Die Einzelbestimmungen des „Augsburger Judenrechts“
Unsere eigene Übersetzung (COPYRIGHT!) der Bestimmungen aus dem Stadtrecht will einerseits für heutige Leser verständlich sein, andererseits aber wo immer möglich auch den Eigencharakter des mittelhochdeutschen Textes bewahren.
§ 1 Welch Recht die Juden haben sollen, die hier zur Stadt wohnen
Hat ein Christ zu klagen gegen einen Juden, soll der Vogt auf ihrer Schule richten mit den Bürgern und den Juden. Und wenn sie mit ihren Fürsprachen gegeneinander stehen, so soll der Vogt einen Christen fragen und ihr Richtereinen Juden, und man soll die Urteile dann zusammen nehmen und nach der Mehrheit folgen. Und wenn dem Juden ein Eid erteilt wird, so soll er für den Eid vierzehn Tage Frist haben und er soll ihn dann tun vor dem Vogte auf der Schule nach jüdischem Recht. Wird aber dem Christen ein Zeugnis erteilt gegen den Juden, das er nicht bezeugen will, wenn er selbst Dritter ist, sollte davon einer auch ein Jude sein.
§ 2 Wenn ein Jude einen Christen verklagt
Klagt ein Jude gegen einen Christen, welche Sache es auch ist, betrifft esdas Gericht des Vogtes oder des Burggrafen, so soll er den Eid des Christen nehmen. Will er aber bezeugen, soll er das tun zu dritt, mit demselben und mit zwei Christen.
§ 3 Bezüglich eines beschlossenes Pfands, das man Juden setzt
Wird einem Juden ein beschlossenes Pfand gesetzt ohne Bürgen, so soll er gehalten Jahr und Tag, ist es der Pfennige Wert. Ist es ihr nicht wert, so mag er den Burggrafen klagen, dass man ihm mehr Pfand geben soll oder dass er es rechtskräftig verkaufen kann.
§ 4 Wenn ein Christ und ein Jude zu Kriege werden
Wird einem Juden ein Pfand gesetztund werden der Christ und der Jude miteinander zu Kriege, entweder weil das Pfand so viel stand oder so lange und hat der Jude das Pfand in seinem Gewahrsam, dann soll der Christ es auslösen, wofür der Jude es bereit ist zu geben.
§ 5 Wenn ein Jude auf ein Ross leiht
Leiht ein Jude seine Pfennige auf ein Ross, soll er es zum Fütterer stellen und soll Bürgschaft darauf nehmen. Geschieht dem Ross durch Verschulden des Juden ein Schaden, soll er den Schaden tragen. Geschieht aber dem Ross ohne Verschulden des Juden ein Schaden, sollen der Selpschol oder seine Bürgen den Schaden tragen.
§ 6 Wenn ein Christ sein Gut, das ihm gestohlen wurde in der Gewalt eines Juden findet
Findet ein Christ sein Gut, das ihm gestohlen oder geraubt wurde, in der Gewalt eines Juden, soll der Jude ihm dafür das Hauptgut erstatten. Dünkt der Christ aber der Lösung zu viel, soll ihm der Jude es beweisen nach jüdischem Recht. Es soll auch kein Jude ein beschlossenes Pfand entgelten, das um ein Drittel teuer ist.
§ 7 Es soll kein Jude leihen auf ein Messgewand noch auf einen Kelch noch auf den nächsten Tag, was mit Gewissheit zur Kirche gehört.
§ 8 Es soll kein Jude von einem halben Pfund Pfennige mehr Nutzen nehmen, als zur Woche zwei Pfennige und von Sechzig einen.
§ 9 Fließt einem Christen sein Pfand, und bekommt er das Pfand nicht wieder, so soll es der Jude dem Christen nach seinem Eid entgelten.
§ 10 Schlägt ein Christ einen Juden zu Tode oder ein Jude einen Christen oder verwundet einer den anderen, oder wenn ein Christ einen Juden oder ein Jude einen Christ zur Gewalt anstiftet oder die Juden untereinander, sei es mit Totschlag oder, dass einer den anderen verwundet, soll man dem Vogt büßen, wie es in seinem Recht geschrieben steht.
§ 11 Liegt ein Jude bei einer Christin und findet man beide bei der Freveltat, so soll man beide verbrennen. Ist es aber, dass der Vogt inne wird, dass sie voneinander kommen, lädt ihn der Vogt vor Gericht deswegen, so soll er seine Gunst gewinnen nach seinen Gnaden, ob man ihm bringt, was Recht ist.
§ 12 Begeht ein Jude einen Diebstahl an einem Juden oder Christen und wird er bei der Freveltat gefunden, so soll man sofort über ihn richten, was Recht ist. Kommt er aber davon und wird darum vor Gericht geladen, so soll man ihm bezeugen was Recht ist oder man soll sein Recht darum nehmen.
§ 13 Wenn ein Jude Fleisch schlachtet, es sei Rind, Schaf oder Kalb, das soll er selber töten. Und wenn er das nicht will, dann sollen die Juden eine besondere Bank haben und ein Jude soll darüber stehen und es verkaufen und kein Christ, und derselbe Jude soll einen Judenhut aufhaben.
§ 14 Es sollen die Juden auch gesondert baden und mit keinen Christen.
Diese ursprüngliche Regelung aus dem Stadtbuch von 1276 besagt schlicht, dass Juden getrennte Bäder benutzen sollten, was ganz und gar im Interesse der Juden lag und auf der Vorgabe des Wormser Privilegs basierte.
Bemerkenswert am Augsburger Stadtrecht ist nun eine ausführliche Ergänzung, die nur 14 Jahre später handschriftlich in das Stadtbuch aufgenommen wurde:
In Namen des Herren! Wir die Ratgeber der Stadt Augburg tun kund allen, die diesen Brief lesen, hören oder sehen, dass uns die Juden von der Stadt Augsburg lange angelegen sind mit der großen Bitte, dass wir ihnen erlauben ein Badehaus zu machen, in dem sie und ihre Kinder und ihr Gesinde innen baden wann es ihnen fügt, dass sie uns nicht Ungemach täten in unseren Bädern und keine Gemeinschaft dort mit uns hätten. Da sind wir übergesessen mit guter Betrachtung und sind überein gekommen mit dem großen Rat, mit dem kleinen Rat und mit der Gemeinde der Stadt überall, das wir in vereintem Mute und mit guten Willen erlaubt haben, das Haus des Haerpher und das Spital Badehaus, mit der Bescheidenheit, dass sie und ihre Kinder und ihr Gesinde, die ihr Brot essen, Juden und Christen, und auch Juden von fremden Landen und fremden Städten da baden mögen und sollen, wann (immer) es sich fügt. Und der Wirt der dann des Badhauses Pfleger ist, soll keinen Christen baden zu keiner Stunde, der nicht ihr Gesinde ist, weder Bürger, noch Gast noch ledigen Mann. Verstößt er dagegen, keinen Christen zu baden, er wäre Bürger, Gast, Wirt oder lediger Mann, und bringt man vor, dass es gegen das Recht ist, so schuldet er dem Vogt und der Stadt eine Strafgebühr fünf Schillinge Augsburger Pfennige, so oft wie er es bricht und die Strafgebühr gehört dem Vogt und der Stadt.
Da dieser Brief gegeben war, waren von Christus Geburt zwölfhundert Jahre in dem neunzigsten Jahr am Sankt Nikolaus Abend.
Mit diesem nachgearbeiteten Passus endet das 18. Kapitel des Augsburger Stadtrechts von 1276 bezüglich der Bestimmungen für die Juden in der Stadt, die regeln sollten, welche Rechte sie daselbst haben sollten.
Wie war es darum nun bestellt? Was können wir daraus ableiten? Zunächst können wir feststellen, dass anders als in den Bestimmungen zwischen der (noch) Freien Reichstadt und den Juden aus dem Jahre 1803 – die wir an späterer Stelle ausführlich besprechen – ihr Aufenthalt in Augsburg an keine Bedingungen geknüpft wird. Entgegen der weit verbreiteten Auffassung, Juden sei im Mittelalter nur das Geldgeschäft gestattet und möglich gewesen, finden wir im Stadtbuch von 1276 wie auch in den späteren Nachträgen überhaupt nichts, was die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit der Juden in irgendeiner Weise darauf beschränken könnte oder auch nur wollte.
Demgegenüber finden wir neben den Bestimmungen zur jüdischen Fleischbank wiederholt einzelne Notizen auf Bäcker, Bademeister oder aber auch Apotheker oder Weinschenke in der Stadt. Auch in den Bestimmungen zu einzelnen Berufsgruppen finden sich keine Hinweise, dass die Ausübung eines bestimmten Handwerks Juden untersagt gewesen wäre.
Das Augsburger Judenrecht bestätigt in der Rechtstradition des Wormser Privilegs die Autonomie der jüdischen Rechtssprechung in der Stadt. Juden die im Streitfall mit einem Christen als Kläger oder Beklagte einen Eid zu schwören verpflichtet werden, tun dies nach jüdischem Gesetz, im paritätischen Gericht in der Judenschul, also der Synagoge in der Gegenwart der jüdischen Gemeinderichter, der städtischen Vertreter und des Vogtes. Für die Darlegung des Eides wurden dem Juden vierzehn Tage Zeit, Bedenkzeit, eingeräumt, was für die damaligen Rechtsverhältnisse bemerkenswert ist. Auch für Christen ist, als Kläger oder Beklagte, die Synagoge der Gerichtsort. Ein Umstand, der der Augsburger Geistlichkeit keineswegs gefiel, aber trotzdem 160 Jahre Bestand haben sollte. Kapitalverbrechen, wie Mord, Totschlag, Körperverletzung oder Anstiftung zur Gewalt kennen keine Unterschiede zwischen Christen oder Juden. Letzteren wurde, anders als Christen zugestanden, Tiere selbst zu schlachten, so sie nicht den Schochet der jüdischen Fleischbank in Anspruch nehmen wollten. Nebenbei erfahren wir auch, dass es Juden gestattet war, christliche Bedienstete zu halten, die neben Lohn und Brot auch die hygienischen Einrichtungen der Juden benutzen durften.
Noch aus dem Jahre 1374 findet sich im Stadtbuch eine Ergänzung zum 27. Artikel, die die autonomen Rechte der Judengemeinde in Augsburg gesondert hervorhebt, bekräftigt und sogar noch in rechtlicher Hinsicht ausweitet.
Man soll auch wissen, dass die Juden die hier zur Stadt wohnen und hier herkommen, es seien Gäste oder andere Juden, das Recht haben, dass kein Vogt richten soll, was Juden einander tun, ohne den Totschlag und ohne Körperverletzung, wenn etwa ein Jude sich mit einem anderem überwerfe und ihm etwas täte, ohne Totschlag und ohne Körperverletzung. Es sei denn, dass der eine dann zu dem Vogt ginge und den anderen verklagte, nur dann soll der Vogt richten. Derselbe Jude ist dem Vogt so er klagt, schuldig eine Mark Silbers.
Nunmehr unterstanden nur noch schwere Gewaltverbrechen unter den Juden der Gerichtsbarkeit des Vogtes. Alles andere wurde als innerjüdische Angelegenheit angesehen und der bloßen Zuständigkeit des Rabbinatsgerichtes unterworfen.
Die weit reichende Gerichtsautonomie der Juden in der Stadt stieß bei der christlichen Geistlichkeit aber keineswegs auf Gegenliebe, insofern sie auch das Erscheinen von Christen vor dem Rabbinatsgericht umfasste. Das war insofern verständlich, als das Christen, die als Kläger oder Beklagte anders behandelt wurden, wenn ihr Prozessgegner ein weiterer Christ oder aber eben ein Jude war. Für das christliche Empfinden der Geistlichen war es unerträglich, dass ein Christ, womöglich noch als Opfer eines Verbrechens durch einen Juden sich tatsächlich vor einem rabbinischen Gericht verantworten musste. Dieses war zwar paritätisch mit Juden und Christen besetzt, doch erklärt sich die Unzufriedenheit sicher nicht nur aus dem für Kleriker demütigenden Umstand, dass die Synagoge Gerichtsort war. Gewiss spielte dies aber schon psychologisch eine gewichtige Rolle und das festgelegte Arrangement des Stadtbuchs von 1276 schanzte den Juden damit einen erheblichen Vorteil zu, konnte doch kein Vergehen mit jüdischer Beteiligung unabhängig von jüdischen Richtern entschieden werden. Offenkundig waren die paritätischen Gerichte auch so angelegt, möglichst gangbare Kompromisse zu finden, die übergeordneten Interessen, wie insbesondere etwa die reichlichen jüdischen Steuerleistungen, nicht durch eigenwillige Präzedenzfälle zu gefährden. Rechtlich waren die Juden in der Stadt keineswegs benachteiligt, sondern wie etwa die christliche Geistlichkeit privilegiert.
Zwar waren die jüdischen Sonderrechte den Klerikern immer schon ein Dorn im Auge, doch erst der erstarkende religiöse Fanatismus des frühen 15. Jahrhunderts sollte dazu führen, die Sonderrechte der Juden rasch soweit einzuschränken, dass sie letztlich zu einer weitgehenden Entrechtung der Judengemeinde führten.
(Yehuda Schenef 2004/08)