Angaben gemäß sind neun von zehn Einwohnern Katholiken, es gibt einen Bürgerverein, der sich vor zehn Jahren gründete, um wegen der „Strahlengefährdung“ einen Sendemast für Mobiltelefone zu verhindern (wie man das heute sieht, wo jeder drei Smartphones und zwei Tablets hat?), einen Motorradclub der sich um die Restauration eines Feldkreuzes kümmerte und die besagte Musikkneipe, die der örtlichen Burschenschaft („Vereinszweck: Erhaltung und Förderung von Glaube und Sitte, Berufstüchtigkeit und Heimatliebe, Frohsinn und Scherz.“) die erforderlichen Trinkkrüge spendierte, während sich der örtliche Soldatenverein seit zwei Jahrzehnten für die Wiederbelebung der Emersacker WallfahrtMaria zum Blute“ stark macht.

Emersacker Kirchberg Schloss Bank

Blick vom Kirchberg auf Schloss und Hauptstraße

Emersacker Brunnen

fountain at Emersacker cemetery

Emersacker Kirche

St. Martin Kirche Emersacker

Emersacker Kriegsdenkmal Schloss

“Unseren Helden” War Memorial Emersacker

Schloss Emersacker

Schlossbau im Sumpfland

Kaum zu glauben, dass es auch mal eine jüdische Gemeinde in Emersacker gab, die seinerzeit mit etwa 25 Familien sicher die Mehrheit der Bewohner des Ortes ausmachte. Die Zuwanderer kamen auf Einladung der Augsburger Ortsherren Koch und Langenmantel vorallem aus Binswangen, aber auch sogar auch aus Fürth und Bamberg. Demnach ist es auch kein Wunder, dass den Emersacker Juden die alte Gebetsstube bald nicht mehr ausreichte und sie sich eine eigene  Synagoge bauten. Sogar zu einem eigenen Friedhof brachten sie es in Emersacker, weshalb wir auch Dank des Dorfbachs das unbedingte Tauchbad (Mikwe)voraussetzen dürfen. Die jüdische Blüte währte jedoch nur 15 Jahre.

Sparkasse Emersacker

Sparkassengebäude im Bereich der ehemaligen jüdischen Siedlung in Emersacker,  die um 1695 errichtete Synagoge?

Eine erste Ansiedlung in Emersacker soll bereits um 1580 bestanden haben, jedoch ist darüber sonst nichts bekannt und auch jüdischerseits gibt es dazu keine Quellen.

Die ersten Notizen über die Anwesenheit von Juden in Emersacker datieren in das Frühjahr 1685 als der Jude Moses Levi („Mauschi Leve“) Ende März ein Haus mit Grundstück kauft. Offenbar war er aber nicht der einzige Jude am Ort, denn bereits Mitte Mai, also kaum sechs Wochen später schließt die Gemeinde Emersacker mit der jüdischen Gemeinschaft einen Vertrag über Weiderechte, Wegegelder, Quartier, usw. was dem Ort immerhin jährliche zwanzig Gulden einbringt. Entweder war Moses Levi nicht der erste Jude der sich in jenen Wochen in Emersacker niederließ oder aber ihm folgten sehr rasch eine Reihe weiterer Familien. Im Januar wurde den Juden in Emersacker angetragen, dass sie die leer stehenden Gnadenhäuser übernehmen und ausbauen sollten. Als solche verstand man die von einer Ortsherrschaft für das arme Volk erbauten, meist eher dürftigen Hütten, deren Bewohner dementsprechend als „Gnadenhäusler“ bezeichnet wurde. Diese verdienten in der Regel als Tagelöhner ihr eher karges Brot oder waren auf bettelei angewiesen.

Emersacker Bachgasse

Schon 1658 war Emersacker in den Besitz der Fugger gelangt. Vierzehn Jahre später erwarb der böhmische Adelige Heinrich von Schaumburg durch seine Ehe mit einer Fugger den Ort. Er ließ aus seiner Heimat Klatovy (Klattau) eine Kopie eines Marienbildes fertigen, die sodann in der Kirche in Emersacker aufgehängt wurde. Die Landwirtschaft in Emersacker brachte wegen zahlreicher Überschwemmungen nicht viel ein, zudem war der Winter 1684/5 sehr hart und frostig. Während die Bausubstanz des Schlosses wohl unter Frostschäden litt, kostete die Versorgung der Bettler und Tagelöhner der Herrschaft viel Geld. Schaumburg kam deshalb auf die naheliegende Idee, aus dem nur knapp zehn Kilometer entfernten Binswangen Juden anzuwerben und ihnen gegen Gebühren und Abgaben die Gnadenhäuser unterhalb des Schlossbergs entlang der Hauptstraße und der Bachgasse (bei der heutigen Kreissparkasse) und Weiderecht bis zur Laugna käuflich zu überlassen, wo sie nun ihre Schafe und Rinder halten konnten und als Metzger und Händler den Ort belebten. Die unmittelbare Nähe zum Bach ermöglichte problemlos die Einrichtung einer zwingend erforderlichen Mikwe für die kleine Gemeinde. Der Auf- und Ausbau des jüdischen Emersacker verlief offenbar ganz gut. 1688 jedoch starb der Ortsherr von Schaumburg. Seine Witwe, die als gebürtige Fugger sicher ein besseres Leben gewohnt war, verkaufte den Ort desillusioniert an den Augsburger Patrizier Matthias Koch. Als Lutheraner ließ er Schaumburgs Marienbild, für das auch seine Witwe nichts übrig hatte, aus der Kirche entfernen und vor einem Baum aufhängen, wo es bald zum Anlaufpunkt der Katholiken und zum Gegenstand der Anbetung wurde. Dieses sollte sich nun steigern, weshalb man eine Kapelle für das Bild bauen wollte. Die Marienverehrung war zweifellos auch als Waffe gegen den protestantischen Ortsherren gedacht, vielleicht auch als Instrument gegen die Juden. Um das Jahr 1700 wurde nun für das Bild eine Kapelle gebaut und diese später zur Kirche erweitert. Der Umstand, dass das Bild scheinbar der Witterung trotzte und unbeschädigt blieb (was sollte bei täglicher Pflege durch fromme Pilger aber auch schon passieren?), wurde nun als „Wunder“ erkannt und zur Wallfahrt aufgerufen. Damit sollten nun Pilger angelockt werden, was dem Vernehmen nach aber nur mäßigen Erfolg brachte. Irgendwann schien die „Wallfahrt” auch schon einmal in Vergessenheit geraten zu sein, ehe man sie bereits um 1880 mal wieder aufleben ließ.

Emersacker Bach an der hauptstraße

In einem amtlichen Protokoll vom Mai 1688 sind nun bereits zwölf jüdische Haushaltsvorstände aufgeführt: Samuel, Jakob Levi, Schimmele (Samuel), Abraham, Hitzig (Isaak) mit einem Sohn, Natan Levi, Arele (Ariel) Levi, Schimmeles Sohn Natan, Jakob Sohn des Altmann, Matthes Schechter und Isaak Levi. Wir können davon ausgehen, dass sich bei jeden dieser Steuerzahler eine Familie mit Frau und Kindern, ggf. auch Geschwister und Gehilfen befand, weshalb man üblicherweise von acht bis zehn Personen pro Haushalt ausgehen kann. Die Menschen waren es damals gewohnt beengt zu wohnen, was in der Regel wenig anderes bedeutete, als in der knappen arbeits- oder schlaffreien Zeit in der Stube zu sitzen und sich aufzuwärmen. Trotzdem bedurfte jede Familie gewiss eines eigenen Hauses nebst Stallungen für das Vieh, Gerätschaften, aber auch Kutschen und Wägen mit welchen man in andere Orte zum Handeln fuhr.

Emersacker Pfarrer VerzeichnisAus dem Januar 1689 ist die Beschwerde des Pfarrers von Emersacker über den Christen Hans Kehrer erwähnt, der sich offenbar wohl mit jüdischen Kollegen ordentlich betrunken hatte und anschließend für Radau sorgte. Im Juni veräußert Moses Levi seinen Besitz an seine Söhne Jakob und Isaak Levi, während Natan ein Pferd verkauft. Am 15. Tamus des Jahres 5449 (bzw. Montag 23. Juni 1689) kommt es in Emersacker zur Hochzeit von Abraham Levi, dem Sohn des Ariel Levi mit „Schefe“ der Tochter von Matthes Schechter. Die Jungvermählten wohnten bereits in Emersacker.

Emersacker Kirche

Im August siedelt auch  David Levi aus dem fränkischen Schopfloch mit seiner Familie nach Emersacker. Ihm gleich tut es Moses Polak, der vorgibt, aus Binswangen zu stammen. Da dies aber offenbar nicht stimmt, wird er drei Jahre später, als es aufkommt, des Ortes verwiesen. Am 19. Mai des Jahres 1690 erhalten nach Vorsprache von Moses Polak und Moses Levi beim Ortsherren die Emersacker Juden nun sogar die Erlaubnis am Flurstück „an der kalten Ecke“ (an der Ecke Schmiedgasse und Bachgasse) einen eigenen Begräbnisplatz mit der Fläche eines Viertel Tagwerks (ca. 20 auf 40 m =800 m²). Der Friedhof sollte den Juden auch dann noch zustehen, wenn sie dereinst mal nicht mehr am Ort leben sollten. Ob er überhaupt benutzt wurde ist unklar, aber zumindest für die Zeit von 1690 bis 1696 recht plausibel. Für das Jahr 1690 nämlich finden sich in den Aufzeichnungen des Jakob Blumenstengel, seines Zeichens Vogt zu Biburg, unter den 24 gestorbenen Juden, deren Transport zum jüdischen Friedhof von Pfersee und Kriegshaber er aus steuerlichen Gründen protokollierte – für jeden Leichenzug musste Wegzoll gezahlt werden – auch auswärtige Juden notiert. Sie stammten aus Fischach, „Bünßwangen“, Siegertshofen und Emersacker. Entsprechende Notizen sind erst wieder für das Jahr 1695 erwähnt. Selbiges triff auch auf das 1696 als unter 27 registrierten auswärtigen Juden auch wieder welche aus Emersacker sind, bzw. auf Jahr 1698, als für neun tote Juden aus Kriegshaber, Emersacker und Binswangen Wegzoll entrichtet und protokolliert wird. Falls es sich bei diesen nicht um Fälle handelt, in welchen Familienangehörige zusammengelegt wurden, können wir doch davon ausgehen, dass der Friedhof der den Juden in Emersacker eingeräumt wurde, auch entsprechen genutzt wurde. Spuren finden sich davon heute freilich keine mehr.

Im Spätsommer des Jahres 1690 erwirbt der Pferdehändler Abraham Fromm ein weiteres ehemaliges Gnadenhaus und 300 Mauersteine aus welchen er einen Backofen baut und seiner Frau fortan das Gewerbe der Bäckerin ermöglicht. Am selben Tag an dem Abraham Fromm sein Haus erwirbt kommt es zu einem unerfreulichen Zwischenfall, da Matthias Schächter vom Dorfschmied beleidigt und tätlich angegriffen wird. Die Ursache des Streits ist unbekannt, jedoch wird der Schmied auf die Anzeige Schechters hin mit einer Geldbuße bestraft. Einige Monate später, im Mai 1691 wird Matthes Schechter selbst wegen Körperverletzung („Schlaghandel“) angezeigt, sein Opfer ist Natan Simon (der 1688 als Natan Schimeles Sohn aufgeführt wird). Im November des Jahres wird Schmuel Levi wegen Diebstahls angezeigt. Er hatte offenbar seinen Vetter Jakob Levi bestohlen.

Am 10. Dezember 1691, am vierten Tag des Chanucka-Festes bittet der bereits erwähnte Abraham Fromm mit seinem Bruder Jako Fromm aus Binswangen für dessen Aufenthaltsrecht in Emersacker. Da Jakob Fromm sich aber bereits seit 14 Tagen in Emersacker aufhielt ohne, dass er dafür eine Genehmigung erhalten hatte, musste zunächst eine recht saftige Strafgebühr von einem halben Gulden bezahlt werden.

Urkunde 1692 Emersacker Wertingen Juden Friedhof

Datiert auf den 4. Oktober 1692 betrifft das Schreiben “die Juden-Sepultur” in Binswangen, in welchen dort bestattete Juden auch aus Emersacker erwähnt werden. (“So viel die dem Inhaber Wertingen zu Nachstand aufgesteckte Juden-Sepultur anbelangt, weilen nit allein die Juden sich zu keinem Grund-Zins einverstehen, sondern als so gar von Emersacker all dahin geführter Juden halben gegen einen löblichen Burgauischen Oberamt geklagt worden, eine hönische Antwort erfolgt: Als ist des Herren Barons von Pappenheim verlangen, dass die Juden-Sepultur abgetan, und die Sach in alten Stand integrè gesetzt werden solle“).

Emersacker alte SchuppenReste eines alten Hofes in Emersacker

Im Februar 1692 erhielt Benjamin Levi aus Höchstädt, Bruder des Natan Levi das Aufenthaltsrecht in Emersacker. Im Frühsommer geriet Moses Polak in Streit mit dem Christen Hans Schmied wegen ausstehender Pfandrückzahlungen. Bei der Vorsprache beim Ortsherren Matthias Koch ergibt es sich, dass Polak bezüglich seiner Herkunft gelogen hatte und er nicht aus Binswangen stammte, wie er bei seiner Niederlassung angegeben hatte. Er wurde wie bereits gesagt, des Ortes verwiesen. Ob er wenigstens jetzt nach Binswangen ging, ist leider nicht bekannt.  Etwa zur selben Zeit langte der Emersacker Schmied wieder zu und wird dafür, dass er dem Pferdehändler Samuel Levi beleidigt und an der Gurgel gepackt und geschlagen haben soll, seitens der Ortsherrschaft bestraft. Man darf wohl vermuten, dass es bei einem handgreiflichen Streit zwischen einem Schmied und einem Pferdehändler um die Qualität und den Wert der geleisteten Arbeit ging.

Laugna bei Emersacker

 Bach Laugna bei Emersacker

Am 18. Juli 1692 gibt Abraham Fromm bekannt, dass das Kind seines Bruders in seiner Obhut gestorben ist und dass er bereit ist das „Todfallgeld“ zu bezahlen. Dieses war sicherlich die örtliche Gebühr, die von den Juden verlangt wurde, um ihre Toten auf ihrem örtlichen Friedhof beisetzen zu dürfen. Zweifellos war dies auch der Grund, warum den Juden der Begräbnisplatz gestattet wurde: er war für den Ortsherren eine weitere Einnahmequelle. Eine Woche nach dem Trauertag des 9. Aw war der Tod des Kindes für die Familie Fromm sicherlich ein sehr trauriges Datum. Da für das Jahr 1692 wie bereits gesagt Einträge für Überführungen von Emersacker nach Pfersee und Kriegshaber fehlen, können wir recht sicher davon ausgehen, dass der jüdische Friedhof von Emersacker tatsächlich benutzt wurde. In der Woche darauf gibt Simon Schlang zu Protokoll, dass er seine Tochter „Melam“ mit Maram Weyl aus Steinhart bei Oettingen verheiratete und dass der Bräutigam sich mit seiner verwitweten Mutter ebenfalls in Emersacker niederlassen möchte. Im Oktober erwarb Benjamin Levi nun ein eigenes Haus in Emersacker. Er war im Februar aus Höchstädt zu seinem Bruder gezogen. Maram Weyl hingegen kaufte das Gnadenhaus des Natan Simon, während Simon Schemel eine Sölde erwarb, also ein kleines Stück Wiese, wahrscheinlich für seine Schafe. Natan Levi und Abraham Fromm treten in Wertingen und Modelshausen aus Händler n Erscheinung und verkaufen dort Ochsen und Pferde. Ihnen behilflich sind Jakob Levi und Levi Salomon.

Im Februar 1693 wird das Haus des ausgewiesenen Moses Polak „vergantet“, das zwangsvollstreckt, bzw. versteigert. Im Mai wird dem vorhin genannten Levi Salomon der Zuzug nach Emersacker bewilligt, er stammte aus Fürth. Wenige Tage später starb Aaron Levi, der ebenfalls nicht nach Kriegshaber überführt wird, sondern wohl in Emersacker bestattet wird. Simon Schlang begleicht seine Schuld unter der Anwesenheit von Natan Simon als zeugen, bei der Witwe des Verstorbenen, die damit wohl die Begräbnisgebühr für ihren verstorbenen Gatten bezahlen kann. Im Oktober erwirbt sich der zugezogene Levi Salomon ein Haus. Im Januar 1694 überträgt Simon Schlang seinen Besitz auf seinen Sohn Jakob, der beim Ortsherren eigenartiger Weise geloben muss, zu gehen, so er dazu aufgefordert werden sollte. Im März 1694 kommt es wieder zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung. Salomon Levi verklagt seinen Vetter Benjamin wegen eines tätlichen Angriffs. Benjamin wird zu einer Strafe verurteilt, Salomon Levi wiederum soll seine Schuld von 12 Gulden bezahlen. Dies war offenbar der Anlass des Streits. Im April zieht nun auch Josef Max aus dem fränkischen Bamberg nach Emersacker, wo seit einigen Monaten auch Elias Epstein lebt. Im September folgt Josef Merk, dessen Herkunftsort nicht genannt wird.

Emersacker altes HausRemnants of Rural Architecture in former Austrian Swabia

Am 11. November bitten die Vorstände der Juden zu Emersacker, unter ihnen sind auch der Schächter Natan Schimon und Schmuel, darum auf dem am Vortag bewilligten Gnadenplatz ein neues „Judenhaus“ errichten zu dürfen, da das jetzt genutzte Haus „elend“ sei und man dort die nötigen „Ceremonien“ nicht mehr passend verrichten könne. Die jüdische Gemeinde von Emersacker erreicht nun ihren geschichtlichen Höhepunkt. Dies ruft auch sofort den Pfarrer auf den Plan, der sich jedoch mit den Juden über die Höhe der Stolgebühren einigen kann. Die jüdische Gemeinde verpflichtet sich dazu für nunmehr 22 Familien in Emersacker jährlich sechs Gulden zu zahlen und diesen Betrag zu erhöhen, falls die Gemeinde weiter wachsen sollte. Das neue Gebetshaus wird rasch gebaut und mit Jakob Levi aus Höchstädt und seiner Familie gibt es im März weiteren Zuwachs.

Im September 1695 werden die Schutzgelder für Isaak Levi und Matthes Schechter neu ausgehandelt, da der eine erblindet ist und keinem Gewerbe mehr nachgehen kann, während Schechter in der fertig gestellten und zu Suckot eingeweihten Synagoge nun die Funktion des Rabbiners und Schulmeisters einnimmt. Zwei Monate später stirbt Mosche Levi, der 1685 wahrscheinlich als erster nach Emersacker gekommen war. Mit seinem Tod geht womöglich auch die „gute Zeit“ in Emersacker zu Ende. Natan Levi übernimmt die Vormundschaft für die Waisenkinder. Da für das Jahr 1695 wieder eine Beisetzung aus Emersacker in Kriegshaber verzeichnet wird, kann es sein, dass dies Moses Levi betraf.

emersacker 1550Historical depiction of Emersacker about 1690

Im Januar 1696 bittet Matthes Schechter um Hilfe beim Emersacker Ortsherren, um von dem christlichen Händler Friedrich Rampf aus Binswangen die offenstehende Kreditsumme von 14 Gulden zurückzubekommen. Offenbar von der Forderungssumme eindruckt verlangt Matthias Koch nun eine höhere Abgabe von den Juden in Emersacker. Er teilt ihrem Rabbiner Matthes Schechter und dem Gemeindevorstand Samuel Levi mit, dass die jährliche Abgaben der Gemeinde nunmehr 25 Gulden betragen soll. Samuel Levi entschließt sich offenbar spontan den Ort zu verlassen und geht nach Steppach, weshalb schon wenige Tage danach sein Haus versteigert wird. Von dort kommt jedoch Abraham Eppstein nach Emersacker, der das Haus des Benjamin Levi erwirbt. Im Dezember 1697 verlassen auch Abraham Fromm und Benjamin Levi den Ort. Letzterer bittet ein Jahr später um seine erneute Aufnahme.

jüdische Figuren in Emersacker Kirche

Jewish shepherds as depicted in Emersacker Church St. Martin

Da seine finanziellen Vorstellungen offenbar nicht realisiert werden, verkauft Koch nun seinen Besitz wieder an die Fugger. Im Sommer 1700 mehren sich deshalb bereits die Verkäufe von Sölden und Häuser durch die Juden von Emersacker. Unter den Verkäufern sind Simon Schlang, David Levi, Jakob Levi, der Sohn des verstorbenen Moses Levi, Jakob Levi Höchstätter, Natan Levi, Natan Simon, Abraham Eppstein und Schmuel Levi. Im Jahr darauf ist nur noch Abraham Levi erwähnt, der in Emersacker Handel treibt. Als seinen Herkunftsort nennt man nun Schlipsheim. 1705 verkauft Juda Polak aus Steppach ein Haus, das ihm in Emersacker gehörte. Dieses hatte er offenbar ohne in Emersacker gewesen sein von Schmuel gekauft, der inzwischen nach Buttenwiesen übergesiedelt war. Im Jahr 1710 kommt Benjamin Levi wieder für ein Geschäft nach Emersacker, auch er wohnt inzwischen in Schlipsheim. Ähnlich verhält es sich mit Ber Levi und Isaak Levi, die 1712 gleichfalls zur Abwicklung von Geschäften aus Schlipsheim nach Emersacker kommen. Mit ihnen vor Ort sind auch Mayerle Levi und Feist Bacharach aus Binswangen sowie Lazarus Günzburger aus Kriegshaber (dem Besitzer des dortigen Zollhauses) und Chaim Abraham aus Buttenwiesen.

alte Segmühle am Bach in Emersackerthe old lumber brook mill of Emersacker

In den folgenden Jahrzehnten finden sich nur sporadische Hinweise von jüdischen Händlern in Emersacker, meist stammen sie aus Binswangen oder Buttenwiesen, sehr wahrscheinlich mit abnehmenden Bezug zu Emersacker. Nach dem Abzug der Juden aus Emersacker blieb dieses für zweihundert Jahre in der weiteren Entwicklung stecken, weshalb sich die demographischen Daten der Jahre 1700 und 1900 kaum unterscheiden.

Emersacker beSefer Shaar haChasak

Auszug aus dem hebräischen Buch HaSchaar haChasak (mit kleinen Setzfehlern) , etwa um 1750 in Lublin gedruckt, mit einer kurzen Beschreibung der landwirtschaftlichen Bedingungen von Emersacker und einer Würdigung des Rabbiners:

כפר הקטן בשואבין נקרא עמרסאקר בשם כי יש חיטה טובה אנשים קראים אמר או עמר

בסתיו ואביביש שיטפנות רבים כל ההשנה ותמיד הרס את היובל

חיטה טובה אבל האדמה היא ביצה

זכרונות מורה והראש קהילת ר מתיס שייכטער ב’ר אנשל נולד בעיר פירדא ומת בק’ק שטפאך ליד פרשא

( “… das kleine Dorf in Schwaben genannt Emersacker mit Namen, weil es dort guten Weizen gibt den die Leute Amer oder Emer nennen. Im Herbst und im Frühling gibt es jedes Jahr viele Überschwemmungen, welche immer die Ernten zerstören. Zwar wäre der Weizen gut, doch die Erde ist ein Sumpf.

Gedenken an den Lehrer und Haupt der Gemeinde Rabbi Matis Sohn des Rabbi Anschel, geboren in der Stadt Fürth, gestorben in der heiligen Gemeinde Steppach bei Pfersee.”)

Wie man sich vergewissern kann, ähneln die örtlichen Bedingungen in Emersacker denen in Schlipsheim doch einigermaßen, abgesehen davon, dass es von dort nicht weit zu den FaGaSch-Gemeinden war.

https://jhva.wordpress.com/2011/11/17/uber-die-juden-im-schwabischen-schlipsheim/  

Bocksberg (Laugna) Emersacker Schafe

From about 1685 until 1700 there was a vital Jewish community in Emersacker with an own synagogue and cemetery, although today the Jews of Emersacker are almost forgotten. Almost …

Quellen: Adel: Fugger-Laugna, Lit. 20-22 (Emersacker Amtsprotokolle) in: http://digbib.bibliothek.uni-augsburg.de/1174/1.1_Archivfuehrer.pdf (dort auch Einträge zu Bocksberg, Laugna, Leitersbrunn, etc.)

ספר השער החזק

Koutná-Karg, Emersacker im späten 17. Jahrhundert. Bemerkungen zu der jüdischen Gemeinde, in: JHVD 93 (1991)

www.emersacker.de

www.statistik.bayern.de


Über die Juden im schwäbischen Schlipsheim

November 17, 2011

Schlipsheim liegt vier Kilometer westlich von Steppach und ist wie dieses seit rund 40 Jahren Teil des Städtchens Neusäß welches westlich von Augsburg ist. Mit rund 500 Einwohnern ist Schlipsheim der kleinste der nach Neusäß eingemeindeten Orte.

Postcard of Schlipsheim with an unknown tower or church (ca. 1910)

Out of Schlipsheim. Zwar wird die Geschichte des „Straßendorfes“ bis ins 10. Jahrhundert zurückdatiert, jedoch handelt es sich dabei nicht um Geschichte im Sinne erzählter Geschichten, sondern eher um Datierungen, auf die in zunächst recht großen Abständen weitere folgen. Die werden dann mit der Zeit kleiner, aber etwa achthundert Jahre nach den legendären Anfängen – im Jahr 1719 – (er)zählt der Hainhofener Pfarrer Mayr in Schlipsheim ganze elf Häuser. Seinem Bericht nach hatte der Ortsherr Josef von Rehlingen „die Juden“ in dem Ort aufgenommen. Sehr viele können dies jedoch nicht gewesen sein, obwohl bekannt ist, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im benachbarten Steppach und Kriegshaber, zeitweilig wohl auch in Leitershofen Juden lebten, nicht zu vergessen in den näher bei Augsburg liegenden Dörfer Oberhausen und Pfersee jüdische Gemeinden vorhanden waren. In Steppach und Kriegshaber bildeten sich gar stattliche Zentren mit mehreren hundert Menschen heraus.

Immer beliebt sind auch Einträge aus Regierungsakten, die Aufschluss geben über Steuerleistungen, die Juden in einzelnen Dörfern leisten konnten, durften, wollten oder mussten, da sie ggf. zumindest etwas über die Wirtschaftskraft der Juden besagen können, wo es schon sonst an Erkenntnisse mangelt. Im letzten Quartal des Jahres 1754 zahlten im österreichischen Burgau die Juden von Kriegshaber 43 Gulden, Ichenhausen 36 Gulden, Buttenwiesen 25, Binswangen 15, Hürben 12, Pfersee 9, Steppach 8 und Schlipsheim 1 Gulden und 45 Kreuzer. Für einen Gulden konnte man 5 Mahlzeiten in einem Gasthof mit 10 Liter Bier erhalten. Da in dieser Zeit der Monatslohn eines Tagelöhners etwa bei 5 Gulden, der eines Buchhalters bei ungefähr 30 Gulden lag, kann man sich unschwer ausmalen, dass der Beitrag aus Schlipsheim nicht gerade üppig war.

In Philipp Röders 1792 erschienenem zweiten Band des „Geographisch Statistisch-Topographischem Lexikon von Schwaben“ heißt es zur Ortsbeschreibung von Schlipsheim: „Dorf und Schloss an der Schmutter im Burgau, gehört dem Kloster heil. Kreuz in Augsburg. Am Anfang dieses Jahrhunderts gehörte es den von Rehling, kam an die Bach und ist 1785 durch das Oberamt Günzburg an das Kloster heilig Kreuz in Augsburg um 21.000 Gulden (fl.) verkauft worden. Hier sind auch Juden, die eine Sinagoge haben.“

Erste ordentliche Statistiken aus dem Jahre 1809 zählen im „Lechkreis“ im Landgerichtsbezirk Göggingen 650 Juden, davon 104 in Schlipsheim, 82 in Pfersee, 169 in Steppach und 295 in Kriegshaber. Zwei Jahre später, 1811 zählt man in Schlipsheim nur noch 36 Juden, 103 in Pfersee, 181 in Steppach und in Kriegshaber 243. (Montgelas-Statistiken, 25 Bde.: Volkszahl in Bayern, 1809/10, 1811/12, Band 10)

1818 vermerkt Georg Heinrich Keyser in seiner Beschreibung „Augsburg in seiner ehemaligen und gegenwärtigen Lage“ (S. 123) ganz eigentümlich: „Schlipsheim, Ort, von Juden bewohnt, mit einem Schloss. Man findet hier einen Israelitischen Opticus, der gute Augengläser macht.“ Das genannte Schloss wurde bereits 1823 abgerissen, wie es hieß wegen Baufälligkeit. Als einziger Überrest gilt die Nikolaus-Kapelle an der heutigen Schlipsheimer Straße.

Depiction of the old Schlipsheim castle from a painting inside the St. Nikolaus chapel

Das Bayerische Intelligenz-Blatt für den Ober-Donau-Kreis erwähnt im Jahr 1828 den aus Schlipsheim stammenden israelitischen Schul-Expendanten (Anwärter) Aaron (Ascher) Fränkl der zum israelitischen Schuldienst in Altenstadt (Illereichen) befördert wurde. Im Jahr darauf meldet das Blatt seine Ausstellung, womit die Zurückstellung vom Militärdienst gemeint war, „mit einem außer seinem Schullehrers Gehalte dem selben ausgeworfenen Wehr-Bezugs von 60 Gulden (fl.) und 20 Gulden Mietzinsvergütung“. Aaron Ascher Fränkls verwitwete Mutter Sara wohnte in Schlipsheim in einem der neun Wohnungen im sogenannten „Judenhaus“. In Altenstadt heiratete er Viktoria, die Tochter des wenige Tage vor der Hochzeit im Januar 1829 verstorbenen Mosche Katz, der als Geldmakler in Rottweil bekannt war und seiner Tochter eine Mitgift von tausend Gulden ermöglichte. Seine Frau und Viktorias Mutter Sara hingegen stammt wie ihr Schwiegersohn Aaron Ascher aus Schlipsheim, wo sie als Tochter des Krämers Mayer Samuel geboren wurde. Ascher blieb bis zu seinem Tod 1851 Lehrer in Altenstadt.

Für das Jahr 1832 wird der Ort in Josef Eisenmanns bayerischem Lexikon mit 56 Häusern und 350 Einwohnern beschrieben. Erwähnt wird auch eine hölzerne Brücke über die Schmutter mit „50 Schuh Länge“, was in etwa der Breite des kleinen, sich bei Schlipsheim oft windenden (mäandernden) Flüsschen entsprechen könnte.

Aus dem August 1825 stammt eine Notiz von Karl F. Stuhlmüller (1787 – 1832), seines Zeichens „königlich baierisch Polizey Commissair, Vorstand des Zwangsarbeitshauses zu Plassenburg und Mitglied des Civilverdienst-Ordens der baierischen Krone“ der in seinen einschlägigen „Vollständigen Nachrichten über eine polizeyliche Untersuchung gegen jüdische durch ganz Deutschland und dessen Nachbarstaaten verbreitete Gaunerbanden“ und zahlreichen Punkten auch sogenannte Passvergehen erwähnt. Unter (vielem) anderen prangert der Kommissar die Unsitte an, dass Ortsvorsteher Juden, die vorgeben ihre Pässe verloren zu haben, gutgläubig Atteste ausstellten. Entsprechend handelte dann wohl auch Ortsvorsteher Schmidt zu Schlipsheim, der dem „Erzgauner Baruch Benjamin“ ein solches Attest ausstellte und damit offenbar die Weiterreise ermöglichte. Baruch Benjamin stammte der Beschreibung gemäß aus dem fränkischen Fürth, wo ihm wegen nicht genannter Delikte der Pass erst abgenommen wurde. Mit dem Attest nun konnte er in Hall am Neckar einen neuen Pass erhalten und ganz ungestört seine Gaunerstreiche unter der Maske eines ehrlichen Handelsmann fortsetzen. Damit dürfte jener Baruch Benjamin nun einer der wenigen gewesen sein, der Schlipsheim etwas Positives abgewinnen konnte, denn die allgemeine Beschreibung des Ortes muss wohl recht trostlos gewesen sein.

Depiction of a Kohen who instead of doing a Shechita obviously is trying to stab in the back of the animal, what of course reveals that the artist had not the faintest idea regarding the practise he wanted to illustrate …

Worin in jener Zeit der Reiz bestanden haben mag in Schlipsheim zu wohnen, erschloss sich sodann auch dem Verfasser des „Archiv für die Geschichte des Bistums Augsburg“ Anton Steichele nicht so recht. Im zweiten Band seines Werkes aus dem Jahr 1858 schreibt er: „Die Feld- und Wiesenflur des Dorfeserstere auf einem niederigen Hügelrücken westlich des Ortes, letztere an der Schmutter ausgebreitet, gehört nur Wenigen, nämlich zwei großen Bauern, dem Wirt und vier Sölden an. Die übrigen Bewohner leben nur von der Hand in den Mund als Taglöhner, Besenbinder, Hirten, etc. in der Nähe und Ferne Erwerb suchend. Darum (dafür) ist Schlipsheim auch weit bekannt, wenn auch ohne Ruhm.“ (Band 2, S. 359) Direkt schmeichelhaft für die Schlipsheimer war auch das nicht.

rear view of the former so called “Judenhaus” (Jews house) of Schlipsheim

Das sogenannte Schlipsheimer „Judenhaus“ nun befand sich am südlichen Ende des heutigen Ortes an der von Hainhofen führenden Schlipsheimer Straße, etwa 300 m von der Schmutter entfernt, von der die Hauptstraße von saftigen, mitunter sumpfigen Wiesen getrennt ist. Die Bewohner des בית היהודים besaßen keines der großen Grundstücke, hatten aber zu gleichen Anteilen gemeinsamen Nutzen an den Wiesen (2004, 55 ההיסטוריה הגרמנית-יהודית שירשנו, עמ הנרי וסרמן,). Heute ist das Haus dreigeteilt mit den Hausnummern 124-128. Der vordere Teil des Hauses wurde vor Jahren abgerissen und neu aufgebaut.

בית היהודים לשעבר בכפר שליפסהיים

Zeitweilig lebten bis zu 50 Personen im Haus, das wohl etwas übertrieben mitunter auch als „Synagoge“ bezeichnet wird. In den 1840er Jahren sind einige Namen der Bewohner des Hauses überliefert. Unter anderem lebten hier die Familien von Isaak Weil, Abraham Gruber, David Heinemann wie auch die bereits erwähnte Sara Fränkel. Da wie im obigen Beispiel zitiert, 1809 offizielle Statistiken über hundert Juden in Schlipsheim verzeichnen, ist es zweifelhaft, ob es am Ort wirklich nur dieses eine „Judenhaus“ gab, in welchem Juden am Ort lebten. Der frühere Flurname „Judendauch“ deutet recht sicher auf die Existenz einer Mikwe in Schlipsheim hin. 1852 ermittelt die “Unions-Volkszählung” im Dorf Schlipsheim, dass noch 40 Personen im “Judenhaus” wohnten, aber seinen Namen nach inzwischen treffender “Christenhaus” genannt worden wäre, da bereits 22 der 40 Bewohner Christen waren (siehe Stadtarchiv Neusäß).

Auch im benachbarten Ortsteil Hainhofen soll es in früheren Zeiten einen „Judenberg“ (Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, S. 277) gegeben haben und einen nordwestlich außerhalb des Ortes gelegenen „Judenweg“, der aber wohl nur eine unbewohnte umgangssprachlich so titulierte Wegstrecke war.

reflecting gallows at river Schmutter some 400 m from the former Hauptstr. in Schlipsheim

Über das Ende der jüdischen Gemeinschaft in Schlipsheim berichtet „Der Israelit“ in einer Meldung vom 20. November, in welchem die Frage aufgeworfen wird, was nachdem die „Synagoge“ der Gemeinde aufgehört hat zu existieren, nun mit dem Inventar des Betraums geschehen soll. Ein Herr K. hat die beiden noch vorhandenen Tora-Rollen nach München „zum Verkauf geschickt“. Eine (weitere) Rolle wurde offenbar von einem Betrüger ergaunert und in Augsburg an einen Händler verkauft, der die Rolle wiederum in Nürnberg weiterverkauften haben soll. Damit endet sodann die Geschichte der Juden in Schlipsheim, im früher gängigen Klischee (heutige Schlipsheimer sind ganz gewiss ehrbare Leute) fast schon wieder ortstypisch mit einer Gaunerei.

* * *

Besten Dank für die Führung durch die kleine Kapelle St. Nikolaus von Tolentino und zahlreiche Erläuterungen an Fr. Bührle in Schlipsheim

* * *

Als bekanntester Schlipsheimer gilt der 1819 dort geborene Maler und Kunsthändler David Heinemann, der seit 1872 in München lebte und zumindest ab 1884 eine angesehene Kunsthandlung (am Promenadenlatz, ab 1903 am Lehnbachplatz, bald mit Filialen in Frankfurt und Nizza) besaß, die zunächst von seinem Sohn Hermann (1857-1920) und schließlich die bis zur „Enteignung“ durch die Nazis im Jahre 1938 noch von seinem Enkel Theo weitergeführt wurde. Zwei seiner eigenen Werke, darunter sein Selbstportrait befinden sich im Münchner Stadtmuseum.  Die Online-Datenbank der „Galerie Heinemann“ erfasst heute weit über 40.000 bedeutende Gemälde aller Epochen (siehe: http://heinemann.gnm.de).

David Heinemann (http://heinemann.gnm.de)

 


Karte: Die Juden in Bayerisch-Schwaben

January 31, 2010

Orte mit nachmittelalterlicher jüdischer Geschichte im Bayerischen Schwaben, in Nordschwaben, der ehemaligen österreichischen Marktgrafschaft Burgau und im Medinat Schwaben.

Places in Bavarian Swabia, Northern Swabia, the former (Upper) Austrian Margravate of Burgau and Medinat Shwaben with postmedieval Jewish history.


Synagoge Kriegshaber

July 18, 2007

Synagoge Kriegshaber UmgebungSynagoge Kriegshaber front

Alte “Judenhäuser” KriegshaberKriegshaber Thora Vorhang 1723 Synagoge Kriegshaber Rückseite

 

Die jüdische Gemeinde im (bis 1805)(vorder)österreichischen Kriegshaber bestand hauptsächlich entlang der Hauptstraße (heute Ulmerstraße), zwischen dem (von Juden erbauten) „Zollhaus“ und dem „Spectrum“ (ehemalige Turnhalle).

Wie die Gemeinde geht auch ihr erstes Bethaus wenigstens auf die Zeit um 1540 zurück, ist aber wohl älter. Im nordöstlich benachbarten Oberhausen bestand c. von 1420 bis 1560 eine kleine jüdische Gemeinschaft an der Zollernstraße unweit des alten Oberhausener Schlosses (heute: Josefinum-Klinik). Auch bei Christen war Kriegshaber zunächst eine Oberhauser Filialgemeinde. Die heutige Kirche gegenüber der Synagoge wurde erst sehr spät, um 1870 gebaut, nachdem am selben Platz ein geplanter Neubau einer liberalen Synagoge mit orientalischen Fassaden mangels Interesse nicht zustande kam.

Der stattdessen weiter benutzte Bau basiert auf den bereits 1550 genutzten Wohnhaus, wurde aber mehrmals baulich verändert. An die für die Mikwe hinter der Synagoge benötigten Wasserquelle erinnert heute noch der christliche “Brückenheilige” Nepomuk, während der Bach inzwischen verschwunden ist. Der heutige “Synagogen”-Bau geht auf das Jahr  1669 zurück und wurde 1729 und 1840 renoviert. Von 1862 bis 1912 hatte das Gebäude bunte, rot-blaue Fenster. Die letzte Restaurierung war 1913. Anders als die Nachbargemeinden in Pfersee, Steppach und Schlipsheim die alle die 1870er Jahre nicht überstanden, blieb die Kriegshaber Gemeinde bestehen, freilich auch nur bis 1941. Die Synagoge wurde von lokalen Nazi geschändet und entweiht, aber nicht zerstört.

1945 nutzen jüdisch-amerikanishe Soldaten zusammen mit einer Anzahl meist aus Osteuropa verschleppter sog. „KZniks“ das halbwegs intakte – wie bereits 400 Jahre früher – als simplen Betraum, für den es nur einen Tisch, einen Schrank und eine Handvoll Stühle bedurfte. Bis 1951 gab es freilich nur sporadische Gottesdienste. Im selben Jahr endete man auch damit, am jüdischen Friedhof von Kriegshaber / Pfersee zu begraben.

Hernach wurde das Gebäude verkauft und aufgeteilt. Unterhalb des Betraums befand sich eine Wohnung (die zuletzt von einem Kroaten bewohnt war, der dem Verfasser bekannt ist). In den letzten Jahren stand das Gebäude leer und litt stark durch Witterung. Eine Reihe von Nutzungs-Ideen scheiterten an mangelnden finanziellen Mitteln. Der jüdischen Gemeinde in Augsburg, die mit etwa 1800 Mitgliedern ihren historischen Höchststand erreicht hat, käme eine zweite Synagoge durchaus gelegen, da viele der russisch-sprachigen, überwiegend älteren Aussiedler in den Stadtteilen Pfersee, Kriegshaber und Oberhausen wohnen.

Finanziellen Support dafür wird es aber nicht geben, denn so viel „Normalität“ braucht es dann doch wieder nicht. Das Gebäude wird also entweder baufällig einkrachen (10 %-Wahrscheinlichkeit, möglich, aber zu schlechte Publizität), weiterhin behelfsmäßig ausgebessert und neu gestrichen (20 %-Wahrscheinlichkeit, weil billig und „fachmännisch“ begründbar), an einen privaten Investor veräußert, der das Haus komplett umbaut (wie in Harburg), sich aber der historischen Bausubstanz bewusst ist und die strengen Auflagen des Denkmalschutz einhält und übererfüllt (20 %-Wahrscheinlichkeit, weil kostet nicht viel, sondern bringt sogar Geld (doch dann: wohin damit??) und beseitigt das alle Jahre wieder mal aufkommende leidige Thema), offizielle Umwidmung mit richtig viel Geld aber ohne rechtes Konzept und Bedarf zum „Dokumentationszentrum für das schwäbische Landjudentum“, „Begegnungsstätte Kriegshaber“, wo man Weihnachtslieder mit Klezmer, Döner und Räucherstäbchen vermischen kann, für 5 Millionen Euro, damit dort später eine wissenschaftliche Hilfskraft zwei Mal im Monat erklärt, was den Zerstörungen entgangen ist und was es bedeutet haben könnte. Wahrscheinlichkeit 45 %, da „die große Lösung“ der aufstrebenden Boomtown-Region Augsburg am ehesten nahesteht. Die restlichen 5 % bleiben übrig für nicht erwartbare, aber auch nicht kategorisch auszuschließende Überraschungen, wie etwa Ankauf durch die Lauder-Stiftung, die in Kriegshaber eine Charedim-Kolonie ansiedelt oder Chabad, die Kriegshaber für sich entdecken, … vielleicht wartet man aber auch bis das Gebäude zur Moschee konvertieren werden kann. Wir werden es sehen, oder auch nicht.

Eine jüdische Gemeinde, die es von 1540 bis 1940 hier gab und seitdem nicht mehr, wird es aber nicht mehr geben. Wetten?