Juden im mittelalterlichen Freising


Unter den im mittelalterlichen Augsburg genannten Juden sind auch welche „von Freising“ erwähnt, einem etwa 70 km (Luftlinie) östlich gelegenen, von seinem Klostersitz beherrschten Ort, dessen Geschichte wenig oder meist gar nicht mit Juden in Verbindung gebracht wird.

In den Augsburger Steuerlisten ist 1380 und 1384 ist „Jakob Freysingen“ notiert, 1382 wohl derselbe als „Smoes Tochtermann aus Freisingen“, im selben Jahr auch ein eigens zu versteuerndes „domus Jacob Freisingen“, 1404 finden wir seine als „Jacobin Freysing“ genannte Witwe. Aus anderen Quellen ergibt sich, dass Jakob aus Freising mit Mara, der Tochter von Samuel aus Donauwörth („Samuel Werd“, bzw. Schmuel oder Smoe) verheiratet war. Samuel Werd findet sich von 1376 bis 1384 in den Steuerlisten, dürfte aber bereits vor 1382 verstorben sein, da seine Frau dann als „Samuelin Werd, Wirtin“ auftaucht. Jakob aus Freising hat also die Tochter des alten, kranken, dann verstorbenen Wirts geheiratet und mit seiner Frau und der Schwiegermutter das Leuthaus, d.h. die Schenke in der Judengasse betrieben, die sich dort „im Hof vor der Apothek“ befand, nach heutigem Verständnis also in etwa da wo sich das Kino Mephisto befindet. Es handelte sich um eine Schenke, bei der selbstgebrautes Bier geboten wurde, aber auch Backwaren. Eine Mischung wie man sie auch heute noch antreffen kann. 1404 registriert das Steuerbuch „Jacobin Freysing“, woraus wir schließen können, dass Maras Mann im Vorjahr verstorben war. 1420 tritt Eysik (= Isaak) Freisinger in Erscheinung, bei dem es sich wahrscheinlich um den Sohn der „Jacobin“ handelte. Denkbar wäre auch, dass es sich um einen Schwager handelte, also einen männlichen Verwandten ihres Mannes, der aus Freising zur Übernahme des Besitzes in die Stadt kam, da Frauen nicht rechts-und geschäftsfähig waren und im ungünstigen Fall nur das väterliche Erbe verwalten durften, bis der Sohn 13 Jahre alt wurde oder ein anderer männlicher Verwandter gefunden wurde. Gab es diesem nicht, konnte der Besitz von der Stadt als „verwaist“ in Anspruch genommen werden. Fest steht jedenfalls, dass Isaak Freising das Leuthaus weiterführte und mit seiner Frau drei namentlich bekannte Söhne hatte: Mauschi (Moses), Jos (wohl Josef oder Josua) und Sender, der “Herdmann” (wohl der Koch oder Bäcker). Letzterer führte das Leuthaus in der nächsten Generation. Nach 1440 verlieren sich die Spuren der Freisinger Familie. Da sich wenigstens vier Männer mit dem Namen Moses finden, die aus Augsburg in anderer Orte abwanderten, aber man kann allenfalls nur spekulieren, ob der jener aus der Familie Freisinger stammenden in Ulm, Lauingen, Nördlingen oder Donauwörth landete. Letzter Ort hätte eine gewisse Plausibilität, da der Vater von Moses Großmutter aus Donauwörth stammte, aber einen Beleg dafür haben wir nicht.

Ausgburg Judengasse mit Welserhauslinks: Welserhaus (frühere Apotheke) vor der Augsburger Judengasse

Wie dem auch immer sei, ist mit der Geschichte der Freisinger Familie im mittelalterlichen Augsburg noch nichts über Juden in Freising selbst gesagt, für deren Existenz keine eigenen Belege überliefert worden sind. Selbst ein namentlich genanntes ehemaliges Judentor, andernorts ein sicheres Indiz für die Existenz von Juden im Ort, wird so interpretiert, dass vor dem Tor wahrscheinlich irgendwann Juden lebten … jedoch ist eine solche Deutung wohl ebenso einzigartig wie albern.

Freising Bahnhofstr Mauer Münchner TorBahnhofstr. in Freising where once was the “Münchner Tor” (Munich Gate)

Aus zeitgenössischen hebräischen Quellen ergeben sich, was durchaus zeittypisch in der Region wäre, Hinweise auf zwei verschiede jüdische Ansiedlungen im mittelalterlichen Freising. Die erste befand sich im Süden der Stadt, in einem Eruw (Häuser mit verbundenen Innenhöfen), knapp hinter dem Münchner Tor (heute der Häuserblock um Bahnhofstraße / Am Wörth). Sie bestand bis etwa 1350, was also auf die berüchtigten “Pestjahre” und die Überfälle auf als “Verursacher” der Epidemie verdächtigte Juden Bezug nimmt. An Ort und Stelle gab es auch die erwartbare Infrastruktur (Bethaus, Gemeindehaus, Tauchbad). Ein für Mikwen erforderlicher Bachlauf ist heute noch unmittelbar vorhanden, die Überlieferung insofern plausibel. Von einem jüdischen Friedhof oder Begräbnisfeld ist freilich nirgendwo und zu keiner Zeit etwas überliefert, ein fast sicheres Indiz, dass es womöglich nie einen gab.

Lage Münchner Tor Freising Bayernposition of the former Munich Gate in the south of the medieval city

Münchner Tor Erinnerung Freising

Die zweite, spätere Niederlassung, die wohl nach der Wiederansiedlung nach 1350 zustande kam und wohl spätestens bis in die Zeit um 1470 bestand, geht mit dem namentlich überlieferten „Judentor“ im Nordosten der Altstadt am Ostende des Unteren Grabens einher. Anders als für das Münchner Tor, gibt es für das frühere “Judentor” in Freising keine Erinnerungstafel.

Abbildung Judentor in Freising 1642 Stadtplan 1810שער יהודים בימי הביניים בעיירה הבווארית פרייזינג

Freising Judentor Unterer Grabenalso the Judentor in Freising was removed

Eine Anzahl auch anderswo als Juden „von Freising“ registrierter Personen ist nun aber doch ein Indiz für die zumindest zeitweilige Existenz einer jüdischen Gemeinschaft. Oft zitiert wurde, dass 1464 Kaiser Friedrich Vertreter jüdischer Gemeinden aus der Region (Mergentheim, Laupheim, usw.) nach Freising lud, u.a., um von ihnen Auskunft über gegen sie erhobene Vorwürfe wegen „übermäßigen Wuchers“ zu erörtern. Abgesehen davon, dass Friedrich die Gunst der Stunden nutzte, um sich bei den befragten Juden selbst Geld zu leihen, war die Zusammenkunft wohl nicht sehr ergiebig, da die Vorwürfe wohl (womöglich auch gerade auf diese Weise) entkräftet wurden. Im historischen Halbwissen haften geblieben ist bei manchen Autoren der Neuzeit der sonst selbst lokalgeschichtlich allenfalls begrenzt bedeutsame Vorfall aber als “auch in Freising warf man den Juden Wucher vor“.

Bürgerturm Freisingsomewhat similar nearby Bürgerturm at Unterer Graben

Aussagekräftiger ist dagegen wohl der Umstand, dass sich im Freisinger Stadtbuch, das im (aus heutiger bayerischer Sicht womöglich etwas überraschend) auf dem Vorgaben des Schwabenspiegels basiert, dann eben doch eine Anzahl von Bestimmungen aufweist, die sich auf Juden beziehen, was ohne die Anwesenheit von Juden in der Stadt keinen Sinn ergeben kann. Das „Freisinger Rechtbuch“ genannte Kompendium einem gewissen “Ruprecht von Freising” zugeschrieben und auf das Jahr 1328 datiert, obwohl die erhaltenen Handschriften weder Jahreszahlen noch Autoren nennen („es fehlt durchaus jeder Grund dieses zu bezweifeln…“), stattdessen jedoch sowohl in der Anordnung als sogar auch im Vokabular der einzelnen Sätze sich mitunter eindeutig unterscheiden. Die mit dem Jahr 1473 jüngste datierte, von insgesamt fünf archivierten Handschriften (1408, 1436, 1441) ist jedenfalls bereits nach dem Treffen des Kaisers mit den schwäbischen Juden entstanden und steht somit im zeitlichen Kontext dazu.

In der oberflächlichen, bloß auf wenige Gegensätze abzielenden Betrachtung wird gewöhnlich übersehen, dass Juden und Christen im mittelalterlichen Rechtssystem mehr oder minder gleichgestellt waren. Die wenigen Ausnahmen rührten daher, dass Juden per se den rechtlichen Status von Geistlichen des Christentums eingeräumt wurde.

Im Freisinger Rechtbuch (in der standardisierten Endfassung von 1473) kommt dies in Artikel 168 zum Ausdruck

Freisinger Rechtbuch Cap. 168 von Pfaffen und Juden(Quelle: Stadt- und Landrechtbuch, Ruprecht von Freysing, nach fünf Münchner Handschriften, ein Beitrag zur Geschichte des Schwabenspiegels, von Ludwig v. Maurer, 1839, Cotta, Stuttgart & Tübingen)

Von pfaffenn vnnd von judnn: Pfaffenn dye nicht beschorrn sein vnnd nicht pfäflich gewanntt an tragenn vnd fürnntt sy messer oder swert oder annder waffen oder vinndet man sy in dem fraunhaus oder in ainem leuthaus dy sol man richtnn als ainen anndernn layenn und was man jn tuet in solicher weis da chumt nyemandtz in den pan vnnd als ich gered hab von pfaffenn alzo sprich ich von den judenn.”

Heißt: Unrasierte, nicht an ihrer Kleidung erkenntliche Pfaffen, die mit Messern, Schwertern oder sonst wie bewaffnet sind, in Hurenhäusern oder Wirtshäusern anzutreffen sind, darf man wie gewöhnliche Leute behandeln und wer so verfährt, hat keinen Bann zu befürchten. Selbiges trifft auch zu, wenn ungekennzeichnete Juden in selber Weise anzutreffen sind. Der Passus ist nur dann verständlich, wenn man andererseits zur Kenntnis nimmt, dass ordentliche Pfaffen (und Juden) quasi über dem (allgemeinem) Gesetz stehen, weil sie unter kaiserlichen oder bischöflichen Schutz stehend, weitgehend Immunität genießen und für sie in bestimmten Belangen eigene Gesetze existieren, vgl. mit Diplomaten in heutiger Zeit.

In Cap. 173 heißt es u.a.: Vom Leben der Juden: Die Juden soll niemand zwingen zu christlichen Glauben. Mang man sie mit guten Worten dazu bringen, soll man das tun, wird aber ein Jud Christ und danach von Glauben (ab)stehen, so soll in geistliches und weltliches Gericht zwingen dass er darin bleibt. Will er das nicht tun, soll man ihn (ver)brennen wie einen Ketzer.”

Wer erstmal den Fehler beging, zum Christentum überzutreten, konnte demnach mit damit rechnen, wieder zur angestammten Weisheit zurückzukehren.

Wenig freundlich freilich waren die Umgangsbestimmungen von Christen gegenüber Juden vorgesehen:

Den Christen ist verboten mit den Juden essen und niemand soll sie (in) einer Wirtschaft (ein)laden. Kein Christ soll mit einem Juden baden. ”

* * *

Although there are a number of Jews recorded in medieval Augsburg and elsewhere as as Jews from Freising, as well as discription of two different Jewish settlements in medieval Freising, a Jews Gate (Judentor) which until 19th century was recorded in the city maps of Fresing as well as a number of regulations in the medieval town book regarding Jews, their legal status, rights and duties, and the like … most historians asume that until 1870 there were no Jews in Freising, an old medieval city, famous for its cloister and the neighborhood to Munichs international airport.

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6 Responses to Juden im mittelalterlichen Freising

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    Juden im mittelalterlichen Freising | Jüdisch Historischer Verein Augsburg

  2. yehuda says:

    Vielen Dank für die Anmerkung. Die von Ihnen wahrgenommene “Feindseligkeit” existiert meinerseits/unsererseits überhaupt nicht. Wenn Sie also etwas als latent vorwerfen fühlen, kann das auch an Ihnen liegen. Die historischen Beispiele hingegen sind keine Unterstellungen, sondern nun ja: eben … historische Beispiele. Freising ist ein nettes Städtchen, das ich gerne wieder besucht habe. Beste Grüße.

    • Martin says:

      Danke für die Antwort, jedoch möchte ich verneinen, dass das mit mir zusammen hängt, das ist doch ein etwas einfacher Ansatz.
      Es ist durchaus eine gewisse Wertung in einem Text, wenn Vergleiche gezogen werden, was wie präsentiert oder nicht wird. Ich habe darauf neutral verwiesen, dass es eben kein Fakt ist, dass es eine Ungleichbehandlung gibt, sondern eine generelle Schwäche im Stadtbild die Vergangenheit aufklären. Selbst das Stadtmuseum war vor seiner Schließung kein besonders hilfreicher Ort, um etwas zu erfahren, was über viel antiquiertes Mobiliar hinausgeht. Ich hoffe ich meinen Punkt nun verständlich machen. Beste Grüße zurück.

      • Martin says:

        *machen konnte. Verzeihung für den Grammatikwirrwarr am Ende.

      • yehuda says:

        Nun, Sie schrieben ja: “Freising geht insgesamt sehr schlecht mit seinem historischen Erbe um, ob jüdisch oder nicht.” Wenn Sie aus dem Ort oder Umgebung stammen, wissen Sie das ja auch viel besser in mehr Details. Es ging und geht hier aber gar nicht darum, zu behaupten, dass NUR oder ganz besonders die Ortsgeschichte der Juden vor Ort vernachlässigt würde. Der Artikel befasst sich aber mit der Geschichte der Juden, die mehr umfasst als die NS-Zeit, und woran in Freising nun wo eigentlich erinnert wird? Beste Grüße.

  3. Martin says:

    Ich finde etwas schade, dass es hier einen latent vorwerfenden Ton gibt. Ich habe den Beitrag mit Freude gelesen und ich sehe einige genannte Unfairness tatsächlich gegeben, aber doch liegt der Fokus stark auf Unterstellung. Freising geht insgesamt sehr schlecht mit seinem historischen Erbe um, ob jüdisch oder nicht. Ich hoffe die gefühlte Feindseligkeit hat keine vorausgegangenen Erfahrungen des Authors im Hintergrund. Alles Gute.

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